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Chinas Regierungschef in Berlin: Dann gehen in Deutschland die Lichter aus


Dann gehen in Deutschland schnell die Lichter aus

Von Florian Harms

Aktualisiert am 20.06.2023Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Kanzler Scholz empfΓ€ngt Chinas MinisterprΓ€sidenten Li Qiang. (Quelle: IMAGO/Frank Ossenbrink)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Welt ist chaotisch, und je chaotischer sie wird, desto mehr sehnen wir uns nach Klarheit. NaturgemÀß unterscheiden wir gern zwischen Gut und Schlecht, Groß und Klein, Richtig und Falsch. In solchen Kategorien sind Demokratien gut und Diktaturen schlecht, wirtschaftlicher Wohlstand ist eine große Errungenschaft und Armut sollte mâglichst klein gehalten werden. Die Herren Scholz und Macron stehen auf der richtigen Seite, Typen wie Putin und Assad selbstverstÀndlich auf der falschen. Wir teilen die Welt in Schwarz und Weiß, weil es nicht nur unserem moralischen Empfinden, sondern auch dem menschlichen Bedürfnis nach Klarheit entspricht.

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Das Problem ist: Die Welt lÀsst sich meistens nicht in Schwarz und Weiß unterteilen. Auch Demokratien kânnen das Recht beugen, wie sich zum Beispiel in der jüngeren Geschichte Amerikas besichtigen ließ. In Autokratien wiederum ist nicht jeder Regimegünstling ein Verbrecher. AmbiguitÀtstoleranz nennen Soziologen die FÀhigkeit, Vieldeutigkeit ertragen zu kânnen. Davon brauchen wir heute eine extragroße Portion.

Im Berliner Regierungsviertel, wo sonst die Regeln fΓΌr unser Gemeinwesen geschmiedet werden, treten heute Leute auf den Plan, die viele unserer Regeln rundheraus ablehnen: Chinas MinisterprΓ€sident Li Qiang kommt zu den Deutsch-Chinesischen Regierungskonsultationen und bringt neun Minister mit. Kanzler Olaf Scholz hat ebenfalls seine wichtigsten Minister zusammengetrommelt. Zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie findet der direkte Austausch der beiden Regierungen wieder in PrΓ€senz statt, unter dem sibyllinischen Motto "gemeinsam nachhaltig handeln". Der Zeitpunkt kΓΆnnte kaum delikater sein: Die Beziehungen zwischen dem immer selbstbewusster (undiplomatisch: aggressiver) auftretenden China und den westlichen Demokratien war noch nie so angespannt wie jetzt.

Als "Partner, Wettbewerber, Rivale" bezeichnet Scholz das Pekinger Regime. Das klingt treffend, dokumentiert zugleich das deutsche Dilemma – und erklΓ€rt, warum sich die Ampelregierung so schwer damit tut, ihre angekΓΌndigte China-Strategie endlich auszuformulieren: Deutschland will sich einerseits Chinas rΓΌcksichtslosem Großmachtstreben nicht widerstandslos beugen, kann sich andererseits der chinesischen Umklammerung aber auch nicht vollstΓ€ndig entziehen. Die deutsche Wirtschaft und damit unser Wohlstand basieren zu einem erklecklichen Teil auf dem Handel mit China: Fast 300 Milliarden Euro betrug das Handelsvolumen im vergangenen Jahr. Bei Dax-Konzernen wie Volkswagen, Mercedes-Benz und BASF wΓΌrden ohne das brummende China-GeschΓ€ft schnell die Lichter ausgehen.

Jahrelang haben deutsche Politiker und Firmenlenker Chinas Gebaren praktisch ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Geopolitik oder gar Menschenrechte spielten auf den China-Reisen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel allenfalls eine marginale Nebenrolle. Auch durch diese servile Haltung ist zu erklÀren, dass Pekings Ideologen den Eindruck gewannen, mit den Deutschen kânne man Katz und Maus spielen.

Der Umgang mit Chinas Aufstieg hat sich verÀndert, seit Olaf Scholz und Annalena Baerbock die Bundesregierung anführen. Seither regiert ein deutlich nüchterner (Scholz) beziehungsweise deutlich kritischerer (Baerbock) Blick auf das Reich der Mitte, das sich anschickt, die USA als Supermacht abzulâsen. Die Außenministerin nutzt jede Gelegenheit, um Chinas aggressive Außen- und repressive Innenpolitik anzuprangern. Der Kanzler hat zwar dem Teilverkauf eines Hamburger Containerterminals an den chinesischen Staatskonzern Cosco zugestimmt: Gestern sind die VertrÀge unterzeichnet worden. Zugleich ist Scholz jedoch darauf bedacht, die AbhÀngigkeit nicht zu weit zu treiben und eine starke Gegenposition der EU-Staaten aufzubauen. Wie notwendig das ist, verdeutlicht ein Blick auf die fünf grâßten Risiken durch China:

