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Corona-Impfung in Deutschland: Drei Gründe für die Impfskepsis


Was heute wichtig ist
Das hat es nie zuvor gegeben

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.01.2021Lesedauer: 9 Min.
Meinung
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Thüringens Ministerpräsident Ramelow lässt sich den Impfvorgang in Weimar zeigen.Vergrößern des Bildes
Thüringens Ministerpräsident Ramelow lässt sich den Impfvorgang in Weimar zeigen. (Quelle: Michael Reichel/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte… Moment… ja… Entschuldigung, hier ist der Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Na, was schon? Ein ganz normaler Corona-Tag war gestern. So wie nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Ist eigentlich egal, welchen Tag ich da herausgreife. Die Infiziertenzahlen sind immer noch viel zu hoch, die Politiker ermahnen uns immer noch zu Disziplin und Geduld, das schnelle Impfen klappt immer noch nicht, gestern hat Bundesgesundheitsminister Jens… Nee, das andere! Entschuldigung, also der Spahn hat gestern im Bundestag eingeräumt, dass natürlich noch nicht alles glatt läuft, er hat das damit begründet, dass es zwischen EU, Bund und Bundesländern eben noch ein bisschen "ruckele" und … Ja: Vierzehn ist richtig… Jedenfalls hat er das alles sehr eloquent und sehr glatt dahererzählt, das kann er ja gut, der glatte Jens, aber die Opposition hat ihm die Leviten gelesen, der Lindner von der FDP und… Nein, du bist noch nicht fertig, rechne bitte noch das zweite Blatt … Was weiß ich, wo das ist, hast du das nicht ausgedruckt? … Frag bitte mal deine Schwester… Keine Ahnung, oben vielleicht, guck selbst. Also, wo war ich stehengeblieben? Ach ja, der Lindner von der Linkspartei, der hat… Moment, ach nee, die andere, wie hieß die noch gleich, na ja, jedenfalls will die Regierung "voraussichtlich bis zum Sommer allen Bundesbürgern ein Impfangebot machen". Na, wenn das mal klappt, ich bin skeptisch. Vergleicht man nämlich die bestellten Mengen mit den tatsächlich lieferbaren Impfdosen, dann… Nein, ich kann jetzt nicht mit dir Fußball spielen gehen, ich muss hier ar-bei-ten! Doch, ich muss das schreiben, viele Leute wollen das lesen und gleich ist Videokonferenz, außerdem sollst du deine Aufgaben machen! … Pass auf, mach es so, wie Frau Spahn es erklärt hat, die hat euch doch lang und breit… Entschuldige, mein Herz, ich meinte natürlich Frau… Warte mal, Telefon… Hallo? … Nee klar, kein Problem… Ach so? … Ok, mach ich, Tschüss. So, wo waren wir?

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Ja, wo waren wir? Entschuldigen Sie bitte, liebe Leserinnen und Leser, aber als ich gestern hörte, wie manche Leute das Homeoffice glorifizieren, da musste ich tief durchatmen. Ich bin kein Dogmatiker, aber auch als Pragmatiker gerät man gelegentlich an seine Grenzen. Wir müssen unsere Kontakte wegen der Seuche jetzt so weit wie möglich reduzieren, klar. Manches im Alltag geht tatsächlich leichter, wenn man zwischen zwei Meetings noch rasch das Mittagessen kochen und die Spülmaschine ausräumen kann, auch klar. Man spart den Arbeitsweg, prima.

