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Trinkgeld: Digitale Bezahlsysteme lösen Druck aus


Trinkgeldkultur im Wandel
"Stimmt so" stirbt aus: Vorsicht vor der 10-15-20-Regel

Von dpa, llb

Aktualisiert am 10.06.2024Lesedauer: 4 Min.
Paar bezahlt nach dem Restaurantbesuch via SmartphoneVergrößern des BildesPaar bezahlt die Rechnung via Smartphone: Bei digitalen Bezahlverfahren können Sie die Höhe des Trinkgeldes automatisch oder über voreingestellte Prozentbuttons bestimmen. (Quelle: Drazen Zigic)
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Wer kein Bargeld im Portemonnaie hat, kann kein Trinkgeld geben. Doch inzwischen übernehmen das Bezahlterminals. Was für die einen angenehm ist, könnte für die anderen ärgerlich sein.

Ein simples "Stimmt so" oder "Der Rest ist für Sie" – das sagten viele früher nach dem Essen im Restaurant bei der Bezahlung und gaben der Kellnerin oder dem Kellner ein Trinkgeld, das den Betrag oft nur ein wenig aufrundete.

Heute, in Zeiten des bargeldlosen Bezahlens, haben die Menschen kaum noch Kleingeld im Portemonnaie – ein einfaches Aufrunden auf den vollen Zahlbetrag ist nicht möglich. Zudem ist Trinkgeld hierzulande nur in Restaurants oder bei Dienstleistungen wie Friseur, Fußpflege oder Taxifahrt üblich.

Inzwischen werden Sie auch an Orten, wo das bisher nicht normal war, um ein sogenanntes Trinkgeld gebeten – und die üblichen zehn Prozent werden durch das Bezahlgerät manchmal bei Weitem überschritten. Wie teuer wird das Trinkgeld jetzt?

Bis zu 25 Prozent möglich

In einer Luxuskonditorei am Kurfürstendamm in Berlin zum Beispiel sind die knallig blau unterlegten Optionen auf dem Touch-Display "7", "10" und "20 Prozent". Erst bei genauem Hinsehen erkennt der Gast, dass er auch die Optionen "Freie Eingabe" und "Kein Trinkgeld" auswählen kann.

Am szenigen Hamburger-Stand, nicht weit entfernt, zeigt das Kartengerät: "0", "10", "15", "20 Prozent" – und sogar "25 Prozent" sind möglich. Beim bloß über die Theke gereichten Double Cheeseburger für 9,50 Euro macht das einen inflationären Trinkgeldzuschlag von satten 2,38 Euro.

Das Phänomen der sogenannten Trinkgeldinflation („Tipflation“) hat seinen Ursprung in den USA. Lesen Sie hier mehr zu diesem Thema. Es ist zwar noch nicht flächendeckend in Deutschland angekommen, aber es findet immer mehr Händler.

Trinkgeld-Unterschiede Deutschland vs. USA

Als Konsens gilt in Deutschland ein Trinkgeld von zehn Prozent des Umsatzes. Anders in den USA, wo durch die prekären Beschäftigungsverhältnisse Trinkgelder zwischen 15 und 20 Prozent nötig sind, um davon leben zu können. Hinzu kommt, dass viele Amerikaner nach der Corona-Pandemie bereit waren, die Gastronomie mit großzügigen Trinkgeldern zu unterstützen.

Die "Tipflation" wird durch digitale Bezahlsystem auch in Deutschland zu einem immer größeren Thema. Vorbei scheint jedenfalls die Zeit von Trinkgeld-Bechern an der Kasse, die leicht zu ignorieren waren. Aber warum verändert sich auch in Deutschland die Trinkgeldkultur in jüngster Zeit?

Trinkgeldkultur im Wandel

Am besten ist das Phänomen zu beobachten, wenn Kundinnen und Kunden um ein Trinkgeld gebeten werden, obwohl es sich eigentlich um ein Selbstbedienungsgeschäft handelt. Wenn Bezahlende öfter per Touchscreen ein vorprogrammiertes Trinkgeld geben sollen, fühlen sich in Deutschland viele genötigt, eine höhere Summe zu geben, als wenn sie es durch Aufrunden vielleicht freiwillig gegeben hätten.

Wirtschaftswissenschaftler wie Christian Traxler von der Berliner Hertie School nennen das "Nudging" (englisch für „anstupsen“). Das Verhalten der Kunden werde gelenkt, gar manipuliert, sagt der Verhaltensökonom.

