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Ärger im Ahrtal: Fluthelden auf Besatzerkurs


Ärger im Ahrtal
Fluthelden auf Besatzerkurs

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 06.02.2022Lesedauer: 16 Min.
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Beste Freunde in der Flut: Wilhelm Hartmann und Markus Wipperfürth kamen gemeinsam, packten gemeinsam an und kämpfen weiter gemeinsam, um ihre Vorstellungen durchzusetzen.Vergrößern des Bildes
Beste Freunde in der Flut: Wilhelm Hartmann und Markus Wipperfürth kamen gemeinsam, packten gemeinsam an und kämpfen weiter gemeinsam, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. (Quelle: Rike Schmickler-Bouvet, Montage:t-online)

Sie kamen als Helfer an die Ahr und wurden Fluthelden, nun sind sie für manche Besatzer: Zwei Unternehmer haben sofort angepackt. Doch inzwischen wächst das Unbehagen, weil sie ihre riesige Fangemeinde auf Facebook als Druckmittel einsetzen.

Wilhelm Hartmann war wahrscheinlich der erste Helfer nach der verheerenden Flutnacht an der Ahr, von dem die Welt erfuhr. Beim hessischen Radiosender FFH ging am 15. Juli um 8.40 Uhr seine Sprachnachricht auf den Sender: Er ist aus Fulda mit Gerät seines Gartenbaubetriebs unterwegs.

So begann eine Heldengeschichte mit ihm und Markus Wipperfürth in den Hauptrollen, zwei Männern, die sich enorme Verdienste erworben haben und ihr Epos auch gegen Widerstände selbst fortschreiben.

Niemand an der Ahr hat so viel Social-Media-Power: Sie betreiben große Facebook-Accounts mit Hunderttausenden Abonnenten und bringen sehr viel Sendungsbewusstsein mit. Wipperfürth macht auf Facebook "Wippi TV" und begleitet seit Jahren die Bauernthemen und -proteste mit Live-Videos, Hartmann ist "Azubi Wilhelm Hartmann", seit er mal für Wipperfürth bei einer Demo eingesprungen ist. Die Bauern haben oft einen schweren Stand, Wipperfürth und Hartmann wissen zu kämpfen.

Der Meister und sein Lehrling halten auch an der Ahr zusammen und sie sind zu Gesichtern der Flutkatastrophe geworden: Die beiden Männer sind gekommen, haben in der Katastrophe nicht gefackelt, sondern losgelegt, ohne auf Antworten überforderter Behörden in Schockstarre zu warten. Das war wichtig.

Weil sie ausgiebig davon erzählt haben, haben sie sich enormen Respekt erworben. Sie haben große Summen an Spenden und an Einnahmen generiert und viele Helfer inspiriert. Man findet kaum jemanden an der Ahr, der nicht sagt, dass sie Großes geleistet haben.

Dann kommt bei einigen das Aber.

Denn Wipperfürth und Hartmann kamen nicht aus ihrem Einfach-machen-Krisenmodus raus. Sie sind geblieben, haben weiterhin nicht viel gefragt, sondern gemacht. Und dann ihre Anhänger mobilisiert und Shitstorms entfacht, wenn es nicht lief, wie sie wollten.

Manch einer in der Region hat inzwischen Angst vor den Männern, die zum Helfen gekommen sind, ihr Tun bei Facebook verbreiten und sich so eine verschworene Anhängerschaft aufgebaut haben. Bürgermeister erhoffen sich ein Zeichen gegen den aus ihrer Sicht zu großen Einfluss, kritische Stimmen verschwinden.

Sie sahen Katastrophe kommen

Wie aber konnte es überhaupt passieren, dass die Helfer zunehmend auch als Besatzer wahrgenommen werden? Durch umfangreiche Recherchen und Gespräche mit Dutzenden Menschen in Hilfsdiensten, Unternehmen und Verwaltungen rekonstruiert t-online die Geschichte vom gekaperten Ahrtal.

Es fing alles damit an, dass Wilhelm Hartmann und Markus Wipperfürth schon bereit waren, als andere die Katastrophe nicht mal kommen sahen. Beide haben mit der Landwirtschaft zu tun, Hartmann ist zudem im Winterdienst tätig. Sie haben ein Auge fürs Wetter. Und Hartmann hat zwei Mal beim Elbe-Hochwasser geholfen.

