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Bombenentschärfung in Dresden: "Kein Kaffee, das kann man mit Sachsen nicht machen!"


Bombenentschärfung in Dresden
"Kein Kaffee, das kann man mit Sachsen nicht machen!"

  • Lars Wienand
Lars Wienand

24.05.2018Lesedauer: 4 Min.
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Notunterkunft in der Dresdner Messe: Am Mittwochmittag hieß es plötzlich, dass die Entschärfung unterbrochen wird.Vergrößern des Bildes
Notunterkunft in der Dresdner Messe: Am Mittwochmittag hieß es plötzlich, dass die Entschärfung unterbrochen wird. (Quelle: Sebastian Kahnert/dpa-bilder)

Auf ein paar Stündchen hatten sich die Menschen in Dresden eingestellt, dann wurde aus der Räumung eines Blindgängers eine tagelange Hängepartie. Unser Reporter hat sie in einer Notunterkunft miterlebt.

Die absurde Lautsprecherdurchsage um kurz vor 17 Uhr passt ins Bild für Gina Langenbach und Hans-Joachim Queißert. Vor fünf Minuten hatten sie auf dem Handy gelesen, dass sie es nach endlosen Stunden überstanden haben: Die Dresdner Fliegerbombe ist entschärft, alle können heim. Nun schallt durch die weitläufige Halle, dass alle jetzt zum Treffpunkt kommen sollen, die die Nacht in einer anderen Unterkunft verbringen wollen. "Die Informationspolitik ist echt schlecht."

Am Mittwochmorgen war das Paar um fünf Uhr mit kleinen Augen in der Halle angekommen, in einem Bus, der sonst bei Stadtrundfahrten im Einsatz ist. 1400 Menschen hatten sich hierher bringen lassen, vielleicht auch 1600, alle mitten in der Nacht geweckt. Gina Langenbach hatte Kekse eingepackt, und ihr Lebensgefährte hatte darüber gelacht: "Für die paar Stündchen." Wechselklamotten, Zahnpasta – das hatte hier niemand dabei. "Bombenentschärfungen, da ist man doch schnell zurück, haben wir gedacht." An etwas anderes hatte niemand gedacht.

"Wir haben hier eine kleine Familie gegründet"

Langenbach setzte sich auf einen unbequemen Plastikstuhl und hatte Verständnis, dass es so schnell kein Frühstück gab. Für die paar Stündchen. Am Mittwoch um 13.30 Uhr gab es Mittagessen, Kartoffelsüppchen. Auf den Tickern auf den Handys war zu lesen von Problemen bei der Entschärfung. Und dann kam die Nachricht, dass sie unterbrochen wird.

Es kommt nun Bewegung in die Halle. Menschen sichern sich Feldbetten, es gibt Decken dazu, weiche Decken. Gina Langenbach und Hans-Joachim Queißert sehen den Opi, der die ganze Zeit in ihrer Nähe gesessen hat und am Stock geht. Sie bauen ihm eine Liege neben ihrer auf, der Mann ist dankbar. "Wir haben hier eine kleine Familie gegründet."

"Bombenterror – ist das Nazi-Sprache?"

90 wird der Mann im August und hat die Zeit erlebt, als die Bomben gefallen sind, von denen ein 250-Kilo-Exemplar nun die Menschen hierher geführt hat. "Ich war in Halle als 15-Jähriger Flak-Helfer, da war der Bombenterror nicht so schlimm." Er hält inne. "Bombenterror – ist das Nazi-Sprache? Da haben die Bomben nicht so viel angerichtet."

Der Mann hat schwere Athritis, er hat seine Schmerztabletten nicht mitgenommen in die Halle. Für die paar Stunden. "Er hat uns auch nichts gesagt am Mittwoch", sagt Gina Langenbach.

