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Urteil im Missbrauchskomplex Münster: Jenseits der "Grenze des Vorstellbaren"


Missbrauchskomplex Münster: "Im Grunde dürfen Sie nie mehr raus"

Von dpa
06.07.2021Lesedauer: 4 Min.
Adrian V. im Gerichtssaal: Der Hauptangeklagte in dem Missbrauchskomplex wurde zu einer Haftstrafe von 14 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.Vergrößern des BildesAdrian V. im Gerichtssaal: Der Hauptangeklagte in dem Missbrauchskomplex wurde zu einer Haftstrafe von 14 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. (Quelle: Guido Kirchner/dpa-bilder)
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Es sind Taten, die selbst erfahrene Richter offenbar fassungslos machen. Jenseits der "Grenze des Vorstellbaren" sei das, was rund um den Missbrauchskomplex Münster geschah. Der Haupttäter wurde nun zu einer langen Haftstrafe verurteilt.

Es ist auch das wiederkehrende Grinsen im Gesicht des Hauptangeklagten in einem der größten Prozesse um Kindesmissbrauch der vergangenen Jahre, das den Richter des Landgerichts Münster um Fassung ringen lässt. "Im Grunde dürfen Sie nie mehr raus", sagt der Beisitzer zu dem 28-Jährigen vor ihm auf der Anklagebank.

Der Mann, der als Schlüsselfigur in dem Tatkomplex ausgehend vom westfälischen Münster gilt, habe Existenzen vernichtet, die seiner Opfer und solche aus seinem Umfeld. Wären er und die drei weiteren angeklagten Männer nicht vor gut einem Jahr verhaftet worden, sie hätten weiter Kindern schwerste Gewalt angetan, ist er überzeugt. All das, nehme er "einfach grinsend zur Kenntnis", hält ihm der Beisitzende Richter sichtlich erschüttert vor. Er hatte zum Ende der knapp zweistündigen Urteilsverkündung vom Vorsitzenden Richter übernommen, sich noch einmal nachdrücklich an die Angeklagten gewandt. "Es ist unfassbar", wiederholt er immer wieder.

Haftstrafen für die Beteiligten

Gerade ist Adrian V. zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt worden – mit anschließender Sicherungsverwahrung. Das Gericht hat keine Zweifel: Er hat unzählige Male Kinder vergewaltigt, meist seinen eigenen Ziehsohn. Im Internet suchte und fand er andere Pädokriminelle, verabredete sich mit ihnen zum gemeinsamen Missbrauch des heute elfjährigen Sohnes seiner Lebensgefährtin und weiterer Opfer.

Drei dieser Täter – ein 31-Jähriger aus Staufenberg in Hessen, ein 36-Jähriger aus Hannover sowie ein 43-Jähriger aus Schorfheide in Brandenburg – müssen nach den heutigen Urteilssprüchen für zehn bis zwölf Jahre in Haft und sollen danach ebenfalls in Sicherungsverwahrung. Weil sie die Missbrauchstaten ihres Sohnes und seiner pädokriminellen Freunde deckte, schicken die Richter die Mutter des 28-jährigen IT-Technikers wegen Beihilfe sechs Jahre in Haft.

Taten "ohne jeden Skrupel"

Mehr als 50 Verhandlungstage liegen hinter der Großen Strafkammer des Landgerichts. Was im Prozess, der zum Schutz der Opfer in weiten Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, zutage kam, sprengte selbst für Berufsrichter die "Grenzen des Vorstellbaren bei weitem", sagt der Vorsitzende an diesem Dienstag im Gerichtssaal. Dabei sei auch offen gelegt worden, wie pädophile Täter agierten. "Sie täuschen, sie lügen, sie manipulieren". Und im Fall der nun verurteilten Deutschen handelten sie mit einer abgebrühten Selbstverständlichkeit, die erschaudern lässt.

Der Richter nennt es "absolut verstörend", wie die Männer grausamste Gewalttaten "ohne jeden Skrupel" verübten. Insbesondere die lückenlose Videoaufzeichnung dokumentiere, wie "rücksichtslos und mitleidslos" sie vorgegangen seien. Die vier Männer verbrachten im März 2020 ein gemeinsames Wochenende in der Gartenlaube der 46-jährigen Mutter von V., um anlässlich seines 27. Geburtstages zwei Kinder zu missbrauchen.

Stundenlange Vergewaltigungen

Über drei Tage hinweg wurden hier der Ziehsohn sowie der damals fünf Jahre alte Sohn des Hessen auf brutale Art und Weise wiederholt und über Stunden vergewaltigt. Zwischendrin habe man sie außerdem betäubt – mit einem toxischen Lösungsmittel, das die Gefahr von Herz- oder Atemstillständen mit sich bringe, so der Richter. Die Gesprächsfetzen aus dem Video, die er ausschnitthaft wiedergibt, verstärken den Eindruck, dass die Täter sich enthemmt und ohne ersichtliches Schuldbewusstsein an den Kindern vergingen. "Bedient euch", sagt einer. "Das Buffet ist eröffnet", entgegnet der andere.

Besonders schockierend auch für die Richter: "Es hat den Anschein, als sei schwerer sexueller Missbrauch der traurige Alltag dieser Kinder gewesen." Insbesondere im Frühjahr 2020, als sie wegen des coronabedingten Lockdowns nicht in die Schule konnten, habe die Handlungsdichte nochmal zugenommen.

Mutter mitschuldig

Die im Prozess angeklagten Einzeltaten in der Laube und an zahlreichen anderen Tatorten sind nach Einschätzung des Gerichts "nur die Spitze des Eisbergs", insbesondere in Bezug auf den 28-Jährigen. Ausgehend von den Ermittlungen gegen ihn gibt es inzwischen mehr als 50 Tatverdächtige in Deutschland und dem angrenzenden Ausland, mehr als 30 sitzen in Haft.

Keinen Zweifel haben die Richter an der Rolle der mitangeklagten Mutter des Haupttäters. Ihr Anwalt hatte auf Freispruch plädiert, doch Chatprotokolle und Dialoge mit den Angeklagten beweisen aus Sicht des Gerichts, dass sie nicht nur von der "tief verwurzelten Pädophilie ihres Sohnes", sondern auch vom schweren Missbrauch wusste.

So besuchte sie die Männer an besagtem Geburtstag in der Laube zum Frühstück, nahm heiter teil an einem Austausch, den der Richter als "Gespräch mit klaren pädosexuellen Inhalten" bezeichnet. Weil sie den Männern für ihre Taten einen schützenden Raum zur Verfügung stellte, ihnen Zustimmung signalisierte, verhängten die Richter wegen Beihilfe eine Haftstrafe von fünf Jahren.

Verteidiger denkt über Revision nach

Anders als die geständigen Männer aus Hannover und Schorfheide schwieg die 46-Jährige zu den Vorwürfen. Die anderen beiden Männer äußerten sich ebenfalls nicht vor Gericht. "Stattdessen haben sie es vorgezogen, die verstörenden Tatvideos sprechen zu lassen", sagt der Richter. Diese sowie lange Chat-Protokolle über Gewaltfantasien und geplanten wie erlebten Missbrauch sowie zahllose Fotos waren den Richtern Beweis genug.

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Ein Verteidiger sagte nach dem Prozess, man denke darüber nach, gegen die Sicherungsverwahrung in Revision zu gehen.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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