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Reemtsma-Entführer: So kamen die Ermittler Thomas Drach auf die Spur


Wirbel um Reemtsma-Entführer
So kamen die Ermittler Thomas Drach auf die Spur

Von Dietmar Seher

24.02.2021Lesedauer: 5 Min.
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Entlassung: 2013 kam Drach nach 15 Jahren aus der Haft frei.Vergrößern des Bildes
Entlassung: 2013 kam Drach nach 15 Jahren aus der Haft frei. (Quelle: TV News Kontor/dpa-bilder)

Vor rund 25 Jahren entführte er den Tabakerben Jan Philipp Reemtsma und erpresste 30 Millionen Mark Lösegeld. Nun ist Thomas Drach wieder festgenommen worden – wegen einer spektakulären Raubserie.

Thomas Drach aus dem rheinischen Erftstadt ist heute 60. Mehr als 20 Jahre hat er hinter Gitter verbracht. Am Dienstag dann die erneute Festnahme.

Ein niederländisches Spezialeinsatzkommando (SEK) verhaftet in Amsterdam einen europaweit Gesuchten in der Wohnung eines Bekannten. Nach Medienberichten handelt es sich um den früheren Reemtsma-Entführer Drach. Die Ermittlungsbehörden dementieren die Berichte nicht. Das europäische Rechtshilfeersuchen, das zum Einsatz führte, hatte die Kölner Staatsanwaltschaft gestellt. Der Vorwurf: drei Raubüberfälle auf Geldboten in den Jahren 2018 und 2019.

Der Festgenommene ist wohl einer der bekanntesten, dreistesten und uneinsichtigsten Verbrecher Deutschlands.

Thomas Drach war vor einem Vierteljahrhundert der Kopf der Entführer des Hamburger Tabakerben Jan Philipp Reemtsma. Nach einer ersten kriminellen Karriere, die er in seiner Jugend als Autoknacker begonnen und mit bestellten Diebstählen und einem Banküberfall fortgesetzt hatte, landete er 1996 seinen großen Coup: Er kidnappte Reemtsma vor dessen Hamburger Villa, hielt ihn mit zwei Kumpanen 33 Tage in einem Keller nahe der Hansestadt in Ketten und unter brutalen Umständen fest und erpresste für die Freilassung 30 Millionen D-Mark, einen Teil davon in Schweizer Franken.

Das war die höchste Summe, die je in der Bundesrepublik als Lösegeld bezahlt worden ist. 1998 ortete die Polizei Drach in Argentinien. Er wurde ausgeliefert, es kam vor dem Landgericht Hamburg zum Prozess und zur Verurteilung. Erst im Herbst 2013, nachdem er fast 14 Jahre für die Tat gebüßt hatte, öffneten sich für ihn in Hamburg-Billwerder die Gefängnistore. Er gelte weiter als "unreif und gefährlich", berichtete das "Hamburger Abendblatt".

Es stellen sich deshalb viele Fragen. t-online beantwortet die wichtigsten.

Gibt es häufig Rückfalltäter?

Ja. Gerade bei Räubern und Erpressern werden 72 Prozent der Verurteilten nach dem Ende der Haft wieder rückfällig, wenn auch teilweise mit anderen Straftatbeständen. Bei Mord und Totschlag sind es dagegen 34 Prozent. Das haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Internationales Strafrecht und der Göttinger Uni erforscht. Grundlage der Arbeit ist eine Auswertung von Fällen zwischen 2004 und 2013. Männer werden eher rückfällig als Frauen.

Was werfen die Ermittler Thomas Drach heute vor?

Er könnte hinter drei bislang ungeklärten Raubüberfällen in den Jahren 2018 und 2019 stecken, deren Beute mit einer niedrigen sechsstelligen Summe zwar begrenzt, deren Verlauf aber von großer Brutalität gezeichnet war.

Im März 2018 überfielen Unbekannte nahe einer Ikea-Filiale in Köln-Godorf einen Geldtransporter. Ein 60-jähriger Wachmann wurde mit der Waffe bedroht, das Geld einkassiert. Die Täter flüchteten mit einem BMW, der wenig später brennend aufgefunden wurde.

Rund ein Jahr später wurde der Kölner Flughafen zum Schauplatz eines Geldboten-Überfalls. Einer der Boten wurde durch einen Schuss in den Oberschenkel schwer verletzt. Wieder wurde der Fluchtwagen in Brand gesetzt, um Spuren zu verwischen. Im ausgebrannten Auto fand sich eine Kalaschnikow – Drach wird vorgeworfen, sie genutzt und den Wachmann verletzt zu haben.

