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Kaufhaus-Erpresser "Dagobert": So geht es Arno Funke 30 Jahre später


Kaufhaus-Erpresser Dagobert
"Es lebt sich gut"


Aktualisiert am 21.04.2024Lesedauer: 6 Min.
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Arno Funke im Jahr 2002: Als "Dagobert" war er 1995 zu neun Jahren Haft verurteilt worden, durfte aber 2000 auf freien Fuß.Vergrößern des Bildes
Arno Funke im Jahr 2002: Als "Dagobert" war er 1995 zu neun Jahren Haft verurteilt worden, kam aber schon 2000 auf freien Fuß. (Quelle: imago-images-bilder)

"Dagobert" war in den 90er-Jahren ein berühmt-berüchtigter Verbrecher. Vor genau 30 Jahren erfolgte seine Festnahme. Wie lebt er heute in Freiheit?

Am 22. April 1994 knallen bei der Berliner Polizei die Sektkorken: Sie hat "Dagobert" gefasst. Dagobert Duck, die Comicfigur? Nein, "Dagobert", den Kaufhaus-Erpresser. Jahrelang hatte er die Ermittler, vor allem in Berlin und Hamburg, auf Trab gehalten. Dann erfolgte die Festnahme. Das Urteil: neun Jahre Haft. Inzwischen ist "Dagobert", bürgerlich Arno Funke, längst wieder frei. Heute ist er Rentner: "Es lebt sich gut. Von Langeweile kann nicht die Rede sein", sagt er im Interview mit t-online.

Sein Fall ging in die Kriminalgeschichte Deutschlands ein. Die Jagd nach dem Verbrecher glich einem Katz-und-Maus-Spiel. Im Mai 1988 war es Funke gelungen, vom berühmten Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe 500.000 D-Mark zu erpressen, ohne gefasst zu werden. Das Geld war schnell ausgegeben – und der Berliner wollte mehr.

Was machte den Fall so spektakulär, wie kam "Dagobert" damals auf seinen kuriosen Decknamen? Und was macht Arno Funke heute?

Warum "Dagobert"?

Im Juni 1992 detonierte bei Karstadt in der Hamburger Innenstadt eine Rohrbombe. Der Sachschaden war immens. Noch am selben Tag schickte Funke ein Erpresserschreiben an Karstadt, forderte eine Million Mark. Später erhöhte er die Summe auf 1,4 Millionen. Sollte das Geld nicht gezahlt werden, würden weitere Bombenanschläge auf Kaufhäuser erfolgen.

Letztlich gingen sechs Sprengsätze auf Funkes Konto, nachdem mehrere Geldübergaben mit der Polizei gescheitert waren. Es wurden keine Menschen verletzt, doch der Sachschaden betrug insgesamt rund zehn Millionen Mark, wie das "Hamburger Abendblatt" berichtete. Bei dieser Erpressung wurde auch der Deckname "Dagobert" geboren.

"Dagobert grüßt seine Neffen"

Ein so berechnender Verbrecher namens "Dagobert"? Funke selbst sagte 2022 in einem Interview mit "Spiegel TV" dazu: "Ich hab' da ein bisschen gegrübelt, und dann sah ich auf meinem Schreibtisch einen Turnbeutel liegen, wo später eigentlich das Geld reinsollte. Und da war eine Dagobert-Figur drauf." Dann habe er gedacht: "Na ja, Dagobert grüßt seine Neffen."

Dieser Satz gewann in dem Fall große Bedeutung: Funke brachte den Karstadt-Konzern dazu, Zeitungsannoncen zu veröffentlichen, in denen ebendieser Satz stand, um die Zahlungsbereitschaft zu signalisieren. Und bei einem Anruf sagte Funke: "Guten Morgen, hier ist Onkel Dagobert." Er drohte den Kaufhäusern: "Es tut mir leid, dass ich Ihre Firma erpressen musste, aber es war nicht anders möglich."