Als der Fuldaer am 14. Juli abends eine neue WhatsApp-Gruppe "Fluthilfe NRW" eröffnet und Wipperfürth hinzufügt, hat der Kreis Ahrweiler noch nicht mal Katastrophenalarm ausgelöst.

Feuerwehrfrau erstes Opfer unter Helfern

Unter Helfern an der Ahr gibt es da aber bereits das erste Opfer. Der 19-jährigen Katharina Kraatz kann an dem Abend gegen 18 Uhr niemand mehr helfen, als sie helfen will. Die Feuerwehrfrau stirbt, weil sie auf einem Campingplatz in einem Mobilheim eine bettlägerige Frau retten will. Das Wasser kommt zu schnell, auch ein Hubschrauber kann das Schlimmste nicht verhindern.

Auf ihrer Todesanzeige steht der 18. Juli. Es ist der Tag, an dem ihr Leichnam ahrabwärts gefunden wird. Bei der Flut sterben im Ahrtal mindestens 134 Menschen.

Auch Wipperfürth und Hartmann müssen Tote sehen in den ersten Tagen. Sie haben sich am späten Vormittag des 15. Juli bei Haribo verabredet. Der Konzern hat nur wenige Kilometer oberhalb der Ahr seine Zentrale. Dort treffen nun Einsatzkräfte ein und werden verteilt. Für die achtköpfige Helfergruppe um Hartmann und Wipperfürth geht es mit den Geräten zur Feuerwehr Bad Neuenahr, von dort in den Stadtteil Walporzheim, in dem sich Schutt und Autos meterhoch stapeln.

Es gibt unglaublich viel zu tun. Der örtliche Bauunternehmer Hans-Bernd Münch hat schon seit dem Morgen Zufahrtswege in Walporzheim freigebaggert und freut sich, dass nach einer Gruppe THWler weitere Verstärkung da ist.

Zum Posten auf den Berg

Um 16.09 Uhr postet Wipperfürth das erste Foto von dort. Er muss dafür auf den Berg, es gibt kaum Netz im Ahrtal. Die Resonanz ist gewaltig. Wipperfürths Seite wächst zur "wohl größten Plattform für Hilfsangebote und -gesuche im Zusammenhang mit der Flut", schreibt der Branchendienst meedia.de und wertet aus: Wipperfürth bekommt in der ersten Tagen nach der Flut so viele Facebook-Reaktionen wie "ZDF heute", "Bild", "tagesschau" und "Der Spiegel" zusammen.

Am 16. Juli rückt viel Verstärkung an. Hartmann filmt sie mit den Worten: "Das ist keine Bundeswehr, das ist kein THW, das sind unsere deutschen Landwirte." Die Bilder vom Tross der Traktoren, die bis heute 2,1 Millionen Aufrufe haben, machen damals viel Hoffnung und setzen eine Botschaft: Auf den Staat ist kein Verlass, auf die Landwirte schon.

Tatsächlich hat der Staat gar nicht so viele wendige Maschinen so schnell verfügbar wie die Landwirte, und die 500 Fahrzeuge der Bundeswehr mit Bergepanzern und Pontonbrücken kommen erst später.

Die Landwirte zur Verstärkung in seinen Bildern stammen überwiegend aus dem nahen Westerwald. In anderen Teilen des Tals gehen Bauern und Bauunternehmen aus anderen Regionen ans Werk. Sie bringen die Einstellung mit, die Wipperfürth demonstriert: "Wir sind hier unentgeltlich", erklärt er. "Ob wir noch was kriegen, wäre natürlich schön, ich gehe davon aus, dass nicht."

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Hunderttausende Euro mit Facebook-Werbung

Wipperfürth hat ein halbes Jahr später Aufträge für mehrere Hunderttausend Euro im Ahrtal erhalten. Das ist auch nicht ehrenrührig – wieso sollten Firmen nicht bezahlt werden? Es macht aber keine Helden aus.

Weitere Arbeiten haben ihm die Zuschauer seiner zahllosen Videos und Facebooks Werbekunden finanziert. Davon hat er nach seinen Worten Reitplätze saniert, ein Geschäftszweig seines Unternehmens.