Aber auf Dauer hat Homeoffice neben seinen Licht- auch seine Schattenseiten. Und damit meine ich nicht nur die soziale Vereinsamung, die umständlichen Videokonferenzen und den gefährdeten Teamgeist. Wer Kinder hat, weiß, wovon ich spreche. Nicht nur, dass von tausenden Eltern auf der Digitalbaustelle Deutschland immer noch verlangt wird, täglich Arbeitsblätter auszudrucken, die von ihrem Nachwuchs unter Anleitung auszufüllen sind, damit sie irgendwie irgendwo irgendwann korrigiert werden. Auch das Multitasking aus Hochkonzentration im Job und gleichzeitiger Dauerbetreuung der lieben Kleinen bringt viele Mütter und Väter an ihre Grenzen. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" las ich gestern eindrucksvolle Berichte von Eltern, die ihre Homeoffice-Homeschooling-Nöte schildern. Zu Ende lesen konnte ich den Artikel nicht, die Frage nach siebenundzwanzig mal vierzehn kam dazwischen, und dann wäre auch fast noch der Reis angebrannt.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Wir Eltern kümmern uns selbstverständlich aufopferungsvoll um unsere Kinder, und wir Arbeitnehmer machen unseren Job wirklich sehr gern. Aber beides zugleich, das ist auf Dauer keine gute Lösung. Deshalb habe ich Verständnis für all die Mütter und Väter, die nun gelegentlich ein offenes Ohr für ihre Klagen brauchen. Und die gottfroh sind, wenn irgendwann alles wieder in Ordnung kommt: die Arbeit zum Großteil ins Büro und das Lernen zum Großteil in die Schule. So, und nun zurück zum großen Einmaleins.


Oder halt! Lieber doch noch mal zurück zu Corona. Neben den gefährlichen Virusmutationen und den verzögerten Wirtschaftshilfen ist die Impfkampagne derzeit ja das dritte große Streitthema. Im Rekordtempo sind die Stoffe entwickelt worden, im Rekordtempo sollen sie in Millionen Oberarme gespritzt werden, im Rekordtempo haben sie aber auch bei vielen Bürgern Misstrauen ausgelöst. Ich habe diese Skepsis kürzlich als "absurd" bezeichnet, das hat manchen Lesern gar nicht gefallen. Womöglich war ich im Überschwang zu harsch, vielleicht kam mir das große Einmaleins dazwischen oder es fällt mir einfach nur schwer, die Bedenken nachzuvollziehen, weil ich seit meiner Südsudan-Reise bis unter die Haarspitzen voll mit Vakzinen bin und trotzdem noch geradeaus gucken kann. Was aber feststeht: Bislang gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Mittel von Biontech und Moderna gravierende Gesundheitsrisiken bergen. Daher müssten doch vor allem jene sich begeistert den Piks gönnen, die an vorderster Front gegen die Seuche kämpfen und ein besonderes Interesse haben, sich zu schützen. Sollte man meinen – doch gerade unter vielen Pflegerinnen und Pflegern in Krankenhäusern und Seniorenheimen macht sich Skepsis gegen die Impfung breit. Wieso ist das so? Jeder mag seine Gründe haben, aber drei fallen besonders ins Gewicht:

Da ist erstens das rasante Tempo der Impfkampagne. So etwas hat es nie zuvor gegeben. Der Forschungs-Sprint ist eine historische Leistung – kann aber auch Verunsicherung auslösen. Zwar wurden alle vorgeschriebenen Schritte bei der Zulassung der Impfstoffe eingehalten, und die EU-Behörden sind da sehr genau. Doch anders als bei den Mitteln gegen Masern, Diphterie und Co. fehlt das Vertrauen durch Erfahrung. Dass man weiß: Die werden seit Jahren ohne Komplikationen bei Millionen Menschen eingesetzt.

Zweitens gibt es ein riesiges Informationsdefizit. Allzu viele Menschen holen sich ihr Wissen nicht aus seriösen Medien oder Behördenportalen, sondern vertrauen auf Infoschnipsel, die ihnen in per Facebook, WhatsApp oder Telegram untergejubelt werden. Nicht alles davon ist falsch oder Verschwörungsstoff – aber vieles ist eben nur halb richtig, verzerrt oder durch subjektive Einschätzungen von Laien gefärbt. Zugleich verstärkt das Verhalten der Bundesminister den Vertrauensverlust. Nehmen wir als Beispiel die Corona-App: Was wurde die von Kanzleramtschef Braun angepriesen! Heute wissen wir: Das Ding ist weitgehend nutzlos. Mit ihren voreiligen Vorschusslorbeeren hat die Regierung Vertrauen verspielt – auch bei jenen, auf die es in der Gesundheitskrise besonders ankommt.