Dazwischen, im November 2019, passierte etwas Ähnliches in der Ikea-Filiale Frankfurt-Niedereschbach: Die Täter entrissen dem Boten die Kassette, es kam zur Schießerei. Auch dieser Mann wurde schwer verletzt. Nahe dem Tatort brannte ein Audi.

Die Kölner Behörde scheint sich sicher zu sein, mit dem in Amsterdam Festgenommenen den entscheidenden Täter ermittelt zu haben. Sie wirft ihm schweren gemeinschaftlichen Raub in drei Fällen und – wegen der Kalaschnikow – einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vor.

Wie sind die Fahnder dem ehemaligen Reemtsma-Entführer auf die Spur gekommen?

Drach gilt als rücksichtslos und brutal. Aber er überschätzt sich offenbar gerne. Schon nach der Reemtsma-Entführung hatte er Fehler gemacht. Ein Hoteltelefonat aus Buenos Aires in die Niederlande, das er mit einem Freund aus einer weiter zurückliegenden Haftzeit führte, wurde damals abgehört.

Darin kündigte er an, ein Rolling-Stones-Konzert besuchen zu wollen. Die Stones spielten in Argentinien. So flog er 1998 auf. Bei den jüngsten Fällen wurde ihm offenbar eine Videoaufnahme zum Verhängnis, die vom Überfall 2019 am Kölner Flughafen stammt. Seit 2020 wurde europaweit "aufwendig" ermittelt.

Thomas Drach hat nach der Entführung Reemtsmas sehr viel Lösegeld kassiert. Brauchte er wieder Geld?

Drach musste nicht nur die Reemtsma-Beute mit zwei Mittätern teilen. Er hat seinen Anteil nach vorliegenden Berichten offenbar zu einem nicht kleinen Teil auch bei Geldgeschäften verzockt und – wie vor der Festnahme 1998 in einer Villa in Punta del Este für 30.000 Dollar Monatsmiete – auf großem Fuß gelebt.

Außerdem hatte er seinen Bruder in Verdacht, einen Teil der Summe während seiner Haftzeit verprasst zu haben. Das Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma selbst beauftragte überdies eine Sicherheitsfirma, die Lösegeld-Millionen in einer weltweiten Suche wiederzubeschaffen. Das gelang teilweise bei der Überprüfung von Schließfächern in Uruguay. Die 30 Millionen DM sind folglich zusammengeschrumpft, obwohl der Verbleib von sechs Millionen als offen gilt. So könnte tatsächlich Geldmangel zu Drachs Beteiligung an den Überfällen 2018 und 2019 geführt haben.

Was ist mit dem lange gehegten Verdacht, bei den Tätern der drei Überfälle in Köln und Frankfurt könnten die ehemaligen RAF-Terroristen Daniela Klette, Ernst Volker Staub und Burkhard Garweg beteiligt gewesen sein?

Die drei zählen zu den "Most Wanted" der europäischen Fahndungsliste. Ihnen werden zwölf Raubüberfälle mit zusammen mindestens 1,2 Millionen Euro Beute und versuchtem Mord an den überfallenen Wachleuten vorgeworfen. Doch in den drei Fällen in Köln und Frankfurt ist es in diesem Zusammenhang immer nur um nicht belegbare Vermutungen gegangen.

Werden Drach die Taten jetzt nachgewiesen, hätte sich der letzte bekannte Überfall des RAF-Trios wohl 2016 ereignet. Das wirft eine wichtige Frage auf: Wo sind die Ex-Terroristen, die über enormes Wissen zu ungeklärten Taten der sogenannten "dritten Generation" der RAF und über versteckte alte Waffendepots verfügen dürften, geblieben?

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Sind im Zusammenhang mit der Reemtsma-Entführung Fragen offen?

Vielleicht. Einer der drei Entführer, Wolfgang Koszics, wurde im Februar 2014 tot im Meer vor der südportugiesischen Küste gefunden. Während Portugals Polizei von einem Selbstmord ausging, waren die deutschen Ermittler zunächst skeptisch, dass es sich um einen selbst gewählten "Klippensturz" gehandelt hat.

Dem 72-jährigen Toten, der den Spitznamen "Faruk, der Dicke" trug, fehlte die Hose samt aller Papiere, im Blut wurde ein hoher Alkoholanteil festgestellt. War es Mord? Deutsche Ermittler glaubten damals, Koszics habe sich zuletzt bedroht gefühlt. Fremdverschulden konnten sie allerdings nicht nachweisen. Das Todesermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Verwendete Quellen
  • Quellen: Berichte der "Süddeutschen Zeitung", der "Welt", des "Hamburger Abendblatts", des "Redaktionsnetzwerks Deutschland" und des "Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags"
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