Damit seien die Werbeeinnahmen ja auch dem Aufbau zugute gekommen. Reitplatz-Sponsoring war vielleicht nicht das, was manch ein Zuschauer erwartet hat. Wipperfürth hätte aber auch alle Einnahmen aus Werbung von mehreren Hunderttausend Euro ohne Arbeit einfach aufs Konto fließen lassen können – abzüglich "unnötiger Kosten, die durch die Seite anfallen. Der Stundensatz eines renommierten Medienanwalts liegt bei 300 bis 400 Euro." Das zahle er auch von der Werbung.

"Wahnsinn, wie viele helfen"

Nicht nur die Bauern strömen ins Tal. "Es ist Wahnsinn, wie viel Leute jetzt hier zum Helfen sind", berichtet Wipperfürth am Tag zwei direkt aus dem Einsatz. "Ich seh's ja nur hier bei uns in der Ecke, und wir können nur für uns sprechen." Es kommen überwältigend viele, die den Menschen an der Ahr helfen wollen.

So viele, dass die Appelle in Erinnerung bleiben, bitte nicht mehr zu kommen, weil es kein Durchkommen mehr gibt auf den verschlammten, mit Unrat übersäten und kaputten Straßen.

Für dieses Problem gibt es am dritten Tag eine Lösung: Das Helfer-Shuttle startet. Von gut erreichbaren Orten auf der Höhe werden die Helfer nun gesammelt mit Bussen ins Tal gebracht, die Zentrale ist wieder in der Nähe von Haribo. Die Shuttle-Initiatoren Marc Ulrich und Thomas Pütz, die beide im Tal zu Hause sind, ahnen noch nicht, wie eng ihr Verhältnis zu Wipperfürth und Hartmann noch werden wird. Ihr Helfer-Shuttle und ein Containerdorf von Hartmann sind Nachbarn geworden.

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An der Geschichte der Container lässt sich festmachen, wieso es auch großen Unmut über die Helfer und ihre Methoden gibt.

Ausgemusterte Flüchtlingsunterkünfte

Am 21. August landen Container im Ahrtal, die ein Obstbauer aus dem Fränkischen doch nicht wie geplant für Saisonarbeiter nutzen kann. Er hat sie an Hartmann verkauft, für 155.000 Euro. Allerdings ohne konkretes Zahlungsziel. "Wenn es gar nicht gegangen wäre, hätte ich sie auch zurückgenommen", sagt der Bauer t-online. Hartmann überweist zwar Raten, aber Mitte Januar 2022 wartet der Obstbauer noch immer auf Geld.

Die Container sind ausgemusterte Flüchtlingsunterkünfte aus Hessen, die wegen ihrer schlechten Isolierung in der Kritik gestanden hatten und nie voll belegt waren.

Derartige Wohnboxen aus der Zeit der Flüchtlingskrise gibt es viele in Deutschland. Das Land Berlin hat dem Kreis Ahrweiler nicht benötigte Wohn- und Sanitärcontainer überlassen. 288 Stück bekam der Kreis laut landeseigener Berliner Immobiliengesellschaft, ohne dafür einen Cent zahlen zu müssen.

Hartmann ist dennoch von seinen Containern ergriffen, als der erste in Walporzheim abgesetzt wird. "Gänsehaut", sagt er im Video. Nur: "Es hat bisher noch keiner hierzu offiziell Ja gesagt", beklagt er. "Euer Bürgermeister, den ich nicht denunzieren möchte, bezweifelt die Notwendigkeit", sagt er im Live-Video. Es geht um Bad Neuenahr-Ahrweilers Stadtchef.

"Von völlig anderer Dimension ausgegangen"

Ahraufwärts hatte der Ort Dernau die Container rundweg abgelehnt. In Walporzheim hatte Hartmann schon ein Zelt aufgestellt, dem der Ortsvorsteher zugestimmt hatte. "Seinerzeit ist er jedoch von einer völlig anderen Dimensionierung ausgegangen – von einem Containerdorf war bis dahin nicht die Rede", heißt es von der Stadt Bad Neuenahr.

Das habe sich "durch weitere Ausbaustufen entwickelt". Bedarf für die Wohncontainer sieht sie nicht: Über von "Deutschland hilft" gestellte "Tiny Houses" hinaus hat sich die Stadt für obdachlos gewordene Bewohner 48 Wohneinheiten in Containern gesichert.