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Drittens kommen wir zurück zu Herrn Spahn: Ausgerechnet der Bundesgesundheitsminister hat in der Gesundheitsbranche keinen guten Ruf. Das hat er sich selbst zuzuschreiben. In der Zeit vor Corona nutzte er sein Amt, um mit allerlei Hauruck-Aktionen ein Thema nach dem anderen durchzupeitschen. "Jeden Monat ein Gesetz" nannten das seine PR-Fritzen, was toll klang, aber den Unmut vieler Ärzte, Pfleger und Medizinstudenten heraufbeschwor. Sie fühlten sich überrumpelt. Sie bekamen den Eindruck: Dem geht es weniger um sorgfältige Reformen als eher um Schlagzeilen. Der will wohl ganz nach oben. Leider ist es mit Vertrauen wie mit Glas: Ist es einmal zersprungen, kann man noch so viel kleben, es bleiben Bruchstellen.

Merke: Die Impfskepsis in den Pflegeberufen mag auf den ersten Blick abwegig erscheinen. Auf den zweiten wirkt sie eher ambivalent.


WAS STEHT AN?

Es geht hoch her in der Welt und noch höher in den USA. Politische Morde, Straßenkämpfe, ein Staatsstreich: Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten kann man heute nichts mehr ausschließen. Der Mob hat den Kongress gestürmt – nun bevölkern schwerbewaffnete Nationalgardisten die Gänge des Kapitols, um die Abgeordneten zu beschützen. Die Oberkommandierenden aller Teilstreitkräfte hielten es für nötig, die Soldaten an deren Pflicht zur Verteidigung der Verfassung zu erinnern – damit die Truppe sie nicht mit den Befehlen des Mafia-Präsidenten verwechselt. Republikanische Abgeordnete fürchten um ihr Leben, so berichtet es einer ihrer demokratischen Kollegen, falls sie es wagen würden, für die Absetzung des Präsidenten zu stimmen. Die Angst ist berechtigt, der rechte Mob wittert seine Stunde. In den Jauchegruben des Internets hetzt Donald Trumps Schattenarmee gegen Politiker, wird der Bürgerkrieg herbeigesehnt. Die demokratischen Leitplanken wanken, aber noch halten sie: Gestern hat das Repräsentantenhaus das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump auf den Weg gebracht – das zweite innerhalb einer Amtszeit, so etwas gab es noch nie. "Er ist nun gebrandmarkt bis in alle Ewigkeit", schreibt unser USA-Korrespondent Fabian Reinbold.

Doch die Weichen für die Zukunft werden nicht nur auf dem politischen Hauptschlachtfeld gestellt. Im Windschatten der großen Schlagzeilen nutzt ein anderer Herr aus Trumps Entourage die Gunst der Stunde und macht Nägel mit Köpfen: Mike Pompeo, dessen Wesen als außenpolitischer Falke, innenpolitischer Wendehals und Trump-Speichellecker grob, aber präzise umrissen ist, macht in den letzten Tagen seiner Amtszeit als Außenminister noch mal kräftig das, was sein Chef so liebt: ordentlich Porzellan zerschlagen. Alle paar Tage erfahren wir von einer radikalen außenpolitischen Entscheidung auf dem Weg zur Ausgangstür. Seine Diplomaten wies Herr Pompeo an, ihre Zurückhaltung im Umgang mit Taiwan ad acta zu legen. Ganz offiziell sollen sie jetzt ihre Kontakte zu dem Inselstaat pflegen, nicht mehr informell wie bisher – wohl wissend, dass China den kleinen Nachbarn als abtrünnige Provinz betrachtet und nun vor Wut schäumt. Da ist er, der erste außenpolitische Stolperstein für die neue Biden-Regierung.

Der zweite rollt gleich hinterher: Noch schnell vor seinem Abgang hat Herr Pompeo Kuba auf die Liste der "Terrorstaaten" gesetzt. Das erfreut viele Exil-Kubaner in den USA, die mit den Kommunisten in Havanna nichts am Hut und deshalb ihr Kreuzchen bei Trump gemacht haben. Zugleich erschwert der Schachzug die künftige Annäherung beider Staaten. Den größten Stein bringt Herr Pompeo aber dort ins Rollen, wo das Leid am schlimmsten ist: Als sei die Lage im Jemen nicht ohnehin schon katastrophal, hat er nun die Bürgerkriegspartei der Huthis zur Terrororganisation erklärt und ihr Sanktionen aufgebrummt. Stimmt schon, die Miliz ist brutal. Aber die Entscheidung ist es auch: Sie heizt den Bürgerkrieg weiter an und erschwert Hilfsorganisationen die Arbeit im Krisengebiet. Für Pompeos Federstrich werden viele Menschen mit ihrem Leben bezahlen.

