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Flugchaos, Pflegekollaps und Gastro-Krise: So wie es ist, geht es nicht weiter!


Tagesanbruch
So geht's nicht weiter

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 29.07.2022Lesedauer: 6 Min.
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Schlangen am Check-in-Schalter in Köln-Bonn: Nein, das ist nicht der Streik, sondern der mittlerweile ganz normale Wahnsinn.Vergrößern des Bildes
Schlangen am Check-in-Schalter in Köln-Bonn: Nein, das ist nicht der Streik, sondern der mittlerweile ganz normale Wahnsinn. (Quelle: Christoph Hardt/Panama Pictures/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

haben Sie in diesem Jahr eine Flugreise geplant? Falls ja, wünsche ich Ihnen viel Glück – denn das werden Sie brauchen.

Der Warnstreik des Lufthansa-Bodenpersonals ging zwar gestern Morgen zu Ende. Doch je nachdem, wie die Verhandlungsrunde in der kommenden Woche verläuft, könnte die Arbeit wieder niedergelegt werden. Und auch die Piloten könnten demnächst streiken. Mitten in der Urlaubszeit – und dann noch in der ersten nach zwei Jahren strenger Pandemieregelungen und Unsicherheit.

Ein Skandal, rufen nun einige, darunter naturgemäß die Arbeitgeberseite. Lufthansa-Personalvorstand Michael Niggemann warf den streikenden Schaltermitarbeitern, Flugzeugtechnikern und Schlepperfahrern vor: "Diesen Warnstreik halte ich für vollkommen unzumutbar." Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, kritisierte: "Hier wird der nachvollziehbare Urlaubswunsch der Menschen schamlos ausgenutzt, um einen Vorteil zu erlangen."

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An dieser Stelle lohnt es, kurz innezuhalten. Vielleicht erinnern Sie sich an die Wochen vor dem Streik. An fast allen großen Flughäfen Deutschlands kam es zu chaotischen Szenen: Passagiere warteten teils Stunden an den Check-in-Schaltern und Sicherheitskontrollen, mit ihren Verspätungen machten Airlines der Bahn Konkurrenz, liegen gebliebene Koffer stapelten sich in den Gepäckräumen. Und dann strichen zahlreiche Airlines noch ihr Flugangebot zusammen, allein bei der Lufthansa fallen mehr als 5.000 Flüge in den Monaten Juli und August aus. Der Grund: Personalmangel.

Sicher, auch für die Airlines ist diese Aufschwungphase nach den Pandemie-Beschränkungen eine Herausforderung. Lufthansa-Chef Carsten Spohr räumte bereits ein, der Vorstand könnte es an der "einen oder anderen" Stelle mit dem Sparen übertrieben haben. Den – verständlichen – Ärger der Fluggäste durften allerdings andere ausbaden: das Bodenpersonal. Also diejenigen, die angeblich Zehntausenden Deutschen jetzt den Urlaub vermiesen.

Dabei gingen sie und auch die Beschäftigten anderer Airlines und der Flughäfen in den vergangenen zwei Jahren durch Kurzarbeit, Lohnverzicht und sahen viele Kollegen das Weite suchen. Nun arbeiten sie unterbesetzt an der Belastungsgrenze, fertigen Passagiere und Koffer im Akkord ab, werden an den Schaltern noch von aufgebrachten Fluggästen bepöbelt – und das teilweise für weniger als zwölf Euro die Stunde. Von diesem Gehalt lässt es sich in den großen Städten, nahe denen die Flughäfen nun mal liegen, kaum mehr gut leben. "Vollkommen unzumutbar", um die Worte des Personalchefs zu nutzen, könnte auch auf diese Arbeitsbedingungen zutreffen.

An Arbeitskräften fehlt es nicht nur in der Flugbranche – sondern in zahlreichen weiteren Bereichen, die in der Pandemie besonders gelitten haben und in denen die Löhne niedrig sind. Wie etwa in der chronisch unterbesetzten Pflegebranche, deren Beschäftigten zu Beginn der Pandemie eigentlich bessere Arbeitsbedingungen versprochen wurden. Immerhin: Beschäftigte in Nordrhein-Westfalen erstritten sich jüngst in einem wochenlangen Streik leichte Fortschritte. Ansonsten hat sich kaum etwas getan.

Und dann ist da noch die Gastronomie. Wenn Sie vor Kurzem mal in einem Lokal waren, haben Sie vielleicht bemerkt: An fast jeder Tür hängt ein Schild mit womöglich gleich mehreren Stellenangeboten. Im Service wird gesucht, in der Küche, an der Bar. Dann haben Sie vielleicht eine gestresste Kellnerin gesehen, die von Tisch zu Tisch wetzt, Bestellungen aufnimmt, Gerichte aus der Küche holt, Gäste abkassiert, die Tische wieder abräumt, dann hier noch ein Bier und da noch ein Extra-Teller und wo ist eigentlich der Kaffee für Tisch zwei?

Ich habe es zuletzt in einem Brauhaus miterlebt: Eine Terrasse vorne, eine hinten, dazwischen das Lokal. Draußen waren alle Tische besetzt, dazu noch einige im Inneren. Auf diese geschätzt 30 Tische kamen zwei Kellnerinnen – eine davon noch sehr jung und offensichtlich neu. Die andere berichtete mir, es gebe einfach kaum mehr Interessenten.

Ihre Erklärung: Die wenigen Bewerber, die sich überhaupt vorstellen, sehen die Größe des Ladens und sagen mit der Begründung "für den Mindestlohn tue ich mir das nicht an" ab. Denn für das Gehalt lassen sich Jobs finden, die weit weniger anstrengend sind – und die auch nicht gleich wieder mit dem nächsten Lockdown enden.

