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"Querdenker" machen sich im Flutgebiet Bad Neuenahr-Ahrweiler breit


Wie "Querdenker" die Not der Flutopfer ausnutzen


20.07.2021Lesedauer: 8 Min.
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Pause im Chaos: Erschâpfte Menschen in der Altstadt von Bad Neuenahr-Ahrweiler.Vergrâßern des Bildes
Pause im Chaos: ErschΓΆpfte Menschen in der Altstadt von Bad Neuenahr-Ahrweiler. (Quelle: Bram Janssen/ap-bilder)

Corona-Rebellen nutzen die Flutkatastrophe, um sich in Szene zu setzen. Bad Neuenahr-Ahrweiler wird zum "Querdenker"-Nest. Die Polizei hat damit noch eine Baustelle mehr.

Der Satz fΓ€llt vΓΆllig zusammenhanglos im Videostream direkt aus der selbst ernannten Kommandozentrale: "Hier ist maskenbefreite Zone!"

Es ist ein als Antisemit bekannter AngehΓΆriger der "Gelbwesten Berlin", der diesen Satz spricht. Zusammen mit anderen Gruppen, die gegen Corona-Maßnahmen Stimmung gemacht und vom Putsch getrΓ€umt haben, sitzen sie jetzt in einer Schule in Bad Neuenahr-Ahrweiler – und prΓ€sentieren sich als Retter in der Not.

Lehrerzimmer und Sekretariat sind zur Kommandozentrale einer Parallelstruktur geworden, angeblich mit UnterstΓΌtzung der Schulleitung. Andere reden davon, die Schule sei "besetzt" worden. Die Stadt erklΓ€rt, kein EinverstΓ€ndnis zur Nutzung gegeben zu haben. Lehrerzimmer und Sekretariat wΓΌrden nicht mehr genutzt.

Das Chaos ist groß, nicht nur in der Schule. Und es macht das Leben der wirklichen Helfer inzwischen zusÀtzlich schwer.

Der "Peace Officer" im Quasi-Polizeifahrzeug

Am Dienstag musste die Polizei Koblenz auf Twitter eine Warnung absetzen: "Fahrzeuge mit Lautsprechern, die polizeilichen Einsatzfahrzeugen Γ€hneln, verbreiten die Falschmeldung, dass Polizei- und RettungskrΓ€fte die Anzahl der EinsatzkrΓ€fte reduzieren. Wir sind ununterbrochen da!"

Es war offenbar das "Friedensfahrzeug" eines selbst ernannten "Peace Officers", der fΓΌr die "Friedens- und Wahrheitsbewegung" an der Ahr im Einsatz ist. "Peace" statt Polizei steht auf dem Auto, das ansonsten eine identische Lackierung hat. Der Mann hatte unter anderem behauptet, dass die Flutkatastrophe auch durch gezielte Wettermanipulationen ausgelΓΆst worden sein kΓΆnnte. Seine Basis hat der "Peace Officer" in der "Kommandozentrale" in der Schule.

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Doch nicht nur der "Peace Officer" und der Berliner Antisemit stiften von der Schule aus Unruhe, wΓ€hrend Scharen von Ehrenamtlichen und Freiwilligen zeitgleich einfach ihre Arbeit machen. Da wΓ€re zum Beispiel noch der "FΓΌhrer Kommandozentrale und Stabsgruppe". So bezeichnet sich im "Befehl Nr. 1 zur DurchfΓΌhrung von UnterstΓΌtzungsleistungen" ein Oberst a.D., der der BundeswehrfΓΌhrung nach t-online-Informationen inzwischen sehr unangenehm ist.

Dieser Mann heißt Maximilian Eder, war unter anderem Kommandeur beim Kosovoeinsatz der Bundeswehr und Leiter des Stabs beim Kommando SpezialkrÀfte. In der Corona-Zeit hatte er unter anderem gefordert, man "sollte das KSK mal nach Berlin schicken und hier ordentlich aufrÀumen. Dann kânnt ihr mal sehen, was die kânnen." Die Bundeswehr werde den Bürger vor dem "Polizeimob" schützen, sagte er da.