In der Halle baut das DRK einen Med-Punkt auf, eine improvisierte Arzt-Praxis für die, die vor Aufregung und Stress Bluthochdruck bekommen, die mit Wehwehchen kommen, die sie auch dem Hausarzt zeigen könnten. Und für Menschen wie den Senior, die ihre Medikamente vergessen haben. Hier werden Rezepte ausgestellt, Arzneimittel angeliefert, auch das Schmerzmittel für den Senior auf der Liege neben Gina Langenbach. Sie stellt sich am Donnerstag für ihn in die Schlange, besorgt ihm einen Termin. "Sie ist wie eine Mutter zu mir", lacht der 89-Jährige.

"Das ist das Solidarprinzip. Wir Ossis sind so"

Die 55-Jährige hat eine andere Erklärung. "Das ist das Solidarprinzip. Wir Ossis sind so. Du kannst doch keinen Opi da alleine sitzen lassen." Sie erzählt davon, dass sie an der Steckdose hinter der Liege "bestimmt auf hundert Handys" aufgepasst hat. Mit Ladekabeln half man sich untereinander, "die hatte ja auch niemand dabei".

Ihr Sohn hat auch ein paar verschiedene Modelle und eine Mehrfachsteckdose mitgebracht, einen Pulli für Hans-Joachim Queißert, die Tochter hat Gina Langenbach Textilien gebracht. Zahnbürste und Handtuch hat das DRK spendiert, "ein sehr schönes Handtuch", sagt Langenbach und zeigt das gelbe Wäschestück. "Die vom Roten Kreuz, die tun, was sie können."

Problem: keine Inkontinzartikel

Ein paar Liegen weiter beschwert sich eine Frau: keine Inkontinzartikel habe sie bekommen trotz mehrfacher Zusicherung. In der Halle nebenan riecht es vielerorts nach Urin, hier liegen dicht an dicht Menschen aus Alten- und Pflegeheimen. Widrige Bedingungen für alle.

Und kein Kaffee am Morgen. Kuchen hat der örtliche Bäcker Schulze gespendet, aber Kaffee gibt es nicht. "An der Essensausgabe hieß es, der sei nicht genehmigt worden." Unmut klingt durch. "Kein Kaffee, das kann man mit Sachsen nicht machen!" Gut geschlafen hat sie nicht. "Da weint ein Baby, da knallen Türen, ich habe kaum ein Auge zugemacht. So ist das eben."

Tumultartige Szenen

Sauer ist sie aber am Donnerstagmittag. Auf großen Anschlägen ist zu lesen, dass der soziale Dienst der Stadt für "Besucher" der Halle eine Unterbringung in Hotels und Pensionen organisiert. "Es hieß, alle müssen raus. Und die Unterkunft sollte 80, 90 Euro kosten! Dafür, dass ich zu Hause rausgeschmissen wurde, wo ich Miete zahle?!" Die Stimmung sei da umgeschlagen, tumultartige Szenen habe es gegeben. Menschen seien gedrängt worden, in Pensionen zu gehen, Langenbach fühlte sich herausgefordert, alten Leuten beizustehen.

"Es ist für so vieles Geld da, 2015 gab es plötzlich Unterkünfte für Hunderttausende, und jetzt sollten wir hier rausgeworfen werden?" Es hätte den Rednern montags bei Pegida Futter gegeben, wenn es sich bewahrheitet hätte. Schließlich heißt es aber, dass die Notunterkunft notfalls geöffnet bleibt.

Als der Löschroboter die Bombe herunterkühlt, beruhigen sich auch die Gemüter in der Halle etwas. Die Menschen können auch noch eine Nacht hier verbringen, heißt es. Ein Bustransfer zu Duschen in einer nahen Sporthalle ist schon organisiert, da ist die Bombe entschärft, Menschen jubeln. Und Gina Langenbach und Hans-Joachim Queißert sind schnell fertig mit Packen. Wie das eben ist, wenn man Sachen für ein paar Stündchen mitnimmt.

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