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Verdachtsfall in der Bundeswehr: Wenn der Feind dich bewacht


Seit Jahren bekannter Fall
Duldet das Verteidigungsministerium einen rechten Wachsoldaten?


04.08.2021Lesedauer: 6 Min.
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Wachbataillon beim Bundesverteidigungsministerium: Soldaten der Einheit repräsentieren die Bundesrepublik und befinden sich in unmittelbarer Nähe von Staatsgästen und Spitzenpolitikern.Vergrößern des Bildes
Wachbataillon beim Bundesverteidigungsministerium: Soldaten der Einheit repräsentieren die Bundesrepublik und befinden sich in unmittelbarer Nähe von Staatsgästen und Spitzenpolitikern. (Quelle: IMAGO/Mike Schmidt)

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hat die Bekämpfung von Rechtsextremismus in der Bundeswehr zur Chefsache erklärt. Doch der Fall eines Soldaten des Wachbataillons in Berlin wirft Fragen nach der Ernsthaftigkeit dieser Bemühungen auf.

Direkt zwischen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihrem estnischen Amtskollegen Kalle Laanet steht er, der Oberstabsgefreite C., knapp vier Jahre nachdem er am 23. August 2017 als rechtsextremer Verdachtsfall dem Geheimdienst der Bundeswehr, dem MAD, gemeldet worden ist.

C. dient in dem Berliner Wachbataillon beim Bundesverteidigungsministerium, das hohe Staatsbesuche begleitet und sich in der unmittelbaren Umgebung von Spitzenpolitikern befindet. Noch immer. Dabei lautet der Vorwurf: Der Soldat soll mit der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung (IB) mindestens sympathisieren. Das "Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND)" berichtete erstmalig darüber. Bis heute sind die Vorwürfe zumindest öffentlich nicht ausgeräumt. Während das Ministerium und der Abschirmdienst schweigen, fordert die Opposition Aufklärung.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums schreibt auf Anfrage von t-online, dass die Bundeswehr entschieden gegen Rechtsextremismus vorgehe. Der Soldat C. bekannte sich gegenüber dem "RND" "uneingeschränkt" zur "freiheitlich demokratischen Grundordnung" – doch sein Social-Media-Auftritt lässt Zweifel aufkommen.

"Überschneidungen bei Positionen sind ja nicht verboten"

Die Verdachtsmeldung zu dem Oberstabsgefreiten C. kommt von keinem Unbekannten: Patrick J., zu dem Zeitpunkt selbst Unteroffizier der Bundeswehr, setzt sich mit Rechtsextremismus auseinander. Er durchforstet dafür die Social-Media-Profile der IB und stößt dabei immer wieder auf Kameraden – inzwischen dürften es Tausende gewesen sein.

Patrick J. ist innerhalb der Bundeswehr umstritten: Nicht nur Rechte meinen, dass er durch seine Meldungen über das Ziel hinausschieße. 2019 wird er von den Streitkräften gekündigt. Als Grund gab die Bundeswehr die Vielzahl an Verdachtsmeldungen an und sprach dem ehemaligen Unteroffizier die "charakterliche Eignung" als Soldat ab. J. streitet den Vorwurf ab – das Disziplinarverfahren gegen ihn ist bis heute nicht abgeschlossen.

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Patrick J. fällt auch das Profil des Soldaten C. auf. Er entdeckt dort digitale Verbindungen zur Identitären Bewegung (IB): C. selbst likt und followt Szenegrößen des neurechten Milieus. So folgte er beispielsweise dem IB-Regionalleiter Berlin-Brandenburg, Robert Timm. Auch folgte dem Soldaten selbst ein hochrangiger österreichischer Vertreter der Identitären. C. likt Beiträge des deutschen Kopfes der IB, Philipp Thaler, oder auch der Instagram-Seite "Incredible_Bramborska". Die hatte auch bereits einen Social-Media-Verantwortlichen der Bundeswehr nach einem "Panorama"-Bericht in Erklärungsnot gebracht. Der Account steht der Identitären Bewegung nahe.

Der Oberstabsgefreite C. verwendete bei einem eigenen Beitrag eindeutige Hashtags, zum Beispiel "IBster" – so bezeichnen sich Aktivisten der Identitären Bewegung. Das Profil zeigt auch, welche Bücher er liest. Zu finden ist Literatur, in der die Wehrmacht glorifiziert wird und die in der Neuen Rechten häufig gelesen wird. In weiteren Beiträgen nimmt er Bezug auf das Buch "Revolte gegen die moderne Welt" von Julius Evola. Evola gilt als einer der Vordenker der Neuen Rechten.

