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Prozess um geplante Lauterbach-Entführung: Terror-Theologin kommt nicht frei


Putschpläne vor Gericht
Terror-Theologin schrieb Haftbefehl für Karl Lauterbach

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 16.05.2023Lesedauer: 5 Min.
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Elisabeth R. nach der Festnahme: Aus Sachsen wurde die frühere Theologie-Professorin und Pfarrerin zur Bundesanwaltschaft geflogen. (Quelle: Reuters)

Die mutmaßliche Rädelsführerin einer geplanten Lauterbach-Entführung und eines Putschs wollte kurz vor dem Prozess freikommen. Die Ablehnung des Gerichts offenbart Details über die 75-Jährige.

Sie ist 75, sie hat keine Reichtümer – aber eine gefestigte Ideologie und ein Netzwerk im Rücken, das für sie offenbar so manches tun würde: Elisabeth R., die 75-jährige mutmaßliche Rädelsführerin einer Terrorgruppe, muss in Haft bleiben. Die Richter fürchten, dass die Theologin sich sonst mithilfe der Szene absetzen und verstecken könnte. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) kurz vor Prozessbeginn getroffen. Ab Mittwoch wird am Oberlandesgericht Koblenz gegen die ersten "Corona-Rebellen" verhandelt, die in Deutschland einen Umsturz geplant haben sollen.

Die Pläne der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung wurden nach dem Zugriff am 13. April 2022 bekannt. Elisabeth R., Sven B., Michael H. und zwei weitere Angeklagte wollten demnach einen deutschlandweiten Stromausfall auslösen, Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen und eine neue Regierung einsetzen.

Ein noch spektakulärerer Fall ließ die Pläne aber seit dem 7. Dezember 2022 in den Hintergrund rücken: An dem Tag gab es die größte Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik gegen eine weitere, noch größere "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, den Oberst a. D. Maximilian Eder und die frühere Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Noch mehr Waffen, ein möglicher Angriff im Reichstag, aber das gleiche Ziel: Die Regierung mit Gewalt abzusetzen.

Die große "Patrioten-Union" um den Prinzen formierte sich noch, da wollten die kleineren "Vereinten Patrioten" mit der Theologin offenbar schon zuschlagen. Und Elisabeth R. war dabei eine treibende Kraft und drängte auf schnelles Handeln: So steht es in einem neuen Beschluss des Bundesgerichtshofs, warum Elisabeth R. in Untersuchungshaft bleiben muss. Sie hatte gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft Beschwerde eingelegt.

In der Szene eine "Autorität"

Doch wenn sie auf freien Fuß komme, sei es wahrscheinlicher, dass sie untertauche, heißt es in dem Beschluss. Im Falle einer Verurteilung drohe ihr wegen der Schwere des Tatvorwurfs und ihrer mutmaßlichen Rolle als Rädelsführerin eine erhebliche Freiheitsstrafe – auch wenn sie bisher nicht vorbestraft und angesichts ihres Alters Gefängnis beschwerlicher sei. Andererseits könnten gesundheitliche Gründe sie auch nicht an einer Flucht hindern – für eine 75-Jährige sei sie sehr fit, hat offenbar die Untersuchung durch einen Amtsarzt ergeben.

Die Richter kamen auch zum Schluss: R. könne "mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein Netzwerk von Sympathisanten und Gleichgesinnten zurückgreifen, die sie als Autorität anerkennen". Bei einer Flucht oder einem Untertauchen könne sie mit logistischer und finanzieller Unterstützung rechnen. Die Ermittlungen zeigten demnach, dass die Frau aus Flöha in Sachsen "eng eingebunden und vernetzt ist in der Szene derer, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen". Der Beschluss zählt auf: "Reichsbürger", "Querdenker", Verschwörungstheoretiker, Anhänger nationalsozialistischen Gedankengutes oder Corona-Leugner.

Elisabeth R. selbst ist offenbar Teil alter Netzwerke aus der europaweiten rechtsextremen Holocaustleugner-Szene. Sie arbeitete eng zusammen mit Rigolf Hennig, dem deutschen Chef der völkisch-nationalistischen "Europäischen Aktion", die sich 2017 in Deutschland nach Razzien aufgelöst hat. Das Parteiprogramm der "Europäischen Aktion" war österreichischen Ermittlern zufolge der NSDAP nachempfunden. Elisabeth R. und Hennig unterschrieben Dokumente des "Freistaates Preußen", als dessen Staatspräsident sich Hennig bezeichnete.

Elisabeth R. suchte fieberhaft urdeutsche "Volksvertreter"

Der ehemalige NPD-Politiker Hennig spielte auch eine zentrale Rolle, als Björn Höcke als Autor unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" in NPD-Zeitschriften enttarnt wurde. Hennig sollte Höcke entlasten: Er und nicht Höcke habe die Texte verfasst, behauptete der Neonazi und Höcke-Vertraute Thorsten Heise. Hennig soll den militanten Rechtsextremisten Heise beim Aufbau von Strukturen in Niedersachsen unterstützt haben. Es gibt aber keine Hinweise, ob Hennig in der Zeit nach dem Putsch eine Rolle spielen sollte. Der Vater von acht Kindern ist am 19. März 2022 gestorben.