Damit gibt es mehrere Kritikpunkte:

  • Der erste: Hartmann steht vor Containern, mit denen er Fakten geschaffen hat und er will, dass er jetzt dafür bezahlt wird, obwohl die Kommune sie nicht für nötig hält.
  • Der zweite: Er hat sie auch selbst noch nicht bezahlen müssen und der Verkäufer würde sie zurücknehmen, sie sind kostenlos angeliefert und angeschlossen worden. Das große Zelt daneben ist zunächst kostenlos zur Verfügung gestellt und kostet sonst monatlich 5.000 Euro, wie er in einem Video sagt. Hartmann spricht dennoch umgehend öffentlich davon, dass er mit 250.000 Euro aus eigenen Mitteln in Vorleistung gegangen ist. In einem Telefonat mit t-online erklärte er, wie er zu der Aussage gekommen ist. Er zog dann aber alle Äußerungen aus dem Gespräch zurück.
  • Der dritte: Ihr Standort ist im Überschwemmungsgebiet. "Das war der denkbar schlechteste Platz, den man sich vorstellen kann", sagt Marc Ullrich. "Es brauchte also einen anderen Ort."
  • Der vierte: Hartmann fordert die Bevölkerung im Video emotional auf, dem Bürgermeister die Notwendigkeit seines Containerdorfs zu erklären. Der Stadt kommt das bekannt vor: Hartmann habe durchblicken lassen, seinen Facebook-Anhängern werde eine Absage nicht gefallen: Durch die Blume eine Drohung mit einem Shitstorm. Auch eine Erklärung dazu hat er zurückgezogen.

Im Rathaus ist man derweil verwundert: 920.000 Euro will Hartmann für zehn Monate Betrieb der Container und des Zelts haben, das zu einem wichtigen Umschlagplatz für gespendete Baustoffe geworden ist. Auf Kosten anderer Baustofflager im Tal, heißt es aus anderen Orten.

"Kosten nicht in Relation zum Mehrwert"

Bei einem ersten Gespräch habe Hartmann noch für einen kürzeren Zeitraum 70.000 bis 90.000 aufgerufen, so die Stadt. "Kosten wurden nicht plausibel dargelegt, und die Höhe stand nicht annähernd in Relation zum entstandenen Mehrwert", teilte die Verwaltung t-online auf Anfrage mit.

Zuständigkeiten und Verantwortliche wechseln zu dieser Zeit häufiger mal oder sind unklar, es ist ein Ärgernis für viele Helfer. Auch Hartmann und Wipperfürth beklagen sich. Bei den Containern ist es eine Chance: Hartmann ist nach der Absage der Stadt schon in Gesprächen mit dem Kreis. Es werden aber noch Wochen vergehen, bis die Situation am 15. Oktober eskaliert.

In der Öffentlichkeit baut sich überregional Unverständnis auf, dass der nette Mann mit seinen hohen Ausgaben so von den ohnehin ungeliebten Behörden im Stich gelassen wird. Wipperfürth und Hartmann schüren das Unverständnis und schaffen es immer wieder, alle Helfer als Zielscheibe von Kritik darzustellen, wenn vor allem sie gemeint sind.

Schon Anfang August hatten sie eine Pressekonferenz einberufen, um zu sagen, dass sie auf Geld warten. Da sprechen sie auch noch vielen Unternehmern aus dem Herz, auch wenn klar ist, dass die Ortsvorsteher und Ortsbürgermeister formlos Aufträge erteilen und dafür Geld fließen wird. Wipperfürth erklärt: "Ich habe bis jetzt noch keinen Cent gesehen." Sie könnten aber auch nicht abbrechen. "Wir haben so viele Themen, dass wir bestimmt bis Weihnachten hier aktiv sind.“

Helfer weiter willkommen
Die Aufgaben an der Ahr haben sich verlagert, für viele Arbeiten kommt inzwischen nur Fachpersonal infrage. Es gibt aber weiterhin Bedarf, absehbar sollen Gärten begrünt werden. Informationen und Anmeldung unter helfer-shuttle.de. Informationen, wie geholfen werden kann, gibt es auch auf helfer-stab.de.