  • Wirtschaftsspionage: China nutzt Handelsbeziehungen aus, um westliche Technologien zu plagiieren, Patente zu unterlaufen und Know-how abzusaugen. Die Bundesregierung erwΓ€gt deshalb sogar, im deutschen Mobilfunknetz verbaute Komponenten der chinesischen Geheimdienstkonzerne Huawei und ZTE herauszureißen.
  • Stasi-Methoden: China unterzieht nicht nur die eigene BevΓΆlkerung einem Orwell'schen Überwachungssystem, sondern bespitzelt auch Auslandschinesen. DafΓΌr hat es in Deutschland geheime Polizeistationen aufgebaut.
  • Verweigerte Kooperation: Beim Umgang mit dem Coronavirus hat China die Welt getΓ€uscht und eine Kooperation im Dienst des Gesundheitsschutzes verweigert. Bis heute ist der Ursprung des Virus' ungeklΓ€rt; deutsche Geheimdienste halten es fΓΌr mΓΆglich, dass es einem Labor in Wuhan entwischt sein kΓΆnnte.
  • Menschenrechtsverletzungen: Kein Land richtet mehr Menschen hin als China. Oppositionelle "verschwinden" und tauchen nie wieder auf, Zigtausende Uiguren werden in Konzentrationslagern eingesperrt, Folter ist in chinesischen Polizeistationen an der Tagesordnung. Durch seine expansive Wirtschaftspolitik auf Basis der "Neuen Seidenstraße" exportiert China seine brutalen Methoden als scheinbares Erfolgsmodell nach Afrika und Asien.
  • Kriegsgefahr: Chinas Drohungen gegen Taiwan sind lΓ€ngst viel mehr als SΓ€belrasseln. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass Peking den Angriff vorbereitet. Chinas Diktator Xi Jinping sieht in der demokratisch regierten Insel einen Stachel in seinem Fleisch und will sie erklΓ€rtermaßen seinem Reich einverleiben, um die Vorherrschaft im chinesischen Meer sicherzustellen. Immer wieder verletzen chinesische Kampfjets Taiwans Luftraum und nΓ€hern sich amerikanischen FlugzeugtrΓ€gern. Nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann zu einem "Zwischenfall" kommt, der noch nicht einmal beabsichtigt sein muss. Pekings AufrΓΌstung hat die Region in ein Pulverfass verwandelt, Γ€hnlich dem Nahen Osten.

Angesichts dieses SΓΌndenregisters kΓΆnnte man auf den Gedanken verfallen, dass die Abkoppelung von China die bessere LΓΆsung wΓ€re. Ist sie aber nicht. Trotz aller Risiken: Ost und West brauchen einander – fΓΌr ihre beiderseitige Sicherheit, fΓΌr den Wohlstand von heute und von morgen, um globale Herausforderungen wie die Klimakrise und das Artensterben zu bewΓ€ltigen. Der Umgang mit einer mΓ€chtigen Diktatur wie China ist unangenehm und manchmal auch gefΓ€hrlich. Noch gefΓ€hrlicher wΓ€re es jedoch, ihr den RΓΌcken zuzuwenden. Deshalb sind die Konsultationen in Berlin so wichtig.


Staatsbesuch in der Steppe

WΓ€hrend die Chinesen nach Berlin kommen, fliegt Frank-Walter Steinmeier nach Kasachstan. Sein dortiger GesprΓ€chspartner ist ebenfalls kein einfaches Kaliber: PrΓ€sident Kassym-Schomart Tokajew fΓΌhrt sein Amt kaum weniger autoritΓ€r als sein 2019 entmachteter VorgΓ€nger Nursultan Nasarbajew. Der BundesprΓ€sident, der von einer Wirtschaftsdelegation in die ΓΆlreiche Ex-Sowjetrepublik begleitet wird, will mit seinem Besuch trotzdem "ein Signal der Partnerschaft" senden. Kritik wird er hoffentlich auch vorbringen.


