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London: Nach Hochhausbrand: Trauriges Weihnachten für Überlebende


Inferno in London: Überlebende der Katastrophe
"Für viele wird es ein hartes Weihnachtsfest werden"

Von dpa, pdi

13.12.2017Lesedauer: 4 Min.
Der ausgebrannte Grenfell-Tower steht in London: Viele Überlebende des Brand im Hochhaus werden an Weihnachten immer noch ohne Zuhause sein.Vergrößern des BildesDer ausgebrannte Grenfell-Tower steht in London: Viele Überlebende des Brand im Hochhaus werden an Weihnachten immer noch ohne Zuhause sein. (Quelle: dpa-bilder)
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Beim verheerenden Brand im Grenfell-Hochhaus starben vor einem halben Jahr 71 Menschen. Viele Überlebende werden an Weihnachten immer noch ohne Zuhause sein - obwohl sie in einem reichen Bezirk

Die verkohlte Ruine ragt wie ein Mahnmal über dem Viertel. "Die Flammen gingen senkrecht nach oben, über uns hinweg." Tomassina Hessel ist auf dem Weg zu ihrem Apartment, das sie in jener Nacht vor sechs Monaten verlassen musste. Brennende Trümmer drohten auf ihren Wohnblock am Fuße des 24-stöckigen Grenfell-Hochhauses in London zu fallen. "Ich schlief schon, als mein Nachbar an die Tür klopfte. Er stürmte an mir vorbei und öffnete das Fenster. Was wir sahen, war einfach schrecklich."

Ihr Wohnblock ist inzwischen ein Geisterhaus. Nur wenige Bewohner sind in die heruntergekommenen Sozialwohnungen zurückgekehrt - zu stark sind die Erinnerungen. "Man konnte gar nicht anders als hinstarren. Aber ab und zu sah man an den Fenstern Gestalten mit Flammen dahinter. Und da wurde mir klar, dass dort Menschen sterben."

In Hotels und Pensionen

71 Menschen kamen durch den Brand ums Leben. Dazu zählt auch ein nach dem Feuer tot geborenes Baby. Scotland Yard korrigierte die Zahl der vermuteten Opfer Mitte November herunter. Die Identifizierung wurde durch die völlige Zerstörung der oberen Stockwerke erschwert.

In der Brandnacht am 14. Juni nahm Hessel ihren vierjährigen Sohn, schnappte sich ein paar Klamotten und floh in Hauspantoffeln. Seit sechs Monaten lebt die 31-Jährige nun in Hotels. Nur knapp 40 von 183 betroffenen Familien haben inzwischen ein dauerhaftes Zuhause gefunden. Alle anderen sind wie Hessel noch in Hotels oder Pensionen untergebracht - dort werden sie auch Weihnachten feiern.

"Für viele wird es ein hartes Weihnachtsfest werden", befürchtet Pfarrer Michael Long von der Methodistenkirche Notting Hill, die seit der Brandnacht zur Kommunikationszentrale des Viertels geworden ist. Anwohner schmücken die Gegend um die Kirche weihnachtlich, "um Hoffnung zu geben, ohne grell oder trivial zu werden", wie Long sagt. Über die Feiertage werden die Kirchentüren für alle offen stehen.

"Ich brach in Tränen aus"

Am schlimmsten ist für viele Überlebende, dass nicht nur die Anwohner selbst, sondern auch Spezialisten schon seit Jahren vor der Feuerfalle im Grenfell Tower warnten. Hessels Nachbar Paul Dylan half den Rettungsdiensten, die in der Katastrophennacht mit vielen Problemen kämpfen mussten: Der Feueralarm funktionierte nicht. Die brennbare Außenverkleidung heizte die Flammen an. Und der Wohnblock hatte nur ein Treppenhaus. "Die Feuerwehrleute taten ihr Bestes", erinnerte sich Dylan.

Auch der Brandschutzexperte Arnold Tarling hatte vor dem Risiko gewarnt. "Als ich angerufen wurde, brach ich erst mal in Tränen aus. Es war komplett vermeidbar", sagt er. Der Wolkenkratzer The Marina Torch in Dubai habe zweimal gebrannt, die Verkleidung sei dieselbe gewesen. Trotzdem sei dabei niemand gestorben. "Warum? Erstens hatten sie mehr Treppenhäuser und zweitens Sprinkleranlagen."

Bis heute weigert sich die britische Regierung - trotz Versprechungen - für die Nachrüstung alter Gebäude mit Sprinkleranlagen zu zahlen, um neue Katastrophen zu verhindern. Premierministerin Theresa May verweist auf die Bezirke, doch die haben nach den Sparmaßnahmen der Regierung kein Geld. Tarling ist enttäuscht: "Sprinkleranlagen sind äußerst effektiv, es gab keinen einzigen Bericht eines Todesfalls, wenn Sprinkler installiert waren und funktionierten."

Reicher Wahlkreis

Die Sozialbausiedlungen um den Grenfell Tower sind eine arme Insel im reichsten Wahlkreis Großbritanniens. Unter den Bewohnern herrscht Verzweiflung über das, was sie erlebt haben. Und Wut auf den Bezirksrat, der ihrer Ansicht nach versucht, seine Fehler beim Brandschutz zu vertuschen, anstatt den Menschen zu helfen.

Drei Monate nach dem Inferno begann eine öffentliche Untersuchung. Überlebende und Angehörige befürchten, dass die Verantwortung von Bauindustrie und Bezirk beschönigt werden könnte. Sie haben daher eine Petition gestartet, die auch von Popstar Adele unterstützt wird. Bis Ostern 2018 soll ein erster Zwischenbericht vorliegen.

Das Misstrauen gegen den Staat ist nach dem Brand überall rund um das Hochhaus zu spüren - das kittet die Nachbarschaft zusammen. Dagegen kämpft das mobile Einsatz-Team des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS an. Die psychologischen Berater klopfen an Türen, besuchen Überlebende in Hotels, organisieren Therapieplätze und hören einfach zu. Sandra Ifidon Osagiede ist eine von ihnen: "Jeder ist traumatisiert, jeder kämpft damit, was passiert ist und warum es passiert ist. Und was man hätte tun können, um es zu verhindern."

Traumabetreuung

Osagiede und ihre Kollegen behandeln 400 Menschen wegen posttraumatischer Belastungsstörungen, weitere 700 warten auf einen Therapieplatz. Es ist die umfangreichste psychologische Betreuung Europas. Tausende Anwohner werden Hilfe nach diesen traumatischen Ereignissen benötigen. Darunter auch Tomassina Hessel, die Weihnachten noch kein neues Zuhause hat. "Manchmal trifft es mich einfach. Ich lerne damit umzugehen. Denn es wird nicht weggehen."

Die Polizei ermittelt wegen Totschlags sowohl gegen einzelne Personen als auch Organisationen wie den Bezirksrat und die privatisierte Hausverwaltung vom Grenfell Tower. Initiativen sammeln Geld für Weihnachtsgeschenke für die Grenfell-Kinder. Am 14. Dezember ist ein Gottesdienst für Überlebende und Angehörige in der St.-Paul's-Kathedrale geplant, an dem auch Prinz Charles, die Prinzen William und Harry, Herzogin Kate und Herzogin Camilla teilnehmen sollen. Am selben Abend wird auch ein Schweigemarsch an die Toten erinnern - wie jeden Monat.

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