Nachdem die Container stehen, bittet Hartmann auf Facebook um Unterstützung, "da sich nun unsere eigenen finanziellen Kräfte, auch aufgrund persönlich übernommener erheblicher Kosten der Container dem Ende neigen." Fast im Minutentakt schreiben Menschen, dass sie überwiesen haben und wie empört sie sind, dass der Staat nicht zahlt.

Dafür können Hartmann und Wipperfürth am 8. September Behördenvertreter an den Containern empfangen – zu sehen im Stream – und berichten, wie begeistert die höflich-interessiert aufgetretenen Gäste gewesen seien.

Spendenaktion für Hartmanns Firma

Zwei Wochen später hat er an den Containern Richtfest gefeiert, aber noch kein Geld bekommen. Der Spendenaufruf geht in die nächste Runde: Unterstützer sollen jetzt spenden, damit Hartmann für seine Firma Streusalz kaufen kann, solange das Salz noch verfügbar und günstig sei.

Hartmann ist in weiten Teilen Hessens im Winterdienst tätig. Im Winter ist die Haupterntezeit für seinen Gartenbautrieb. Ohne Absprache habe ein Helfer den Aufruf gestartet – Hartmann wehrt sich aber nicht. Es geht auch mindestens eine fünfstellige Summe für "Hilfe für Helfer" auf dem Firmenkonto ein. Das Geld soll inzwischen anderen Hilfsorganisationen zugutekommen. Von einem anderen privaten Spendenkonto hat er auch Geldkuverts und Möbelhausgutscheine verteilt und sich dabei filmen lassen.

Wipperfürth und Hartmann haben zwar bezahlte Aufträge an der Ahr zum Aufräumen, aber warten auch weiter auf Geld von den Behörden; für die Container und das Zelt ist weiter keine Zahlung in Aussicht.

"Guckt, dass das geregelt wird!"

Es könnten auch Landwirte für Hartmanns Bezahlung demonstrieren, sagt Wipperfürth am 6. Oktober: "Viele Chancen haben die Entscheider nicht mehr." Er sendet im Video einen "kleinen Wink an die Kreisverwaltung: Wir können noch ganz andere Sachen auffahren hier. Wir Landwirte stehen sowieso mit dem Rücken an der Wand, wir wissen schon, wie wir das machen. Also ich kann Euch nur sagen, guckt, dass das geregelt wird!"

Wipperfürth hat t-online für Antworten auf Fragen zunächst auf eine Veranstaltung im kommenden Juli verwiesen, dann aufs Frühjahr. Für eine kurzfristige Stellungnahme hat er auch nicht vom Angebot Gebrauch gemacht, am Telefon Fragen zu beantworten, die er danach hätte freigeben können.

Ihr Kampf um Geld geht weiter mithilfe einer Petition mit 36.774 Unterzeichnern, die fordern, Hartmann zu bezahlen. Er erklärt das zu einem Zeichen an die Verantwortlichen, dass "in einer demokratischen Willensäußerung hier der Wunsch danach" bestehe. Auch eine E-Mail-Aktion läuft mit einem Appell an den Bundespräsidenten. Wipperfürth teilt die Adressen.

Am 10. Oktober ist der Bundespräsident zu Besuch in der gebeutelten Region und zieht sich mit Wipperfürth und Hartmann zurück. Die beiden dürfen zwar nicht live streamen, der Fuldaer berichtet aber danach: Mit dem Ergebnis "unseres gegenseitig wertschätzenden Gespräches" sei er "äußerst zufrieden."

Aus dem Bundespräsidialamt hört sich das auf Nachfrage nüchterner an: "Die verfassungsmäßige Stellung des Bundespräsidenten sieht nicht vor, dass er zu Fragen exekutiver Einzelmaßnahmen Stellung nimmt." Auch der Bundespräsident diktiert der Kreisverwaltung nicht, wem sie was zu zahlen hat.

"ICH GEBE AUF!!!!!!"

Und die Kreisverwaltung schickt am 15. Oktober ein Schreiben, von dem Hartmann nur Teile öffentlich macht. Er kommentiert es mit: "ES TUT MIR LEID, ICH GEBE AUF‼️‼️‼️"

Es scheine "nicht gewollt, der leidenden Bevölkerung unsere Hilfe zu Teil werden zu lassen", klagt Hartmann. Es ist Freitagabend, 20.33 Uhr, als er das Posting abschickt. "Mein Vertrauen in die Verantwortlichen ist zerstört." Der Beitrag verbreitet sich sofort lawinenartig, 6.000 Mal wird er geteilt.