KrankenhΓ€user schlagen Alarm

Es ist nicht so, dass der Gesundheitsminister das Problem nicht erkannt hΓ€tte, im Gegenteil: Schon lΓ€nger warnt Karl Lauterbach mit dramatischen Worten vor einem "unkontrollierten Krankenhaussterben". Dagegenhalten will er mit einer groß angelegten Neuorganisation der deutschen Kliniken. Geht es nach dem SPD-Politiker, sollen KrankenhΓ€user in drei Kategorien – erstens wohnortnahe Grundversorgung, zweitens Regel- und Schwerpunktversorgung, drittens Maximalversorgung – eingeordnet und entsprechend vergΓΌtet werden. Außerdem will er den ΓΆkonomischen Druck verringern, indem Kliniken nicht mehr nur ΓΌber Fallzahlen, sondern ΓΌber Vorhaltepauschalen finanziert werden. Also Geld dafΓΌr bekommen, dass sie bestimmte Leistungen anbieten. Doch mit seinen Amtskollegen aus den BundeslΓ€ndern konnte sich Lauterbach bislang nicht einigen; wann und wie die Reform kommt, ist offen.

Der Deutschen Krankenhausgesellschaft dauert das Geschacher zu lang: Mit einem bundesweiten Protesttag unter dem Motto "KrankenhÀuser in Not" machen heute zahlreiche Kliniken auf ihre wirtschaftliche Not aufmerksam. Um die Folgen der Corona-Pandemie, die kriegsbedingte Kostenexplosion, die Inflation und die steigenden GehÀlter zu bezahlen, fordern sie vor der Großreform ein "Vorschaltgesetz". Erfolgsaussicht? Wohl eher gering.


Rechtsruck im Norden

Gerade einmal zwei Jahre ist es her, dass alle vier europÀischen NordlÀnder sozialdemokratisch geführte Regierungen hatten. Insbesondere die junge finnische MinisterprÀsidentin Sanna Marin erfreute sich dank ihres unkonventionellen Auftretens internationaler Beliebtheit. Tempi passati. Wie zuvor Schweden rückt nun auch Finnland nach rechts. Angeführt wird die neue Viererkoalition von der bei den jüngsten Wahlen siegreichen Nationalen Sammlungspartei des designierten MinisterprÀsidenten Petteri Orpo. Außerdem sind die rechtspopulistischen "Wahren Finnen", die Christdemokraten und die Schwedenpartei im Boot. Heute Vormittag soll der Regierungschef im Parlament gewÀhlt werden.

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Tagesanbruch - Was heute wichtig istWas heute wichtig ist

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Die innere Sicherheit

Neonazis, Islamisten, Linksextremisten: Demokratie und Sicherheit werden von vielen Seiten angegriffen. Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts in Berlin erfahren wir die Details.


Zahl des Tages

Weltweit sind mehr als 43 Millionen Kinder vertrieben worden: Das ist die hΓΆchste je erhobene Zahl. Allein durch die KΓ€mpfe im Sudan haben mehr als eine Million Kinder ihr Zuhause verloren. Die Mitarbeiter des UN-Kinderhilfswerks Unicef berichten exemplarisch von zwei Jugendlichen aus dem SΓΌdsudan, die einst vor dem BΓΌrgerkrieg in den Sudan flohen – und nun wiederum von dort fliehen mussten. Dabei wurden sie von ihren Familien getrennt und von Banden ΓΌberfallen. Ihre Geschichte nahm dennoch ein teils versΓΆhnliches Ende.


Zitat des Tages

"Wir haben hier verdammt noch mal niemanden, der weiß, wie so eine WÀrmepumpe funktioniert."

Die "SΓΌddeutsche Zeitung" zitiert "Bild"-Chefredakteurin Marion Horn. Gefallen sein soll der Satz anlΓ€sslich der AnkΓΌndigung des Axel-Springer-Verlags, Hunderte Stellen zu streichen. Horns Redaktion hatte in den vergangenen Wochen eine auf Halbwahrheiten basierende Kampagne gegen das Heizungsgesetz betrieben.


Ohrenschmaus

Nachdenken soll immer helfen. Wer wΓΌsste das besser als diese Frau?


Das historische Bild

Bis heute hΓ€lt sich die Legende, dass die Nazis die Autobahn "erfunden" hΓ€tten. Das stimmt so nicht.


Was lesen und anschauen?

Auf dem Weg zum Wrack der "Titanic" ist ein Touristen-Tauchboot verschwunden. Wie die Suchaktion ablΓ€uft, berichten Ihnen meine Kolleginnen Clara Lipkowski, Theresa Crysmann und Anna-Lena Janzen.



Wollen die GrΓΌnen den Deutschen das Fleischessen verbieten? Die Kollegen der ARD entlarven die LΓΌgen von Politikern aus CDU, CSU und AfD.


Zum Schluss

Manche MΓ€nner sehen nur das Schlechte. Wie gut, dass es auch Frauen gibt.

Ob Mann oder Frau: Ich wΓΌnsche Ihnen einen schΓΆnen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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