Der Ex-Soldat hat sich fΓΌr den Fluteinsatz mit einem Ex-Polizisten zusammengetan: Karl Hilz, Vorsitzender des kleinen in der Corona-Krise entstandenen Vereins "Polizisten fΓΌr AufklΓ€rung", der den Befehl mitunterzeichnet hat. Er gehΓΆrt ebenfalls der "Friedens- und Wahrheitsbewegung" an. Um Teilnehmer wirbt zudem ein "Reservistenpool", der sich auch gegrΓΌndet hatte, um sich schΓΌtzend zwischen "Querdenker"-Demonstranten und Polizei zu stellen. In der Stadt werden Zettel fΓΌrs Auto mit dem Aufdruck angeboten, wer die habe, komme durch.

Laut Befehl fΓΌr den Einsatz sind "Uniform/Feldanzug" zu tragen, wo "verfΓΌgbar und zulΓ€ssig". Handgeld ist zu erhalten von Oberst Eder, "vorab freundlicherweise zur VerfΓΌgung gestellt von Bodo Schiffmann". Damit kommt eine SchlΓΌsselfigur der "Querdenker"-Szene ins Spiel.

Hauptsache, es hilft jemand

Der HNO-Arzt Bodo Schiffmann, der zuletzt eigentlich Safaris fΓΌr "Querdenker" in Tansania organisieren wollte, wirbt jetzt fΓΌr HilfseinsΓ€tze seiner AnhΓ€nger im Krisengebiet. Busfahrten sind dafΓΌr in Vorbereitung, Bad Neuenahr-Ahrweiler kann zu einer Hochburg der Aktivisten werden. "Ich freue mich ΓΌber die Flutkatastrophe", sagt Schiffmann in einem Video. Das klinge blΓΆd, "aber ich freue mich, weil die Menschen wieder ihre Menschlichkeit entdecken".

"Querdenken" hat dagegen eine neue MΓΆglichkeit entdeckt, sich zu inszenieren.

Beim rheinland-pfΓ€lzischen Innenministerium spricht man von einem "bekannten und gΓ€ngigen Muster, dass insbesondere Rechtsextremisten akute Krisensituationen ausnutzen, indem sie sich vordergrΓΌndig als 'KΓΌmmerer vor Ort' ausgeben". Eigentliches Ziel sei es, extremistisches oder verschwΓΆrungstheoretisches Gedankengut zu verbreiten und fΓΌr die Mitte der Gesellschaft anschlussfΓ€hig zu machen.

TatsÀchlich gibt es an der Ahr nicht wenige Menschen, denen es egal ist, ob ihnen ein "Querdenker" oder Nazi hilft. Hauptsache, es hilft jemand. Denn da gab es große Lücken, über die die Einsatzleitung wenig spricht. Und die die selbst ernannten Helfer für sich nutzen kânnen.

Diese Lücken zu erklÀren, blieb beispielsweise der Feuerwehr Osnabrück überlassen, die inzwischen wieder in der Heimat ist: "Wir sind irritiert über Kommentare, die dem Katastrophenschutz, das sind auch wir, generelles Versagen vorwerfen", heißt es dort. Das Wesen einer Katastrophe sei es, dass wirklich schlimme Dinge passierten, Helfer vor Ort nicht ausreichten und ein Überblick gewonnen werden müsse, was an Hilfe fehle und von wo die kommen kânne. "Es ist also recht einfach, am Anfang einer Katastrophe irgendwo hinzufahren und schlimme Dinge und zu wenig Helfer vorzufinden."

Anders als die Einsatzleitung gibt Schiffmann stÀndig Updates darüber, wie die Hilfe lÀuft. Er verkündet Erfolge, die er den eigenen Leuten zuschreiben kann und Misserfolge, die die Behârden schlecht aussehen lassen. Da heißt es dann mal, dass Mantrailer-Hunde nur herumgesessen hÀtten und nicht eingesetzt worden seien, was nach Auskunft von Feuerwehr und DRK nicht stimmt. Aber es gibt natürlich vieles, was nicht rund lÀuft in einer Lage, die es so dort nie gegeben hat und bei der die Einsatzleitung inzwischen vom überforderten Kreis auf das Land übergegangen ist.

Enorme Spendenbereitschaft

Die Bereitschaft, zu helfen und fΓΌr die Flutopfer zu spenden, ist deutschlandweit laut Aussagen diverser Hilfsorganisationen enorm. Schiffmann kann ΓΌber seine AnhΓ€nger ohnehin schnell Geld zusammenbringen, vor Kurzem erhielt er nach eigenen Angaben binnen eines Tages rund 100.000 Euro an Schenkungen zum Ausgleich seines GeschΓ€ftskontos.