Doch was folgt daraus? Nun kann man natürlich darauf hoffen, dass sich der Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren wieder zurechtruckelt und die verbliebenen Beschäftigten bis dahin durchhalten. Das dürfte allerdings auch für die Unternehmen schwer werden: Zahlreiche Lokale haben schon jetzt zusätzliche Ruhetage eingeführt oder die Speisekarte zusammengestrichen. Und für die Fluglinien dürfte das Chaos der letzten Wochen zum Imageproblem werden – immerhin galt der Flugverkehr zumindest in Deutschland als zuverlässiger als das Reisen mit der Bahn.

Dem Gastgewerbe ist diese Hoffnung offenbar zu riskant. Zumindest etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten, die mit Tarifvertrag, können sich dieses Jahr schrittweise über ordentliche Lohnerhöhungen freuen – teils von mehr als 20 Prozent. Anders aber lassen sich keine Menschen mehr für die Jobs gewinnen, wie der Vorsitzende der bayerischen Nahrungs- und Genussgewerkschaft (NGG) kürzlich der "Süddeutschen Zeitung" sagte. Dagegen wirkt die Forderung der Gewerkschaft Verdi an die Lufthansa – 9,5 Prozent mehr für das Bodenpersonal – fast bescheiden.

Für uns Kunden heißt das: Es wird teurer. Das ist in der aktuellen Situation neben den sonstigen Preissteigerungen natürlich eine weniger angenehme Nachricht. Doch würden die profitieren, die gegenwärtig am wenigsten verdienen. Und so, wie es derzeit ist, geht es nicht weiter.

Neben angemessener Entlohnung und besseren Arbeitsbedingungen haben die Beschäftigten dieser Branchen auch noch etwas anderes verdient. Direkt nach dem letzten Lockdown, als die Gastronomie wieder aufsperrte, seien die Gäste alle so freundlich gewesen, erzählte mir die Kellnerin aus dem Brauhaus. Nun sei das vorbei. Schon wenn das Essen etwas länger dauere oder das Bier erst nach fünf Minuten auf dem Tisch stehe, werden die ersten ungehalten.

Deswegen, liebe Leserinnen und Leser: Wenn mal alles drunter und drüber geht, lassen Sie Ihren Ärger nicht an dem Bodenpersonal, an den Kellnern, Pflegekräften oder anderen aus. Das ist die falsche Adresse.


Die Termine

Annalena Baerbock ist heute erst in Griechenland und reist dann weiter in die Türkei. Thema ist natürlich der Ukraine-Krieg mit seinen Folgen, aber auch der Konflikt zwischen den beiden Staaten steht im Fokus. Die Nato-Partner streiten um Erdgasvorkommen in der Ägäis, die Stimmung ist schlecht. Jüngst drohte die Türkei gar damit, die griechische Souveränität über Inseln wie Kos, Kreta und Rhodos nicht mehr anzuerkennen.

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Die Außenministerin kündigte an, während ihres Besuchs vermitteln und "Klartext" sprechen zu wollen. Fingerspitzengefühl ist gefragt, denn besonders in der derzeitigen Lage ist die Türkei als Partner "unverzichtbar", wie es Baerbock selbst formulierte. Und auf Klartext hat die türkische Seite zuletzt äußerst allergisch reagiert.


Gesundheitsminister Karl Lauterbach stellt sich einem Klartext der anderen Art – und zwar den Fragen von Bürgerinnen und Bürgern, die das ARD-Magazin "Bericht aus Berlin" gesammelt hat. Ab 15 Uhr beantwortet er diese auf dem Facebook- und YouTube-Kanal der Tagesschau.


Friedrich Merz bereitet sich indes auf ein hochrangiges Treffen vor: Bei seinem Besuch in Litauen ist auch ein Gespräch mit der Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė geplant. Zudem besucht er einen Militärstützpunkt, an dem die Bundeswehr eine Nato-Einheit anführt.


Die Bundesagentur für Arbeit legt ihre Statistik für den Monat Juli vor. Die Beschäftigungslage in Deutschland wird von Experten als gut eingestuft, dennoch wird erwartet, dass die Arbeitslosenzahl ansteigt – vor allem, weil weitere ukrainische Geflüchtete in die Statistik aufgenommen wurden. Im Juni lag die Quote bei 5,2 Prozent.

Was lesen?

Rund um Cherson zerstört die ukrainische Armee systematisch die Brücken. Mein Kollege Martin Küper beschreibt den Plan, der dahintersteht – und was passiert, wenn dieser aufgeht.


Mit Sebastian Vettel beendet einer der erfolgreichsten Fahrer der Formel-1-Historie seine Karriere. Überraschend kommt das nicht, kommentiert mein Kollege David Digili.


Die Gaslieferungen über Nord Stream 1 wurden gedrosselt. Aber wie sieht es mit den anderen Pipelines aus und was bedeutet das für die Gasspeicher? Das weiß meine Kollegin Frederike Holewik.


Wirtschaftsminister Robert Habeck duscht schon schneller, um Energie zu sparen, und rät das auch den Bürgern. Wie viel Geld Sie mit diesem und anderen Tricks tatsächlich sparen können, hat meine Kollegin Jennifer Buchholz ausgerechnet.


Was amüsiert mich?

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag und dann einen guten Start ins Wochenende. Am Samstag hören Sie meine Kollegen Lisa Fritsch und Bastian Brauns im Podcast, am Montag schreibt Ihnen Miriam Hollstein.

Ihre

Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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