In einem weiteren Post zeigt C. seine Tätowierungen. In Runenschrift hat er sich "Dem Land verbunden" auf die Haut stechen lassen. Auf einem anderen Foto posiert er mit einer Preußen-Flagge. Es scheint, als hänge diese in seiner Wohnung.

All das sind keine rechtssicheren Beweise für eine extremistische Gesinnung. In einem Chat, der t-online in Auszügen vorliegt, wird C. jedoch deutlicher: "Naja, bin ja nicht bei der IB aktiv und überschneidende Positionen bei gewissen Themen sind ja nicht verboten. Ansonsten könnte man ja direkt Politoffiziere wie damals bei der roten Armee einführen", schreibt C. In welchen Punkten er der rechtsextremen Identitären Bewegung zustimmt, geht aus den Auszügen nicht hervor. In einer weiteren Nachricht schreibt er, dass man seit der "Geschichte mit Oberleutnant Franco A." aufpassen müsse, "was man sagt".

Was macht der Abschirmdienst?

Die Meldung zu C. ging beim MAD ein, als der Abschirmdienst ohnehin alle Hände voll zu tun hatte: Im Februar 2017 wurde der Oberleutnant Franco A. festgenommen. A. hatte sich als syrischer Flüchtling ausgegeben und soll einen rechtsextremistisch motivierten Anschlag geplant haben. Ihm wird derzeit in Frankfurt der Prozess gemacht.

Im August 2017 wurde enthüllt, dass eine Eliteeinheit des Kommandos Spezialkräfte (KSK) eine Geburtstagsparty mit Hitlergrüßen und Rechtsrock gefeiert hatte. In einer solchen Situation für den Geheimdienst könnte man meinen, dass der MAD besonders aufmerksam Meldungen nachginge.

Doch welche Mittel der Nachrichtendienst tatsächlich ergriffen hat, ist unbekannt. Der Abschirmdienst und das Ministerium äußerten sich grundsätzlich nicht zu einzelnen Personalien oder Verdachtsfallbearbeitungen, heißt es von einem Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums. Grund sei die Wahrung der Persönlichkeitsrechte.

Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, kritisiert diese Haltung. Im Fall von C. sei es "völlig unverständlich, dass das Ministerium sich derart in Schweigen hüllt und nicht einmal dem Parlament gegenüber Stellung nimmt. Damit ist niemandem geholfen, wenn berechtigte Fragen und schwerwiegende Vorwürfe einfach so unbeantwortet bleiben", sagte Brugger gegenüber t-online. Die Bundestagsabgeordnete betont, dass die Aufklärung des Verdachtsfalls unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte und des Quellenschutzes erfolgen müsse, "denn jeder Fall zerstört auch immer ein Stück weit das Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden und beschädigt die gute Arbeit, die viele Menschen dort leisten."

Im Fall des Oberstabsgefreiten C. ist es möglich, dass die Verdachtsfallbearbeitung keine extremistischen Bestrebungen feststellen konnte. Ebenso ist möglich, dass es Maßnahmen gegeben hat, die von außen schwierig zu erkennen sind, zum Beispiel Gehaltskürzungen. Eine Anfrage von t-online zu den Vorwürfen ließ C. unbeantwortet. Gegenüber dem "RND" bekannte sich der Oberstabsgefreite "uneingeschränkt zur freiheitlich demokratischen Grundordnung" und bestritt, Verbindungen zur Identitären Bewegung zu unterhalten oder gar Mitglied gewesen zu sein.

Fest steht, dass C. weiterhin seinen Dienst im nächsten Umfeld von Staatsgästen und Mitgliedern der Bundesregierung leistet. Ebenso lässt sich belegen, dass die Verdachtsmeldung für die Verantwortlichen kein Grund war, die Beförderungen von C. auszusetzen oder ihn an eine andere Stelle zu versetzen.

