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Helmut Schmidt: Johannes Kahrs über den Altkanzler


Gastbeitrag
Könnte Helmut Schmidt auch heute noch Kanzler sein?

Aktualisiert am 31.12.2008Lesedauer: 6 Min.
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Von Johannes Kahrs, MdB und
Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD

Obwohl Helmut Schmidt vor gut 20 Jahren aus dem Bundestag ausgeschieden ist, gewinnt er noch heute alle Umfragen: Er sei nach Meinung der Bundesbürger der beste Bundeskanzler, den Deutschland jemals hatte, stellte das Umfrageinstitut Emnid im Jahr 2005 fest. Und als der Sender "Premiere" anlässlich seiner Sendung "Coole Kerle – Heiße Jobs" Anfang dieses Jahres nach dem "coolsten Kerl" Deutschlands fragte, landete auf Platz Eins nicht etwa ein Fußballer oder Formel-1-Fahrer, sondern Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. In dem Gratulationsblog der Wochenzeitung "Die Zeit", deren Herausgeber Helmut Schmidt ist, liest man in vielen der mehr als 500 Einträge zahlreiche Variationen des folgenden Satzes: "Als souveräner Staatsmann waren Sie in Deutschland bislang einmalig." Und die Leser der "Bild" malen, zeichnen und dichten zu Ehren Schmidts: "Eine Deutsche Eiche wird 90 Jahre", schreibt ein Leser. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihm während der großen Sturmflut 1962 in Hamburg schätzen gelernt, als sie in Sorge um ihre Familie war: "In diesen Stunden der Not schaffte es Helmut Schmidt, mit seiner Präsenz und seinem beherzten Handeln als Hamburger Innensenator meiner Familie ein wichtiges Gefühl zu vermitteln: Vertrauen", schreibt die Kanzlerin. Bundespräsident Horst Köhler preist ihn als einen der "wichtigsten Vordenker und Wegbereiter für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion" und SPD-Chef Franz Müntefering lobt ihn als "bedeutenden Staatsmann im weltpolitischen Kontext". Die bemerkenswerteste Gratulation kommt vom ehemaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger: "Ich hoffe, dass er mich überlebt, denn eine Welt ohne Helmut - eigensinnig, perfektionistisch, suchend, fordernd, inspirierend und verlässlich, wie er ist - wäre sehr leer."

Schmidt-Schnauze Die besten Zitate des Ex-Kanzlers

Wenn man durch all diese Geburtstagsgrüße in den Zeitungen blättert und sich durch die Glückwunsch-Blogs im Internet klickt, dann sind es immer folgende Eigenschaften, die die Menschen an Helmut Schmidt bewundern: Verlässlichkeit, Standhaftigkeit, Geradlinigkeit, "sagen, was Sache ist" und die Fähigkeit, zu führen, auch wenn es Widerstände gibt. All diese sind Attribute, die teilweise als "altmodisch" abgekanzelt werden. Unvergessen der beleidigende Satz eines politischen Blindgängers, diese Eigenschaften seien "Sekundärtugenden", mit denen man auch ein Konzentrationslager führen könne. Heute beweisen gute Politikerinnen und Politiker, dass nur erfolgreich sein kann, wenn man im Sinne Helmut Schmidts handelt: Führungsstärke zeigen, auch in schwierigen Zeiten. Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem es gelang, unpopuläre Reformen durchzusetzen ist in diesem Sinne ein würdiger Nachfolger Schmidts. Dies gilt ebenfalls für Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der die Rettungsmaßnahmen in der Finanzkrise maßgeblich gestaltet und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die es seit Jahren versteht, im Dauerkampf mit den Gesundheitslobbyisten Reformen auf den Weg zu bringen, um einige Wenige zu nennen.

Als ich 1982 der SPD beitrat, war Helmut Schmidt gerade als Bundeskanzler gestürzt worden. Für mich war dieses Unglück erst Recht Ansporn, in der SPD aktiv zu werden und für eine Sozialdemokratie im Sinne Helmut Schmidts zu kämpfen. Die Anfeindungen seitens der Konservativen und der bunt zusammen gewürfelten linken Protestbewegungen haben mich zwar immer geärgert, aber nicht sonderlich entsetzt. Dass Helmut Schmidt jedoch auch von Teilen der eigenen Partei geradezu bekämpft wurde, hat mich hingegen schockiert und mich darin bestärkt, für pragmatische Politik einzustehen.

