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Tagesanbruch: Die Hühott-Regierung – Umgang mit dem Dieselskandal


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

25.01.2019Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Verkehrsminister Scheuer, Umweltministerin SchulzeVergrößern des Bildes
Verkehrsminister Scheuer, Umweltministerin Schulze (Quelle: imago)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

"Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung. Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung." So steht es im Grundgesetz, Artikel 65. Daraus leitet sich das Kabinettsprinzip ab: Bei Streitigkeiten zwischen Ministern setzt sich die Mehrheit durch, im Zweifelsfall braucht es ein Machtwort der Kanzlerin.

Das 24. Regierungskabinett der Bundesrepublik Deutschland ist dazu derzeit nicht in der Lage. Und das ganze Land muss dabei zusehen. Jahrelang haben die Autokonzerne ihre Kunden betrogen, haben ihnen scheinbar saubere Dieselmodelle verkauft, die in Wahrheit ziemlich dreckig sind. Für den Schaden wollen sie bis heute nicht vollständig aufkommen, stattdessen fahren die Bosse ihrer Verantwortung ein ums andere Mal davon. Und die Regierung lässt sie fahren. Sie sah monatelang dabei zu, wie Gerichte ein Fahrverbot nach dem anderen verhängten und die Bewegungsfreiheit von Dieselfahrern immer weiter einschränkten. Erst nachdem die Wähler in Bayern und Hessen ihren Frust in die Urnen geworfen hatten, fühlte sich Merkels Nichtregierungsorganisation bemüßigt, das Thema ernster zu nehmen – und tat, was große Koalitionen immer tun, wenn sie ein Problem nicht lösen, es sich aber vom Hals schaffen wollen: Sie griff tief in den Steuersäckel und warf Hunderte Millionen Euro ins Land. Elektrobusse kaufen, Müllautos aufmöbeln und so. Symptome bekämpfen statt Ursachen zu verändern, nennt man sowas. Und meistens ist der Effekt ziemlich bescheiden.

Anfang Januar sind die ersten Fahrverbote in Kraft getreten, die Deutsche Umwelthilfe klagt eifrig auf weitere. Verkehrsminister Scheuer von der CSU, der sich so gerne als Dompteur der Autotiger aus Wolfsburg, Stuttgart, München und Ingolstadt inszenierte, schnurrt inzwischen wie ein Kätzchen, wenn die Tiger zurückfauchen. Damit gibt er ebenso wenig eine gute Figur ab wie die anderen Ministerinnen und Minister, wie Abgeordnete und Parteifunktionäre, die in ihren Wahlkreisen von aufgebrachten Bürgern gestellt werden. Manche sehen nun offenbar einen Ausweg in einer Methode, die die Engländer "Shoot the messenger" nennen: Seit einigen Wochen feuern nicht mehr nur die Oppositionsparteien FDP und AfD, sondern auch CDU und CSU rhetorische Giftpfeile gegen die Umwelthilfe. Die CDU will sogar prüfen, ob dem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen werden kann.

Aber sowas zieht sich hin – während das Problem immer drängender wird. Es müsste eine andere Lösung geben, mag sich da mancher denken. Es müsste ein paar Wissenschaftler geben, die die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Stickoxide und Feinstaub rundheraus infrage stellen. Wir dürfen uns den Bundesverkehrsminister als sehr frohen Mann vorstellen, als er den Brief von gut hundert Fachärzten las, die ihm am Donnerstag genau diese Steilvorlage lieferten. Und wir dürfen uns ebenso seinen Ärger vorstellen, als Umweltministerin Svenja Schulze von der SPD sich dagegen stellte und den Ärzten ein "Ablenkungsmanöver" vorwarf.