Die Aufnahme dieses Telefonats kann heute in der Polizeihistorischen Sammlung in Berlin angehört werden. Drei Tage danach wurde "Dagobert" in einer Berliner Telefonzelle gestellt, als er neue Anweisungen für die Übergabe von mehr als 1,4 Millionen D-Mark geben wollte.

"Man ist mit Dagobert im Kopf eingeschlafen"

Als sich die Ermittler sicher waren, dass der gelernte Schilder- und Lichtreklamehersteller der Gesuchte ist, observierten sie ihn. Am 22. April 1994 vormittags um kurz vor halb zehn war es so weit: Mit quietschenden Reifen fuhren Zivilautos in der Hagedornstraße in Berlin-Treptow vor, Beamte sprangen aus zwei Fahrzeugen und schrien: "Halt, stehen bleiben, Polizei."

Der pensionierte Polizist Martin Textor war damals als Abteilungsleiter im Landeskriminalamt (LKA) für den monatelangen und aufwendigen Polizeieinsatz verantwortlich, bei dem rund 3.000 Polizisten Telefonzellen in West-Berlin beobachteten. "Man ist mit Dagobert im Kopf eingeschlafen und mit Dagobert im Kopf aufgewacht", sagt der heute 79-Jährige der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Letztlich sei es der "kriminalistische Spürsinn" zweier junger Polizisten gewesen, der zu Funke geführt habe, so Textor.

"Die Luft war raus"

Nicht nur die Polizei kam damals bei der Jagd auf "Dagobert" beinahe an ihre Grenzen. Auch der Verbrecher selbst. "Dass es sich über zwei Jahre hinzieht, habe ich selbst nicht gedacht", sagt Arno Funke der dpa. "Die Luft war raus. Ich wollte auch nicht mehr. Aber ich hatte kein Geld", rechtfertigt sich der inzwischen 74-Jährige.

Zeugen berichteten später, Funke habe bei der Festnahme gelächelt. Er beschreibt den Moment heute so: "Da macht man dicht. Das lässt man über sich ergehen. Das ist wie beim Zahnarzt: Mal sehen, wie schlimm es wird." Zuletzt habe er damals darüber nachgedacht, jemanden zu beauftragen, ihn zu verraten – und sich dann mit dieser Person die auf ihn ausgesetzte Geldsumme zu teilen, so Funke.

Genugtuung für die Polizei

Letztlich gelang es aber der Polizei selbst, einen der spektakulärsten Kriminalfälle Deutschlands aufzulösen. Eine Genugtuung. Denn nach vielen gescheiterten Geldübergaben waren die Beamten Häme ausgesetzt und der Erpresser zunehmend zum "Volkshelden" geworden. So gaben etwa 1993 bei einer ARD-Umfrage 61 Prozent der Befragten an, den gewitzten Bastler sympathisch zu finden. "Viele haben in mir einen modernen Robin Hood gesehen", sagt Funke t-online.

Ein Grund war wohl die Raffinesse seiner technischen Konstruktionen, mit denen er die Polizei bei versuchten Geldübergaben immer wieder in die Irre führte. "Vielleicht haben die Leute gespürt, dass ich nicht der hochkriminelle Charakter bin", sagte Funke dem "Spiegel" 2019.

"Die Art, wie er vorgegangen ist, war genial", sagt Ex-Polizist Textor mit Blick auf die technischen Fähigkeiten, die Kreativität und die taktische Vorsicht Funkes. "Er ist ein Tüftler und handwerklich sehr begabt." Zugleich betont er: "Das hat nichts mit Bewunderung zu tun. Er war ein Verbrecher. Dann ein verurteilter Verbrecher. Nun ist er ein Vorbestrafter."

Der damalige Einsatzleiter berichtet mit glänzenden Augen von dem erlösenden Anruf, von der Gratulation des Polizeipräsidenten – und den Ereignissen auf dem Hof vor dem Polizeigebäude. "Da kamen 200 Leute zurück vom Einsatz. Die Sektpullen standen auf dem Dach. Es war Volksfest", so Textor.