Schiffmann hat nun dank seiner 140.000 Abonnenten bei Telegram und darΓΌber hinaus verbreiteter BeitrΓ€ge weit ΓΌber 500.000 Euro beisammen. Zu "100 Prozent" komme das Geld den Flutopfern zugute, hat er versichert und transparenten Umgang mit Rechnungen versprochen.

Der Jurist Chan-jo Jun, der die "Querdenker"-Bewegung kritisch verfolgt, sieht allerdings eine strafbare MissbrauchsmΓΆglichkeit. Beteiligten Firmen befreundeter "Querdenker" kΓΆnnte bei dem Konstrukt Geld zugeschoben werden. "Honk for Hope", die Organisation, die Bustransfers zu den "Querdenker"-Demos anbot, will fΓΌr Teilnehmer kostenlos "Hochwasser-Helferbusse" aus verschiedenen Teilen Deutschlands ins Krisengebiet fahren lassen. Ihr Kopf Alexander Ehrlich wies eine Bereicherungsabsicht zurΓΌck. FΓΌr die Busfahrten werde niemandem etwas in Rechnung gestellt.*

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Schiffmann hat auch einer Firma 12.000 Euro am Tag in Aussicht gestellt, damit diese ihr schweres GerÀt nicht schon aus dem Krisengebiet abzieht. Die Befürchtung stand im Raum, schließlich waren es Fahrzeuge, die im engen Zusammenspiel mit rÀumenden Landwirten eingesetzt wurden.

Große Dankbarkeit an Landwirte

Hier kommt eine andere Gruppe ins Spiel. "Land schafft Verbindung", eine Protestorganisation entstanden aus Unmut ΓΌber die Agrarpolitik, ist beteiligt. Der KΓΆlner Landwirt und Lohnunternehmer Marcus WipperfΓΌrth war trotz eigener Betroffenheit einer der ersten, der aufgebrochen war und seither fast im Stundentakt vom Einsatz im Flutgebiet berichtet. Zuerst hatte er verkΓΌndet, dass mit dem Geld von Schiffmann der Einsatz weitergehen kΓΆnne. Am Dienstag verbreitete er, dass die Firma die 12.000 Euro pro Tag von Schiffmann nicht brauche. Dem ZDF erklΓ€rte er spΓ€ter: "Ich wusste nicht, wer mich da angerufen hat. Dann kam raus, wer das war, da ist das abgelehnt worden." Er wisse, warum er einen Mundschutz trage und sich impfen lasse.***

In Berlin hatte "Land schafft Verbindung" lange demonstriert, Menschen aus dem "Querdenker"-Umfeld hatten dort Bündnisse schmieden wollen. Es gibt Kontakte untereinander, und deshalb gibt es bei "Land schafft Verbindung" auch Spannungen. Auf Telegram erweckt eine Gruppe "Landvolk schafft Verbindung" mit einem schwarz-weiß-roten Logo mit Schwert und Pflug gar den Anschein, für die Hilfe maßgeblich zu sein. Das Landvolk war ein Wegbereiter des Naziregimes. Lediglich in Niedersachsen heißt der Landesverband des Bauernverbands heute Landvolk.**

Damit hat aber die große Masse der Bauern überhaupt nichts zu tun. Im Hilfseinsatz bekommen sie wahrscheinlich kaum mit, wer wie über sie berichtet und sie vereinnahmen will. Sie waren an Orten und an Straßen, an denen sonst noch keine Hilfe war. "Sie müssten die Dankbarkeit der Betroffenen sehen", sagt Franz-Josef SchÀfer, Vorsitzender des Kreisbauernverbands. Hunderte Landwirte seien im Einsatz. Es sei schon immer so gewesen, dass Bauern in solchen Situationen helfen.

Dass es so schnell so viele Helfer aus der Landwirtschaft gewesen seien, liege an "Land schafft Verbindung": "Die sind unheimlich gut vernetzt, um in kΓΌrzester Zeit viele Kollegen zu mobilisieren. Das bekommt kein Bauernverband hin." Von allen mΓΆglichen land- und forstwirtschaftlichen VerbΓ€nden seien Helfer da, "hier arbeiten Leute Seite an Seite, die sonst nicht so gut aufeinander zu sprechen sind". Und die auch etwas bewegen kΓΆnnen. Er sagt, er bekomme Hilfsangebote aus der ganzen Republik. "Aber ich bin nicht der Veranstalter hier, ich helfe selbst nur mit." Es sprechen auch Frust und EnttΓ€uschung aus ihm, dass vieles bisher nicht funktioniert.