Tatsächlich mag es ja sinnvoll erscheinen, den Sinn (oder Unsinn) von Fahrverboten zu hinterfragen. Warum sind die Grenzwerte im Freien strenger als in Büros? Ist es wirklich sinnvoll, dass Messstationen an viel befahrenen Straßen stehen, die Fahrverbote dann aber für ganze Stadtteile gelten? Warum wird in Deutschland so penibel gemessen, während andere EU-Länder das Ganze eher entspannt angehen? Fragen, die bislang nicht ausreichend beantwortet worden sind. Trotzdem: Bewiesen ist mit dem Medizinerbrief nichts. Ärzte mögen hervorragende Praktiker sein – aber solche Fachkenntnis ist nicht zwingend mit der wissenschaftlichen Expertise gleichzusetzen, wie sie WHO-Studien zugrunde liegt.

Wichtiger als der Ärztestreit erscheint mir aber eine andere Erkenntnis: Mehr als drei Jahre nach Auffliegen des Dieselbetrugs hat die Bundesregierung immer noch keine klare Haltung zu dem Thema gefunden, das Millionen Bürger bewegt. Der Verkehrsminister sagt hü!, die Umweltministerin sagt hott!, die Kanzlerin sagt hü-hott! "So taumelt die Regierung von Position zu Position, ohne Richtung, ohne Haltung", resümiert mein Kollege Jonas Schaible in seiner lesenswerten Analyse. Nur auf eines scheinen wir uns derzeit verlassen zu können: Dass uns das Dieselproblem auf diese Weise noch lange erhalten bleibt. Suchte man nach Gründen für wachsende Politikverdrossenheit, das wäre einer.

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WAS STEHT AN?

Auch die Entscheidung, wie und wann Deutschland aus der klimaschädlichen Braunkohleförderung aussteigt, mag die Bundesregierung nicht treffen, weshalb sie die Frage an eine Kommission aus Vertretern von Politik, Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbänden weitergereicht hat. Die sollen solange über das Thema reden, bis ein Konsens steht (der voraussichtlich sehr viel Geld kostet). Heute könnte es so weit sein: Das Gremium trifft sich in Berlin zu einer im wahrsten Sinne entscheidenden Sitzung. Derweil wollen draußen Tausende Schüler aus ganz Deutschland für einen konsequenten Klimaschutz demonstrieren, also: schnell raus aus der Kohle. Die Mehrheit der Deutschen würden das mitgehen, wie der ARD-Deutschlandtrend von gestern Abend zeigt. Na, dann los!

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Im Berliner Abgeordnetenhaus trifft sich heute der Untersuchungsausschuss zum Berliner Wir-wollten-einen-Flughafen-bauen-aber-irgendwie-ist-es-schief-gegangen-Projekts und befragt den früheren Flughafenchef Karsten Mühlenfeld, wie es zu dem Fiasko kommen konnte. Zehn Kilometer nördlich trifft sich im Airport Hotel Berlin-Tegel der Aufsichtsrat des Wir-wollten-usw.-Projekts und stellt sich die Frage, ob da überhaupt irgendwann noch was kommt.

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In Stuttgart beginnt heute das Musterfeststellungsverfahren gegen die Mercedes-Benz Bank. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden hält die Widerrufsregeln in den Kreditverträgen der Bank für unzulässig und hat deshalb im Namen von zahlreichen Verbrauchern geklagt. Viele Dieselbesitzer versuchen auf diesem Weg, ihren Kreditvertrag anzufechten und ihr Auto zurückzugeben. Dass sie diese Möglichkeit bekommen, haben sie der schwarz-roten Bundesregierung zu verdanken, die derlei Verfahren seit November möglich gemacht hat. Muss man ja auch mal sagen.