Wenn man die Frage beantworten will, ob Helmut Schmidt heute noch Bundeskanzler sein könnte und die körperlichen Belastungen, die ein solches Amt mit sich bringt, großzügig außen vor lässt, muss man sich ein paar seiner größten politischen Leistungen vor Augen führen.

Legendär und zu Recht in fast jeder Laudatio erwähnt, ist Schmidts Handeln als Hamburger Innensenator während der großen Sturmflut 1962. Ohne zu zaudern übernahm er in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar die Koordination der Rettungsmaßnahmen in der Hansestadt. Viel zu spät hatten die Behörden die Gefahr durch die Sturmflut erkannt. Nun zählte jede Stunde, um Menschenleben zu retten. Als Schmidt das Kommando übernahm, waren bereits einige Deiche gebrochen, es gab Tote und die Informationslage war aufgrund unterbrochener Telefonleitungen mehr als unklar. Was tun? Eine Gremiensitzung einberufen, um erst einmal die Zuständigkeiten klären zu lassen? Schmidt fackelte nicht lange, forderte vorbei an allen gesetzlichen Regeln von der NATO Pioniertruppen mit Sturmbooten sowie Hubschrauber der Bundeswehr und der britischen Royal Air Force an, insgesamt 8000 Soldaten, die die rund 25.000 zivilen Helfer u.a. des Deutschen Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerkes und die Feuerwehren unterstützten. Mit dieser Tat begründete er nicht nur seinen Ruf als "Macher". Er bewies auch, dass ihm die Sache wichtiger war als seine eigene politische Karriere. Denn er erkannte nicht nur, was objektiv zu tun war und handelte auch danach, sondern er übernahm dafür auch persönlich die politische Verantwortung. Der Einsatz der Soldaten hätte ihm von missgünstigen Kleingeistern auch angekreidet werden können. Heikle Entscheidungen auf die 2. Ebene abzuwälzen und im Falle eines Scheiterns dann auf diese abzuwälzen, um selbst mit reiner Weste dazustehen - das wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Man steht zu dem, was man tut ohne Wenn und Aber.

Später als Bundeskanzler hat Helmut Schmidt diese bewundernswerte Verbindung von Tatkraft und Verantwortungsbewusstsein immer wieder unter Beweis gestellt. Auch hier sei ein allseits bekanntes Beispiel erwähnt: Sein Handeln im "Deutschen Herbst" 1977, der in der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyers sowie in der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut traurige Höhepunkte fand. Die von Schmidt angeordnete gewaltsame Befreiung der Landshut war ein Wagnis, das das Ende seiner Karriere hätte bedeuten können. Doch Schmidt sah, dass es keine vertretbare Alternative gab: Der Staat darf sich nicht erpressen lassen. Klare Analyse, die Notwendigkeit, danach zu handeln und am Ende dafür die Verantwortung zu übernehmen - das war die Linie eines großen Mannes. Helmut Schmidts langjähriger Weggefährte und Editor-at-Large der "Zeit" schreibt über ihn im Zusammenhang mit der Befreiung der Landshut: "Nur er selber wusste: Wäre das Unternehmen fehlgeschlagen, so hätte ihm niemand seinen sofortigen Rücktritt ausreden können."