Zu dieser Zeit telefonierte Elisabeth R. wie wild möglichen Mitgliedern einer "konstituierenden Versammlung" hinterher, heißt es im Haftbefehl. Parteien sollte es den Umsturzplänen zufolge nicht mehr geben, sondern eine Volksversammlung, sie wollten einen Staat nach dem Vorbild von 1871 gründen. An der konstituierenden Versammlung sollten 277 Personen teilnehmen – allerdings nur Deutsche unter Vorlage eines "Gelben Scheins" über die Volkszugehörigkeit, einem Nachweis nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) in der Fassung von 1913.

Zu solchen "Reichsbürger"-Theorien hatte Elisabeth R. viel geschrieben. Sie habe auch als "lebensältere und akademisch gebildete" Frau eine Autoritätsperson und ideologische Vordenkerin innerhalb der Putsch-Gruppe dargestellt und so eine Führungsrolle gehabt, heißt es im Gerichtsbeschluss.

Die Frau war einst Theologie-Professorin in Mainz. Doch dann erschienen Bücher von ihr, in denen sie von gesteuerten "Asylanten-Tsunamis" zur "Vergewaltigung und Abschlachtung" schrieb und von "verschwiegenem Umbau der Hirnstrukturen" durch "Genderismus, Digitalisierung und 5G". Weil sie sich im Ruhestand aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt hat, wurde ihr gerichtlich bestätigt das Ruhegehalt gestrichen.

Von Elisabeth R. kein Geld für die Waffenkäufe

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs zeigt: Sie blieb auch der Umsturzgruppe Geld schuldig, das für Waffenkäufe gesammelt wurde: "Die Angeklagte sagte eine finanzielle Beteiligung zu, erbrachte eine solche aber nicht." Die Einkaufspläne schrumpften offenbar. Dem Beschluss zufolge ging es in einer ersten Lieferung um zwei Kalalschnikow-Sturmgewehre AK 47 und vier Pistolen Glock Modell 19 nebst Munition. Die Übergabe war jedoch fingiert, der Verkäufer auf einem Globus-Parkplatz in Neustadt/Weinstraße* war ein verdeckter Ermittler.

Mithilfe der Waffen wollte die Gruppe offenbar Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach während einer Talkshow in ihre Gewalt bringen. Im Gegensatz zu Elisabeth R. sind zwei der Angeklagten geständig, ihre Aussagen sowie die Erkenntnisse des verdeckten Ermittlers belasten R. schwer. Laut BGH-Beschluss hatte sie auch einen sogenannten "Haftbefehl" gegen Lauterbach formuliert, der dann im Fernsehen verlesen werden sollte.

Lauterbach war aufgrund einer Umfrage in einschlägigen geschlossenen Telegram-Chatgruppen als Entführungsopfer ausgewählt worden, ist dem BGH-Beschluss zu entnehmen: Die Mehrheit der Teilnehmer hielt den Bundesgesundheitsminister wegen der Corona-Politik für die "meistgehasste" Führungspersönlichkeit Deutschlands. Das Kalkül: Seine Festnahme würde viel Zustimmung aus der Bevölkerung bringen. Diesen Teil des Plans nannte die Gruppe offenbar "Klabautermann". Elisabeth R. gehörte dem "adminstrativen Arm" der Gruppe an, die Entführung sollte der "militärische Arm" übernehmen.

Russland sollte helfen

Hier gaben offenbar zwei frühere NVA-Soldaten den Ton an. t-online hatte früh über das "Staatsstreichkommando von der NVA" berichtet. Zu dem Plan gehörte auch, einen möglicherweise wochenlangen Blackout auszulösen, um bürgerkriegsähnliche Zustände zu verursachen. Damit sollte es losgehen. Den Erkenntnissen der Ermittlungen zufolge glaubte die Gruppe, dass es ohnehin zu einem flächendeckenden Stromausfall kommen würde, und sie wollten diesen demnach nur vorziehen. Unter den Umständen des Stromausfalls sollte die Bevölkerung zu sich finden.

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Die Gruppe war offenbar auch im Glauben, dass es von russischer Seite Unterstützung und Anerkennung für das neue Regime geben würde. Fünf Gesandte sollten mit einem Boot nach Kaliningrad fahren, von der russischen Marine abgeholt werden und dann möglichst bei Putin vorstellig werden, so der Gedanke. Die Gruppe vermutete ein Interesse Russlands an einer neuen Staatsform in Deutschland.

Zum Prozess am Oberlandesgericht Koblenz wird Elisabeth R. nun sicher erscheinen – aus der Untersuchungshaft. Bis in den Januar 2024 hinein sind bislang 41 Verhandlungstage angesetzt.

*Wir hatten an dieser Stelle zunächst Zweibrücken geschrieben. Neustadt/Weinstraße ist richtig.

Verwendete Quellen
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