Wipperfürth legt um 22 Uhr nach: "Wir müssen jetzt gemeinsam ein Zeichen setzen! Wir werden euch nicht hängen lassen! Ihr als Betroffene, wir als Helfer!"

Bei manchen Kommunalpolitikern hörte das Telefon nicht mehr auf zu klingeln. In Kommentaren konnten sie lesen, was jetzt mit ihnen angestellt wird, dass das ganze Tal vor dem Kreishaus stehen wird.

Sorge vor Massenexodus von Helfern

Helfer-Shuttle-Initiator Marc Ulrich berichtet von einer weiteren Sorge: "Wenn sie gegangen wären, wäre das ein sehr schlechtes Signal gewesen, das uns zurückgeworfen hätte." Niemand wusste sicher, ob weitere Helfer gegangen oder nicht mehr gekommen wären, weil sie sich solidarisieren. Hartmann muss gehalten werden.

Ulrich sagt ohnehin nichts Schlechtes über ihn und Wipperfürth: "Es gibt sehr wenige Unternehmen, die so viel Zeit, Energie und Ideen in die Hilfe an der Ahr gesteckt haben." Er habe beide als ruhige, angenehme und anpackende Unternehmer erlebt. Ihre Facebook-Aktivitäten habe er nicht weiter verfolgt, "ich hatte ja selbst mehr als genug zu tun". Diskussionen um sie könnten aber auch mit Neid zu tun haben, meint er.

Am Morgen des 16. Oktober, es ist noch neblig, treffen sich Hartmann, der kommissarische Landrat Horst Gies und die Helfer-Shuttle-Verantwortlichen Ulrich und Pütz. Die beiden haben den Ausweg.

"Kaiser Wilhelm"-Büste am "Wilhelmshafen"

Am "Wilhelmshafen" in Walporzheim warten bereits Dutzende. Benannt ist das Containerdorf nach Wilhelm Hartmann. Einer der glühenden Unterstützer hatte schon Tage vorher eine Überraschung für diesen Tag vorbereitet: eine "Kaiser Wilhelm"-Holzbüste mit Hartmanns Gesichtszügen. Hartmann, einer von "Hessens Helden" beim Radiosender HR4 und "Lebens-Held des Monats" in der "Funkuhr", erklärt, Heldenkult liege ihm fern.

Das Bundesverdienstkreuz, wie in einer Gruppe "Bundesverdienstkreuz für die helfenden Engel" gefordert, wird er nicht erhalten, Hessen will ihn anders ehren. Nordrhein-Westfalen kommentiert das bei Wipperfürth nicht.

Beim Warten am 16. Oktober am "Wilhelmshafen" prophezeit der Lohnunternehmer in einem Livestream Proteste wegen Hartmann: Steinmeier besucht am nächsten Tag Ostfriesland. "Es kann sein, dass da von den Bauern etwas passiert, was hier verhindert wurde. Ihr habt's vergeigt als Politiker."

Doch dann kommt die Gruppe mit Horst Gies vom Treffen. Der Vertreter des Kreises muss in einer Art Spiesrutenlauf vorbei an Dutzenden aufgewühlter Menschen.

"Sonst hätte ich mich nicht hergetraut"

"Lieber Wilhelm, ich bin der Horst", sagt er. Und: "Die Ersten, die da waren, das wart Ihr, das weiß und sagt auch jeder." Menschen in den Hilfsdiensten schlucken beim Gedanken an die 19-jährige Katharina oder an andere, die in Lebensgefahr im Kalten und Dunkeln um Leben gekämpft haben und selbst Hab und Gut verloren haben. Katharinas Mutter kommen auch ein halbes Jahr nach dem Tod ihrer Tochter die Tränen.

Der kommissarische Landrat Gies löst auf: Hartmann habe die Nachricht falsch verstanden. Es geht weiter. "Ansonsten hätte ich mich auch gar nicht hergetraut." Er lacht dazu und teilt auf Anfrage mit, er habe das auch nur als Scherz gemeint: Er habe sich nicht bedroht gefühlt.