Unangemessen und manipulativ

"Es wird oft nicht nur kommuniziert, dass ein Trinkgeld erwartet wird, sondern auch, in welchem Rahmen es als angemessen angesehen würde", sagt Traxler. Sind die vorprogrammierten Werte im EC-Kartengerät jedoch sehr hoch (für viele vielleicht sogar unverschämt hoch), fielen zwar die einzelnen Trinkgelder tendenziell höher aus, gleichzeitig sinke aber die Zahl derer, die überhaupt bereit seien, ein Trinkgeld zu geben. Ein Drahtseilakt, da Kunden angestupst, aber nicht verprellt werden sollen.

Weniger Trinkgeld bei Kartenzahlung

Der Wirtschaftswissenschaftler Sascha Hoffmann von der Hochschule Fresenius in Hamburg hat zum Thema Trinkgeld geforscht. Er weiß, dass Deutschland im Vergleich nach wie vor ein Bargeld-Land ist, doch der Anteil an Karten- und Smartphone-Bezahlvorgängen wachse. Der technische Kniff: Beim Bezahlen am Kartenlesegerät an das Trinkgeld zu erinnern, sei für Servicekräfte und Gastronomen sehr hilfreich, sagt Hoffmann.

Studien zeigten, dass bei Kartenzahlung im Großen und Ganzen weniger Trinkgeld gegeben werde, so Hoffmann weiter. "Das wirkt sich unmittelbar negativ auf die Verdienstmöglichkeiten von Mitarbeitenden in der Gastronomie und anderen Dienstleistungsberufen aus. Die Stundensätze sind dort ohnehin nicht besonders hoch und die Angestellten sind besonders auf Trinkgelder als zusätzliche Einkommensquelle angewiesen."

Falle das Trinkgeld weg, werden die Branchen laut Hoffmann womöglich noch unattraktiver, was den Arbeitskräftemangel in Serviceberufen vor allem in der Gastronomie weiter verschärfen könne.

Ködereffekt – der Hang zur Mitte

Schnell mal eben im Beisein der Servicekraft und anderer Gäste am Nebentisch das Trinkgeld auszurechnen, bedeutet für viele Restaurantbesucher Stress. Neben Kopfrechenproblemen kämen auch soziale Normen zum Tragen, da sich die meisten "anständig verhalten" und nicht als geizig gelten wollten.

Die vermeintliche Hilfe der Kartenbezahlgeräte, die nun auch in Branchen zum Zuge kommen, in denen Trinkgeldgeben bislang unüblich war (beispielsweise in Bäckereien), könne jedoch problematisch sein, betont Hoffmann.

Insgesamt sei die Gefahr groß, dass Kunden durch die Vorgabe von bestimmten Trinkgeldbeträgen zu einem Verhalten verleitet würden, das sie gar nicht wollten. Heißt: "Sie sehen die Vorgaben in der akuten Entscheidungssituation zwar vielleicht als entlastend an, ärgern sich aber im Nachhinein, dass sie zu viel Trinkgeld gegeben haben."

Auf die 10-15-20-Regel achten

Wenn statt zum Beispiel 5, 10 oder 15 Prozent im Display des Kartenlesegerätes 10, 15 oder 20 Prozent als Optionen angeboten werden, könne über die aus der Psychologie bekannte "Tendenz zur Mitte" eine überhöhte Trinkgeldzahlung ausgelöst werden.

Auch der Decoy Effect (Köder-Effekt) könne zuschlagen: Wird eine Trinkgeldhöhe absichtlich absurd hoch angesetzt, dann wirken die anderen Vorschläge, die eigentlich ebenfalls zu hoch sind, plötzlich angemessen. Manipulative Gestaltung der Touchscreens mit beispielsweise farbig unterlegten Feldern nutzen diesen Psychoeffekt aus und könnten Verbraucher täuschen, erklärt Hoffmann.

In Zukunft heißt es für alle Kartenzahler, nicht mehr nur im Restaurant darauf zu achten, wo Trinkgeld eingefordert wird. Außerdem sollten Sie nur so viel Trinkgeld geben, wie es angemessen ist – in der Regel sind das in Deutschland zehn Prozent. Waren Sie jedoch mit dem Service besonders zufrieden, dann spricht auch nichts gegen ein höheres Trinkgeld.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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