So wie Helmut Schmidt jeden Erpressungsversuch durch innenpolitische Feinde des demokratischen Staates bekämpfte, so sehr hielt er auch den Erpressungsversuchen von außen stand: Der NATO-Doppelbeschluss, der die Antwort auf die Aufstellung von Mittelstreckenraketen durch die Sowjetunion in Europa war, kam auf seine Initiative hin zustande. Die NATO bot dem Warschauer Pakt Verhandlungen über die Begrenzung atomarer Mittelstreckenraketen an, drohte jedoch gleichzeitig für das Scheitern der Verhandlungen die Nachrüstung mit modernen amerikanischen Pershing-II-Raketen an. Der ostdeutsche Philosoph und Theologe Richard Schröder bewundert ihn noch heute dafür, dass er "auf den Erpressungsversuch der Sowjetunion mit den SS-20 geantwortet hat: Entweder sie verschwinden, oder wir stellen auch Raketen auf. Die Friedensbewegung hat nie begriffen, dass die Sowjets diese Sprache verstanden: Den müssen wir ernst nehmen. Der ist entschieden und berechenbar." Vier Jahre nach Helmut Schmidts Sturz war der Beweis erbracht, dass er Recht hatte. Michail Gorbatschow ließ sich auf die vom damaligen Bundeskanzler favorisierte Nulllösung ein: Alle SS-20 und alle Pershing-II-Raketen wurden abgeschafft.

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Hervorheben möchte ich zudem Helmut Schmidts Wirtschaftskompetenz. Er war der sozialdemokratische Kanzler, der bewies, dass man soziale Gerechtigkeit mit wirtschafts- und finanzpolitischer Vernunft vereinbaren kann. Trotz der beiden Ölkrisen 1973/74 und 1979/80, der folgenden Weltwirtschaftskrise und steigender Inflation gelang es ihm, den bestmöglichen Ausgleich zwischen finanz- und wirtschaftspolitisch Notwendigem und den Ansprüchen eines leistungsfähigen Sozialstaates zu schaffen. Ein Aspekt der wirtschaftspolitischen Vernunft war schon damals: In größeren Zusammenhängen denken und zu akzeptieren, dass rein nationales Handeln auf Dauer nicht funktionieren kann. Gemeinsam mit seinem Freund, dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing verwirklichte Schmidt entscheidende Schritte hin zur weiteren europäischen Integration. Die wirtschaftspolitisch bedeutendste Maßnahme war die Einführung des Europäischen Währungssystems und der Europäischen Währungseinheit (ECU), aus der später der Euro hervorgehen sollte. Die gemeinsame europäische Währung ist nicht nur in der Finanzkrise eine unbezahlbare Stütze für die europäische und damit auch deutsche Wirtschaft. Auf eine Idee Schmidts und Giscards ging auch die Gründung der "Gruppe der 7", zurück, die zwischenzeitlich Russland mit aufgenommen hat. Die regelmäßig stattfindenden G-8-Gipfel sind angesichts zunehmender Globalisierung heute wichtiger denn je.

Helmut Schmidts politisches Engagement hörte aber mit dem Ende seiner Kanzlerschaft nicht auf. In zahlreichen Büchern, Leitartikeln und Gesprächen bezieht er seitdem Stellung zu grundsätzlichen politischen Fragen. Die "Gruppe der 8" müsse um die neuen Akteure, wie etwa China und große arabische Ölproduzenten, erweitert werden, mahnte er vor ein paar Tagen. Bereits im Februar 2007 forderte Helmut Schmidt in der "Zeit" eine stärkere Regulierung der internationalen Finanzmärkte: "Transnational sich auswirkende Finanzkrisen können in den Euro-Raum und nach Deutschland durchschlagen. Deshalb haben wir ein vitales Interesse daran, dass die wild wuchernden und global agierenden Fonds in ähnlicher Weise unter Aufsicht kommen wie Banken und Versicherungen oder der Wertpapierhandel. Gegenwärtig kann niemand ausschließen, dass ein einzelner Kollaps, ein einzelnes dramatisches Ereignis, eine katastrophale politische Entwicklung im Raume zwischen dem Gaza-Streifen und Afghanistan oder eine neue Ölpreisexplosion eine Finanzkrise auslöst."

Die derzeitige Finanzkrise gibt ihm Recht. "Der Typus Schmidt erlebt in der Krise eine Renaissance", sagt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Bei diesem Satz denke ich nicht nur an Steinbrück selbst, sondern auch an andere Mitglieder der Parteispitze: Außenminister Frank-Walter Steinmeier und SPD-Vorsitzender Franz Müntefering. Im Übrigen ist dem Satz Steinbrücks nichts hinzuzufügen. Helmut Schmidt wäre auch heute noch einer der besten Kanzler, die wir je hatten.

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