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Suizid einer Elfjährigen in Berlin: Waren Mobbing-Attacken der Auslöser?


Suizid einer Elfjährigen in Berlin
Psychologin: In fast jeder Klasse wird gemobbt

Von Nathalie Rippich

Aktualisiert am 04.02.2019Lesedauer: 4 Min.
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Mobbing ist an Schulen weit verbreitet – das war schon immer so. Hinzugekommen ist das "Cybermobbing", das noch schwerer zu erkennen ist. (Symbolfoto)Vergrößern des Bildes
Mobbing ist an Schulen weit verbreitet – das war schon immer so. Hinzugekommen ist das "Cybermobbing", das noch schwerer zu erkennen ist. (Symbolfoto) (Quelle: imago-images-bilder)

Eine Elfjährige stirbt in Berlin – waren Mitschüler schuld daran? Der extreme Fall macht Schlagzeilen: Doch Mobbing findet fast in jeder Klasse statt – und immer öfter auch im Internet.

Ein schockierender Fall bewegt Deutschland: In Berlin hat sich eine Elfjährige das Leben genommen. Vermutlich, weil sie nach massiven Mobbing-Attacken gegen sich keinen anderen Ausweg mehr sah. Der Fall ist extrem. Doch von Mobbing sind pro Klasse im Schnitt ein bis zwei Schüler betroffen, sagt die Diplompsychologin Julia Fluck, die an der Universität Koblenz-Landau zum Thema forscht und lehrt: "Das sind fünf bis zehn Prozent."

Früher nannte man es "Prügelknabe"

Opfer von einzelnen Gewalttaten und Beleidigungen würden wesentlich mehr Schüler, Mobbing aber sei eine systematische, also dauerhafte, Belastung für das Opfer. Die Zahlen seien seit Jahren konstant, hätten weder merklich zu- noch abgenommen. "Das gab es schon immer – früher nannte man das den 'Prügelknaben', heute gibt es ein konkretes Wort dafür. Das ist ein stabiles Phänomen, das zeigen verlässliche Studien", so Fluck.

Was sich – neben der Bezeichnung – verändert habe, sei der Blick auf das Thema. "In der Vergangenheit stand vor allem der Aspekt der körperlichen Gewalt im Vordergrund." Die gehe in den meisten Fällen von Jungen aus. Verbale Gewalt etwa in Form von Beleidigungen sei zwischen den Geschlechtern gleich verteilt. Relationale Gewalt, wie zum Beispiel Ausgrenzung, ist ein Phänomen, das vor allem unter Mädchen zu beobachten ist."

Cybermobbing – eine junge Gefahr

Seit der Jahrtausendwende ist eine komplett neue Form des Mobbings entstanden: das Cybermobbing. In der Anonymität des Internets fallen Diffamierungen besonders leicht. Der Täter ist nicht direkt mit der Reaktion des Opfers konfrontiert, gibt in vielen Fällen seine Identität nicht preis. Und: Oft könnten Opfer sich hier "rächen", sagt Fluck. "Das hat noch mal eine ganz andere Qualität, wenn etwa ein Video auf YouTube oder einer anderen Plattform hochgeladen wird."

Mobbing lässt sich nicht auf Schulhofschlägereien oder laut vernehmbare Beleidigungen im abgeschlossenen Raum begrenzen. Das macht es Eltern und Lehrern so schwer, damit umzugehen. An der Berliner Schule steht das Kollegium in der Kritik. Eltern und Schüler werfen den Lehrern vor, das Thema nicht ernst genug genommen zu haben. Die Schule weist die Vorwürfe zurück.

Fakt ist, dass immer mehr Schulen sich der Gefahren durch Mobbing bewusst sind – sie gründen Netzwerke und Initiativen zur Prävention. Dazu gehören Coachings und Projekttage, außerdem sind Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen im Einsatz. Fakt ist aber auch, dass viele Schulen in Sachen Personal am Limit planen. Dass vielerorts phasenweise nicht mal der normale Unterricht abgedeckt werden kann. Und: In der Lehrerausbildung spielt das Thema Mobbing kaum eine Rolle.

Lehrer müssen sich im Studium nicht mit Mobbing beschäftigen

"Ich biete Seminare zum Thema Mobbing an. Das ist aber im Studienplan tatsächlich nicht vorgesehen. Es ist kein Muss", sagt Fluck. Sie versuche, den zukünftigen Lehrkräften viele Informationen mit auf den Weg zu geben, "aber ein Zaubermittel gegen Mobbing gibt es nicht", stellt sie klar. Sie rät Lehrkräften, aufmerksam zu sein und die Schüler und ihre Sorgen ernst zu nehmen. Zu zeigen, dass sie offen sind. Und sie spricht sich für Strukturen aus, in denen Lehrer Zeit haben, sich abseits vom Unterrichtsinhalt mit ihren Schülern zu beschäftigen.

Und zwar nicht nur mit den Opfern, die natürlich in erster Linie geschützt werden müssten. Sondern auch mit den Tätern. Denn auch für sie kann ihr Verhalten schwerwiegende Folgen haben. "Wenn sie in der Schule nicht lernen, dass sie mit Gewalt nicht weiterkommen, nehmen sie diese Erfahrung mit in ihr späteres Leben." Die Folgen könnten sein, dass die Täter kriminell werden. "Häufig kommt es auch zu Substanzabhängigkeiten – Alkohol, Drogen", so Fluck.

Deshalb sei es wichtig, direkt beim Kennenlernen solchen Konstellationen entgegenzuwirken. Etwa durch Gruppenarbeiten, bei denen immer wieder durchmischt werde. "Es gibt kein Allheilmittel. Aber man kann und sollte alles probieren", appelliert Fluck.

Ohne Internet sind junge Menschen isoliert

Auch die Eltern können einen wesentlichen Teil beitragen. Kinder, die gemobbt werden, würden in der Regel nicht gerne darüber sprechen. Deshalb ist es gut, sich offen und interessiert zu zeigen und auf das Verhalten der Kinder zu achten. Der Austausch mit anderen Eltern und den Lehrern kann helfen.


Fluck betont außerdem, auch Interesse für die Social-Media-Aktivitäten der Kinder zu zeigen. "Eltern müssen gucken, was ihre Kinder am PC machen. Sie sollten dabei auf keinen Fall vergessen, dass das Internet ein großer Teil der Lebenswelt ist." Heißt: Wenn die Konsequenz nach einer Mobbing-Beichte sein soll, dass das Kind das Smartphone oder den Laptop nicht mehr nutzen soll, beeinträchtigt das möglicherweise das Vertrauensverhältnis. Außerdem habe das Netz auf der anderen Seite auch positive Effekte. So könnten sich Opfer untereinander austauschen und sich Unterstützung von ihren Freunden holen.

Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.

Verwendete Quellen
  • eigene Recherche
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