In manchen Kommunen sieht man die Situation ernster. Rüdiger Fuhrmann, Ortsbürgermeister des schwer getroffenen Orts Altenahr* und Mann klarer Worte, brachte das Thema Anfang Januar in einer Besprechung der Ortsbürgermeister der Verbandsgeneinde Altenahr ein. "Es gibt hier Leute, die eine Besatzermentalität entwickelt haben. Wenn wir uns von Leuten mit großer Fangemeinde das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen, dann können wir aufhören."

In der Woche nach dem 16. Oktober hat Hartmann die erste Abschlagszahlung erhalten. Das Okay für den Umzug und Weiterbetrieb seiner Container kommt am 8. November einstimmig vom Kreisausschuss zur Vorlage der Verwaltung: Zur "Zentralisierung und Zusammenführung der Helferorganisationen im Flutgebiet" werden für Umzug und Betrieb bis Ende Mai bis zu 3,5 Millionen Euro Kosten übernommen und die Aufträge durch den Kreis erteilt. Geld aus dem Wiederaufbaufonds.

Auftrag für Arbeiten an Wipperfürth

Die Container ziehen zum Helfershuttle auf die Höhe bei Haribo, wo der Ahreinsatz für Wipperfürth und Hartmann am 15. Juli begonnen hatte. Das soll Synergien schaffen. Von der "Zentralisierung der Helferorganisationen", die versprochen war, bleibt aber nicht viel. Es wollte sonst niemand umziehen. Eine andere Organisation bezieht einen Schreibtisch, bleibt aber an ihrem angestimmten Sitz.

Wipperfürth gibt ein Angebot ab, für 338.638,30 Euro die Flächen herzurichten, und bekommt den Auftrag. Die Kreisverwaltung hat nicht beantwortet, ob und wie viele Angebote auf welchem Weg eingeholt wurden.

285.000 Euro monatliche Betriebskosten sind in der Aufstellung des Kreises vorgesehen, monatliche Mietkosten in Höhe von 140.000 Euro. Daraus geht allerdings nicht hervor, was für das Helfershuttle ist und was für Container und Baustoffzelt von Betreiber Hartmann ist.

Facebook-Posting bringt Ärger

Letzten Ausschlag für die deutliche Kritik des Ortsbürgermeisters gibt aber etwas anderes. Dabei geht es um die Erfahrung eines Grünen-Mitglieds im Stadtrat von Sinzig. Der ehrenamtliche Kommunalpolitiker Ralf Urban hatte in einem Beitrag an seine 600 Facebook-Follower im November den Hilfsdiensten gedankt und Kritik geübt an denen, die viel filmen und "mitsamt ihrer zahlreichen Gefolgschaft behaupten, dass Hilfsdienste nicht anwesend gewesen seien".

Jeder wusste, wer gemeint ist. Urban warf ihnen ohne einen konkreten Beleg vor, "für persönlichen Profit" die Gutgläubigkeit der Menschen auszunutzen. Es gebe sehr viele Menschen, die den beiden unendlich dankbar seien, erklärt er t-online. "Mit Teilen der Bevölkerung kann man deshalb über Kritik gar nicht reden, weil sie das Spiel noch nicht durchschaut haben."

Es ist ruhig zwischen den Jahren, als sechs Wochen nach dem Posting Wipperfürth einen Screenshot des Urban-Beitrags mit seinen gut 450.000 Abonnenten teilt. Urban: "Es kam dann unheimlich viel Dreck. Ich sollte mit einem Seil um den Hals hinter einem Boot hergezogen werden, damit mein Gehirn gewaschen wird, schrieb mir jemand, Oder ich sollte am nächsten Baum aufgehängt werden. Solche Sachen."

Bei anderen Menschen, die sich kritisch äußerten, wurden Arbeitgeber kontaktiert, wieso Mitarbeiter "die Helfer" schlechtmachen. Eine seit zehn Jahren bestehende Facebook-Gruppe an der Ahr ist vorerst dicht. Zu viel Aufwand, erklärte der Gründer der "Rhein-Zeitung": Das Maß sei voll gewesen durch Verunglimpfung von Mitgliedern, wenn die sich kritisch in Richtung Fluthelfer Wipperfürth geäußert hatten.