Nach der Berichterstattung durch das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" entfolgte C. einigen Accounts. Bei anderen Accounts blieb sein Abonnement bestehen – auch bei Profilen, deren Betreiber im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen. Weiterhin folgt er zum Beispiel der Jungen Alternative Berlin, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, oder einem Aktivisten des Vereins "Ein Prozent". Der Verein bündelt und vernetzt extrem rechte Initiativen. Seit 2020 beobachtet der Verfassungsschutz "Ein Prozent e.V.". In den Instagram-Storys und -Beiträgen von C. finden sich weiterhin Anhaltspunkte für eine extrem rechte Gesinnung.

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Ein Beitrag änderte sich jedoch nach der Verdachtsmeldung an den MAD: Einer der Posts, auf denen C. mit einer Preußenfahne posiert, wurde von dem Oberstabsgefreiten ursprünglich mit "#IBster" getaggt. Der Hashtag ist kurz nach Eingang der Meldung verschwunden.

Nulltoleranz von Annegret Kramp-Karrenbauer?

Im Herbst 2020 entschied sich der nunmehr ehemalige Soldat und Whistleblower J., die Führung des Verteidigungsministeriums über den Fall des Soldaten C. direkt in Kenntnis zu setzten. In der Empfängerzeile ist auch die hausinterne Mailadresse von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu finden.

Die Ministerin erklärte wiederholt in der Öffentlichkeit, den Kampf gegen Rechtsextremismus in der Truppe mit ganzer Kraft führen zu wollen. Doch auch nach der Mail an die Ministeriumsleitung wurden anscheinend keine nachvollziehbaren Maßnahmen eingeleitet.

Zumindest postete Oberstabsgefreiter C. zu diesem Zeitpunkt weiterhin verdächtige Storys und Beiträge: Bis mindestens Juni 2020 likt C. die Beiträge des IB-Kopfes Philip Thaler. Er selbst postet zum Beispiel ein Werbeplakat mit dem Spruch "Vaterland. Es ist deins. Schütze es" darauf montiert. Eine weitere Story zeigt eine Preußen-Fahne, die aus einem Balkon gehisst ist – C. kommentiert mit "Ehrenmann". Oder er postet ein Bild einer Biografie eines Fallschirmjägers der Wehrmacht. Das Buch steht oft in der Kritik, da es keine ausreichende Distanz zu den Ereignissen haben soll und Gräueltaten zum Teil glorifiziere.

Das Verteidigungsministerium möchte den Fall nicht kommentieren, betont aber, dass die Bundeswehr versuche "die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und ein deutliches Zeichen im Sinne einer 'Null-Toleranz-Linie' zu setzen".

Der Verdachtsfall des Oberstabsgefreiten stellt für Innenpolitikerin Agnieszka Brugger (B'90/Die Grünen) die Bemühungen des Ministeriums infrage, dies gelte "umso mehr, weil Annegret Kramp-Karrenbauer mehrmals zugesichert hat, entschieden und mit Härte gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr vorgehen zu wollen".

"Angesichts der vorliegenden Bilder und Einlassungen des Soldaten C. entsteht der Eindruck, dass das BMVG den Verdachtsfall nicht ernst nimmt und sogar versucht, die rechtsextremistische Einstellung, die hier zum Ausdruck kommt, zu vertuschen", meint die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Sevim Dağdelen.

Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der Sicherheitsbehörden

Angesichts der zumindest öffentlich nicht ausgeräumten Zweifel an der Verfassungstreue des Soldaten und des Schweigens der zuständigen Behörden fordert Dağdelen Strukturveränderungen in den Sicherheitsbehörden. "Es gibt eine wachsende Gefahr, die von neurechten Soldaten und von Rechtsextremisten in der Bundeswehr ausgeht", sagt sie.

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken, kritisiert gegenüber t-online, dass nicht nur das Klima in der Truppe verrohe. Es könne auch nicht sein, "dass Demokratiefeinde dort nicht nur eine Ausbildung an Kriegsgerät erhalten, sondern auch noch Zugang zu Waffen und Munition haben".

Auch wenn bis zum rechtssicheren Beweis des Gegenteils bei C. die Unschuld zu vermuten ist, wirft der Fall für Jelpke weitere Fragen auf. Ihr ist unerklärlich, dass er nicht in den Antworten des Verteidigungsministeriums auf ihre jährlichen Anfragen zu rechtsextremen Vorkommnissen in der Bundeswehr auftauche. "Da stellt sich mir dann gleich die anschließende Frage, wie viele weitere derartige Fälle ebenfalls unterschlagen wurden", kritisiert die Abgeordnete.

Verwendete Quellen
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