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Die meisten heute lebenden Deutschen haben keine Schuld an den Verbrechen der Nazizeit. Aber wir haben die Verantwortung, dass so ein Grauen nie wieder geschieht. Dazu gehört die Aufgabe, die Erinnerung an die Opfer und ihre Schicksale wachzuhalten. Deshalb muss es uns alarmieren, wenn der Zentralrat der Juden vor einer "wachsenden Geschichtsvergessenheit in Deutschland und Europa" warnt. "Das mangelnde historische Wissen und die fehlende Empathie mit den Opfern der Schoa führen zu Gleichgültigkeit", sagt Zentralratspräsident Josef Schuster vor dem Internationalen Holocaust-Gedenktag am Sonntag. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Jüdin Agnes Weiss, die das Lager überlebte, hat später in einem kurzen Video erzählt, wie die Selektion nach der Ankunft an der "Judenrampe" ablief. Auf aktuellen 360-Grad-Fotos bekommen Sie einen Eindruck, wie das ehemalige Lager und die Rampe heute aussehen (auf die Bilder klicken und dann nach links und rechts navigieren). Wir müssen die Erinnerung wach halten.

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Beim Aufzählen der ganz großen Handball-Nationen wird Norwegen gerne vergessen. Schließlich haben die Nordeuropäer bisher weder einen Welt- noch einen Europameistertitel geholt. Wenn Sie nun denken, prima, dann wird das heute Abend im WM-Halbfinale ja ein Spaziergang für das deutsche Team, liegen Sie aber leider falsch. Die Norweger sind nicht nur stark, sondern vor allem blitzschnell. Unser Reporter Benjamin Zurmühl hat sich in der deutschen Nationalmannschaft umgehört, wie sie die norwegischen Blitze aufhalten will. Und das geht so.

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WAS LESEN?

Reich sein? Bloß nicht! Das ist schon für sich genommen ein ungewöhnlicher Satz – umso mehr aus dem Mund einer Reinigungskraft, die als alleinerziehende Mutter mit geringem Einkommen versucht, erfolgreich die Uni zu Ende zu bringen. Da könnte mehr Geld doch sicher helfen? Vielleicht schon. Aber die fragliche Reinigungskraft verrät uns erst noch ein Geheimnis: In ihrem Beruf lernt man das Leben kennen. Das der Auftraggeber nämlich, denn man arbeitet allein bei fremden Leuten zu Hause. Man schaut in die Winkel. Man hat Augen im Kopf. Was der Frau von der Reinigungsfirma in den wohlbetuchten Bezirken ihres Einsatzgebiets begegnet ist, hat dem Mammon seinen Glanz genommen. Die Erkenntnis ist eigentlich banal: Geld macht nicht glücklich. Das Putzen und Wienern verleiht diesem Wissen aber deutlich mehr Farbe. (engl.)

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Falls Sie sich fragen, ob ich hier der Einzige bin, der täglich seine Meinung kundtun darf, möchte ich Sie beruhigen: Auf t-online.de findet ein permanenter Meinungsaustausch statt. Einige Tausend Beiträge schreiben Leserinnen und Leser täglich in den Kommentarbereichen unter unseren Artikeln. Unser Community-Team moderiert die Beiträge, nimmt Kritik auf und fragt Sie nach Ihrer Meinung zu bestimmten Themen. So wissen wir Redakteure, was Sie bewegt, und können Ihre Ideen und Meinungen berücksichtigen. Welche Maßstäbe wir dabei anlegen, hat meine Kollegin Charlotte Janus hier erklärt.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Das Wochenende naht, da soll es Ihnen nicht langweilig werden. Was könnte es Schöneres geben, als etwas Neues zu lernen? Etwas, das unzählige Menschen, wahrscheinlich auch Sie und ganz sicher ich, täglich tun – und zwar immer falsch? Ich sage nur: Schnürsenkel. Ja, irgendwann gehen die immer wieder auf. Nein, das müsste nicht so sein. Nur eine einzige Kleinigkeit muss man dazu beim Zuschnüren ändern. Aber sehen Sie selbst.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und dann ein vergnügtes Wochenende. Ab 6 Uhr am Samstag können Sie zum ersten Mal in diesem Jahr wieder die lange Tagesanbruch-Audiosendung hören (bitte hier entlang). Diesmal unterhalten sich mein Kollege Marc Krüger und ich über zwei sehr emotionale Themen. Am Montag schreibt mein Stellvertreter Florian Wichert den Tagesanbruch, ich bin ab Dienstag wieder für Sie da.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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