Kanzlei Höcker ließ Seite löschen

Wipperfürth und Hartmann haben fanatische Fans, berichtet etwa der streitbare Blogger Hardy Prothmann (Rheinneckarblog), der Wipperfürth zunächst wohlwollend begleitet hatte und dann zunehmend kritische Fragen stellte. Die Streamer müsssten sich "mal eindeutig gegen den Mob stellen, den sie genährt, gefüttert und aufgezogen haben", fordert er.

Auch eine Facebook-Seite "Faktencheck Ahrtal", lange Zeit einzige öffentliche kritische Gegenstimme, erinnerte die Fluthelden in deutlichen Worten an ihre Verantwortung. Diese zunächst anonym betriebene "Faktencheck"-Seite einer Autorin und Politikberaterin aus Bayern ist Anfang Januar aus Facebook verschwunden. Es gab Aufrufe, sie massenhaft zu melden. Facebook ist dann aber innerhalb weniger Tage einer Löschungsaufforderung der als besonders aggressiv geltenden Rechtsanwaltskanzlei Ralf Höcker nachgekommen.

Die Kanzlei verschickt sogar eine Pressemitteilung, eine "Hate-Seite" sei vom Netz genommen. Auf Nachfrage lieferten die Anwälte t-online keine konkreten Belege für Rechtsverletzungen. Facebook habe die aber ja von einer spezialisierten Anwaltskanzlei prüfen lassen.

"Dann kommt ein Shitstorm der Helferhelden"

Der Sinziger Stadtrat Urban macht angesichts von Drohungen und Beleidigungen sein Profil dicht, geht bei unbekannten Nummern nicht mehr ans Telefon. "Das ist Einschüchterung." Er steht aber zu der Aussage. "Ich sehe die Demokratie bei uns im Ahrtal gefährdet", sagt er. "Auch die lokalen Medien trauen sich nicht. Sobald etwas geäußert oder beschlossen wird, was nicht gefällt, kommt auf diejenigen ein riesiger Shitstorm der Helferhelden zu."

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Auch Fuhrmann sah die Gefahr. Nächster Schritt sei dann vielleicht, dass Ratsmitglieder für ihr Abstimmungsverhalten deutschlandweit von Facebook-Größen vorgeführt würden. "Die Ehrenamtlichen gehen uns doch von der Stange, und die Bürger werden weiter verunsichert." An der Ahr wünscht man sich Ruhe. Für die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker sei ein deutliches Zeichen der Hauptamtlichen nötig, berichtet Fuhrmann aus dem Treffen.

Es war ein Auftrag an Cornelia Weigand, hauptamtliche Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr. Die parteilose Politikerin löst Horst Gies (CDU) an der Kreisspitze ab, sie ist am 23. Januar bereits im ersten Wahlgang zur kommenden Landrätin gewählt worden.

Zukunftspläne für Containerdorf?

In der nächsten Runde der hauptamtlichen Bürgermeister trug sie das Anliegen ihrer Ortsbürgermeister vor. Die Sitzung war nicht öffentlich, deshalb sagt sie t-online dazu nur: "Es ist selbstverständlich, dass wir – die Bürgermeister und ich – solchen Hinweisen nachgehen und die geeigneten Schritte unternehmen."

An diesem Sonntag nimmt das Baustoffzelt nach seinem Umzug den Betrieb wieder auf. Der Beschluss für den Betrieb von Containerdorf und Baustoffzelt gilt bis Mai, und laut Kreisverwaltung besteht "derzeit keine Notwendigkeit oder Veranlassung für eine Verlängerung". Der Kreis werde "die Situation zu gegebener Zeit bewerten und dann auch zeitnah eine entsprechende Entscheidung treffen".

Es gibt aber auch bereits Pläne für ein Möbellager dort von Hartmann, und Wipperfürth spekuliert in einem Video: "Ich gehe davon aus, dass das hier mindestens zwei Jahre aktiv bleibt." Die Helfer, die sich als Erste meldeten, wollen noch lange von sich hören lassen.

*Wir hatten an dieser Stellen "Altenburg" statt "Altenahr" geschrieben. Altenburg ist nur ein Ortsteil von Altenahr, Rüdiger Fuhrmann ist Ortsbürgermeister von Altenahr.

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