Wegen der vollendeten Erpressung des Berliner Kaufhauses KaDeWe 1988, der versuchten Erpressung des Karstadt-Konzerns von 1992 bis 1994 und sechs damit verbundener Sprengstoffanschläge wurde Funke 1995 erstmals verurteilt. In einem zweiten Prozess wurde 1996 die Strafe auf neun Jahre festgesetzt. Das Gericht bescheinigte ihm eine hirnorganisch bedingte Depression und verminderte Schuldfähigkeit. Er wurde jedoch verpflichtet, 5 Millionen D-Mark (rund 2,5 Millionen Euro) Schadenersatz zu zahlen. Im Sommer 2000 kam Funke wegen guter Führung vorzeitig frei.

Und was macht Funke heute?

Ex-Polizist Textor ist überzeugt, dass "Dagobert" nicht mehr straffällig wird. Er habe ein geordnetes Leben. "Er ist ein wirklich ungewöhnlicher Mensch." Der eloquente Ur-Berliner Funke geht offen mit seiner Vergangenheit um – und nutzt die dadurch entstandene Prominenz.

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Noch in der Haft kam die Anfrage des "Eulenspiegel", ob Funke für das Satiremagazin zeichnen wolle. Auf der Website sind zahlreiche Karikaturen von ihm zu finden. Er hat eine Autobiografie veröffentlicht, war Protagonist in Dokumentationen, gehörte 2013 zu den Kandidaten im RTL-"Dschungelcamp". Seine 40.000 Euro Gage überwies er damals an Karstadt, wie der "Spiegel" berichtete. Zudem stand Funke in Berlin in der Show "Erbrechen lohnt sich nicht" auf der Bühne. Und seine Erfahrungen zum Thema Resozialisierung hat er beispielsweise als Referent an der juristischen Fakultät in Münster weitergegeben.

Offene Worte über Depressionen

Im Interview mit dem Magazin "tip Berlin" sprach Funke 2022 aber auch über seine Depressionen: "Dagobert und der Ruhm sind ein Teil meines Lebens, den ich nicht leugnen kann. Das, was wirklich für mich schlimm war, war mein desolater Gesundheitszustand. Wäre das nicht gewesen, dann hätte es Dagobert nie gegeben."

Während seiner Arbeit als Lackierer habe er einen Nervenschaden erlitten, durch die Dämpfe von Lösungsmitteln. "Ich litt unter schweren Depressionen, die durch Lösungsmittel hervorgerufen wurden, die ich in meinem Berufsleben zu viel eingeatmet hatte. Daraus resultierten Hirnschädigungen. Ich fühlte mich permanent so, als hätte ich eine halbe Flasche Whiskey getrunken. Ich war wie zugedröhnt. Meine Gefühle waren reduziert. Ich stand kurz vor dem Selbstmord. Und da dachte ich: Wenn ich jetzt schon so weit bin, dann kann ich auch noch mal was probieren", sagt Funke bei t-online.

"Es wäre schön, wenn man eine bessere Geschichte hätte"

Im März dieses Jahres wurde ein Gespräch zwischen Funke und Linken-Politiker Gregor Gysi für die Show "Miss-verstehen Sie mich richtig" im Berliner Tränenpalast aufgezeichnet. Die beiden sprachen über Funkes Leben als Verbrecher – und das Leben danach. Das kam bei den Zuschauern auf YouTube gut an. "Ich habe auch gehadert, aber er hat seine Strafe verbüßt und lebt seitdem wohl ein ehrliches Leben", schrieb ein Nutzer. In einem anderen Kommentar hieß es: "Es ist selten, dass man als Zuschauer einem solchen Interview derartig aufmerksam folgt, wie hier. Großartig."

Funke resümiert im Interview mit t-online: "Es ist schon so, als wenn man sich an einen Albtraum erinnert. [...] Es ist ein Teil meiner Biografie. Die kann ich nicht einfach löschen – damit muss ich leben. Und es hat mir gewisse Vorteile verschafft, das darf man nicht verkennen."

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