Kinderbetreuung von "Querdenkern"

Bei den "Querdenkern" sieht das aus der Ferne eingespielter, schneller und einfacher aus. Sie verbreiten schnell AnkΓΌndigungen – wenn sich etwas nicht bestΓ€tigt, fragt auch selten jemand nach. Sie haben bei Telegram einen Account "@Flutmanager" aufgesetzt, an den Angebote geschickt und mit einer Software mit Gesuchen zusammengebracht werden sollen.

Am Wochenende sollte in einer frΓΌheren Kaserne eine Kinderbetreuung vom Verein "Eltern stehen auf" erΓΆffnet werden. Die Frauen an der Spitze sind Hardcore-Maskengegnerinnen: Sie hatten es zwischenzeitlich abgelehnt, auf Demos zu sprechen, weil das bedeutet hΓ€tte, Auflagen zum Maskentragen zu akzeptieren – und aus ihrer Sicht: zu legitimieren. "Dagegen kΓ€mpfen wir doch." Auch Corona-Impfungen lehnt der Verein ab.

Manche dort sind tief abgerutscht in die VerschwΓΆrungswelten von "QAnon": In der ΓΆrtlichen "Eltern stehen auf"-Gruppe Eifel/Trier wurde am Sonntag ein Beitrag zum mΓΆglichen Hintergrund des Hochwassers geteilt: Es kΓΆnnte dazu gedient haben, den frΓΌheren Regierungsbunker in der Stadt zu fluten, um Beweise zu vernichten. Die Administratorin hΓ€ngt offenbar selbst "QAnon" an. Dort herrscht der absurde Glaube, in Bunkern wΓΌrden Kinder festgehalten.

Auch ein Kindercamp wurde geplant, mit einem mehr als fragwΓΌrdigen Organisator: Beteiligt ist ein Mann aus dem "ReichsbΓΌrger"-Umfeld mit seiner Organisation, die Kinder aus den vermeintlichen FΓ€ngen der JugendΓ€mter befreien will.

Das rheinland-pfÀlzische Familienministerium reagierte schnell: Es wies darauf hin, "dass es sich bei dem 'Familienzentrum' des Vereins 'Eltern stehen auf' in Bad Neuenahr-Ahrweiler NICHT um ein mit der Einsatzleitung des Landes abgestimmtes Angebot handelt". Ein abgestimmtes Angebot für Familien in den betroffenen Gebieten sei im Aufbau. Man wirke auf eine Schließung des "Familienzentrums" hin.

"Die Lage genauestens im Blick"

In der "Kommandozentrale" in der Schule in Bad Neuenahr-Ahrweiler, von der aus die "maskenbefreite Zone" ausgerufen wird und wo auch der "Peace Officer" mit seinem falschen Polizeifahrzeug manchmal steht, ist am Montag die echte Polizei mit einem grâßeren Aufgebot angerückt.

Wozu der Einsatz diente, sagte die Polizei auf Anfrage nicht. Am Dienstag schrieb sie auf Twitter: "Wir haben die Lage in Bezug darauf genauestens im Blick und sind mit zahlreichen Polizisten vor Ort." Polizeiliche Maßnahmen benâtigten allerdings immer eine Rechtsgrundlage. "Solange nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird, haben wir als Polizei keine Handhabe."

In Abstimmung mit der technischen Einsatzleitung, hieß es weiter von der Polizei, werde aber mit aller Entschiedenheit gegen Menschen eingeschritten, "die unter dem Anschein von Hilfe die Lage für politische Zwecke missbrauchen".

Die vermeintlichen Helfer in der "Kommandozentrale" mΓΌssen sich derweil auch mit ihren ganz menschlichen Problemen herumschlagen. Bodo Schiffmann hatte versucht, vom NΓΌrburgring 300 ToilettenhΓ€uschen loszueisen und dafΓΌr offenbar zunΓ€chst eine Zusage. Dann meldete er sich: "Sie werden nur an offizielle Stellen ausgegeben. Wenn es nicht so traurig wΓ€re, mΓΌsste man lachen."

*Der Text wurde nach VerΓΆffentlichung mit der Reaktion von Alexander Ehrlich ergΓ€nzt.

**An dieser Stelle wurde ergΓ€nzt, dass der Landesbauernverband Niedersachsen den Namen Landvolk trΓ€gt.

***Die ErklΓ€rung von Markus WipperfΓΌrth wurde nahctrΓ€glich ergΓ€nzt

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