Der Außenminister kommt in seinen letzten Amtstagen aus dem Faktenschaffen gar nicht mehr heraus. Warum hat er sich nicht eher um diese Länder gekümmert? Vergessen? Beim Aufräumen des Schreibtisches gefunden und schnell noch erledigt? Von wegen. Da entscheidet einer, der weiß, dass er jetzt seine Agenda durchdrücken kann, ohne die Konsequenzen selbst ausbaden zu müssen. Dass Trump am Ende unverantwortliche Dinge tut, damit haben wir gerechnet. Aber er ist nicht der Einzige. Ein Grund mehr, die Stunden bis zum 20. Januar zu zählen.


Die Bundestagsabgeordneten diskutieren heute über die Frage, welche Lehren aus dem Angriff auf das Kapitol in Washington zu ziehen sind und wie sich die deutsche Demokratie stärken lässt. Effektive Gesetze gegen den Schund auf Facebook, Telegram und Youtube wären ja schon mal ein Anfang.

Das Robert Koch-Institut erklärt uns heute die neuesten Corona-Zahlen, aber noch wichtiger ist die Pressekonferenz des Paul-Ehrlich-Instituts: Die Wissenschaftler stellen ihre Ergebnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit der mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna vor.

Die Landesregierung in Stuttgart entscheidet darüber, ob sie wirklich am 18. Januar die Grundschulen und Kitas wieder öffnet. Baden-Württemberg würde damit einen Sonderweg unter allen Bundesländern beschreiten. Wie oben beschrieben: Viele Kinder und Eltern sehnen sich nach Normalität, der Wunsch ist verständlich. Aber die Zeiten sind eben nicht normal.

Nach monatelangem Druck der internationalen Gemeinschaft lässt die chinesische Regierung heute endlich ein Team der Weltgesundheitsorganisation nach Wuhan reisen. Die Forscher müssen erst mal zwei Wochen in Quarantäne, dann wollen sie nach dem Ursprung des Coronavirus suchen. Ein Jahr ist die Entdeckung der ersten Infektionen in der Metropole jetzt her. Längst haben die Pekinger Diktatoren ihre Heldengeschichte vom Sieg über das Virus inszeniert; sie haben kein Interesse an weiteren Details. Keine guten Voraussetzungen für objektive Forschung.

Die Spitzen von Linkspartei, SPD, Grünen und CDU in Thüringen beraten über eine Verschiebung der vorgezogenen Neuwahl. Eigentlich sollen die Bürger am 25. April abstimmen, so war es nach der politischen Krise vor einem Jahr vereinbart worden. Doch die hohen Corona-Zahlen werden eine normale Wahl wohl nicht zulassen.


WAS LESEN?

Corona verändert Menschen: Wegen eines Zerwürfnisses hatte unser Autor jahrelang kaum Kontakt zu seiner Oma. Dann kam die Seuche – und eine plötzliche Wende.


Im Berchtesgadener Land sind die Corona-Zahlen schon wieder hochgeschnellt – obwohl in dem Landkreis schon im Oktober alles dicht war. Zeigt sich dort, dass ein harter Lockdown sinnlos ist? Meine Kollegin Josephin Hartwig hat einen Antwortversuch.


Warum ist die Lage in Pflegeheimen so dramatisch? Meine Kollegin Melanie Weiner berichtet über eine bemerkenswerte Studie.


WAS AMÜSIERT MICH?

Nicht so einfach, das mit dem Impfen.

Ich wünsche Ihnen einfach einen schönen Tag. Morgen schreibt meine Kollegin Anna Aridzanjan den Tagesanbruch, von mir lesen und hören Sie am Samstag wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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