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Cannabis-Legalisierung: Jetzt beginnt eine absurde Phase


Tagesanbruch
Das könnte ihnen zum Verhängnis werden

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 02.04.2024Lesedauer: 5 Min.
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Minister Lauterbach (l.,SPD), Minister Habeck (Grüne): Ein Großprojekt der Ampel könnte ihnen auf die Füße fallen. (Quelle: IMAGO/M. Popow/imago)

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

für Kiffer in Deutschland war gestern ein guter Tag: Sie dürfen sich seit dem 1. April offiziell berauschen, Cannabis-Konsum und -Besitz sind nun in gewissen Grenzen legal.

Man kann das gutheißen oder verteufeln. Ich für meinen Teil bin eine Befürworterin der Legalisierung. Zu stark wurde in der Vergangenheit mit zweierlei Maß gemessen: Auf der einen Seite durfte dem Alkohol mit ganzen Volksfesten gehuldigt werden, auf der anderen Seite konnte schon ein wenig Gras in der Tasche den Besitzer in strafrechtliche Probleme bringen. Dass diese Schizophrenie ein Ende hat, ist gut und richtig.

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Der Gesetzgeber freilich argumentiert mit Gesundheits- und Konsumentenschutz. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte immer wieder: Ziel sei es, erwachsenen Konsumenten den Zugang zu sauberem Cannabis zu ermöglichen. Und den Schwarzmarkt zu schädigen, wenn nicht gar trockenzulegen, der seinen Kunden neben Cannabis noch sehr viel härtere Drogen anbiete.

Hier allerdings ist mit Blick auf die nächsten Monate eine Warnung angebracht. Denn keines von Lauterbachs Zielen ist mit dem 1. April verwirklicht worden. Im Gegenteil: Nun beginnt eine absurde und potenziell gefährliche Phase, die diese Ziele torpediert.

Denn die Cannabis Social Clubs, die sauberes Gras unter Auflagen anbauen und an ihre Mitglieder abgeben sollen, dürfen erst ab Juli überhaupt mit dem Anbau beginnen. Monate braucht es dann noch einmal bis zur ersten Ernte. Vor derselben Herausforderung stehen jene, die ab sofort zu Hause selbst die bis zu drei erlaubten Pflanzen wachsen lassen wollen.

Bedeutet: Kiffen mag jetzt legal sein, legal angebautes Gras aber gibt es nicht. Gesichert sauberes Cannabis in größeren Mengen ist über die Clubs frühestens Ende des Jahres zu erwarten. Von "100 Prozent Schwarzmarkt" geht der Deutsche Hanfverband mit Blick auf das derzeit gerauchte Gras aus. Und der Gesetzgeber nickt ab: 25 Gramm Cannabis zu besitzen, sei ab sofort straffrei, und zwar: "unabhängig von der Herkunft", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" eine Sprecherin von Lauterbachs Ministerium.

Was Lauterbach unterbinden wollte, das befeuert er so nun mindestens für einige Monate: Es wird dreckiges Gras geraucht werden – und zwar viel davon, dank der Legalisierung vermutlich mehr als zuvor. Und für alle, die keine Vorstellung davon haben, was "dreckig" genau bedeutet: Cannabis wird auf dem Schwarzmarkt oft mit Haarspray besprüht, mit Zucker, Ölen, Wachs, Sand oder Chemikalien versetzt, um es schwerer und so teurer zu machen. Eine toxische Wundertüte.

Dieses Cannabis ist oft auch hochpotent und wesentlich stärker als die Pflanzen, die in Cannabis Clubs erlaubt sein werden. Ich habe 2-Meter-Hünen nach ein paar Joint-Zügen die Farbe wechseln und andere den Kopf für Stunden auf die Tischplatte legen sehen. Wer das Gras nicht gewohnt ist, wer als Neuling nun nach einer kursierenden Tüte greift, dem sei empfohlen: Zieh vorsichtig.

Ein Booster für den Schwarzmarkt wird der Zeitverzug zwischen Legalisierung und der ersten legalen Grasernte so sein. Und einer, der noch lange tragen könnte: Der Gang zum Dealer ist und bleibt für viele einfacher als das Selbstanbauen oder der Eintritt in einen Cannabis Club. Wer damit nun gute Erfahrungen macht, wird vielleicht nicht mehr umsteigen.

Die Clubs nämlich, die maximal 500 Mitglieder haben dürfen, verzeichnen schon jetzt zu viele Anfragen auf Aufnahme. Und sie sieben ordentlich aus, ganz nach eigenem Gusto. Die Mitgliedspreise variieren, mancher Club fordert außerdem peppige Bewerbungsschreiben oder prüft Berufsnachweise.

Nicht jeder also ist in jedem Club willkommen. Es droht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der jene dauerhaft dem gesundheitsgefährdenden Schwarzmarkt überlassen bleiben, die ohnehin wenig von allem haben.

Die Legalisierung bleibt ein richtiger und wichtiger Schritt. Doch sollten Lauterbach und Co. sich dafür lieber nicht zu laut beklatschen. Die Bundesregierung hat die Legalisierung nicht klug orchestriert, sondern hastig übers Knie gebrochen. Das könnte ihr wie dem gesamten Vorhaben zum Verhängnis werden.


Klatsche für Erdoğan

Herbe Klatsche für Recep Tayyip Erdoğan: Bei den Kommunalwahlen in der Türkei ist die Oppositionspartei CHP stärkste Kraft geworden. 35 von 81 Bürgermeisterposten konnte die Mitte-links-Partei gewinnen, Erdoğans islamisch-konservative AKP hingegen nur 24. Erstmals seit ihrer Gründung 2002 wurde die AKP damit nur zweitstärkste Kraft.

Die Wahl galt als Stimmungstest für den türkischen Präsidenten – und Gründe, ihn abzustrafen, sahen Bürger offensichtlich genug. Die Inflation ist hoch, die Wirtschaft am Boden, seit Jahren untergräbt Erdoğan Pressefreiheit und Bürgerrechte.

Nicht nur eine Bürgermeisterwahl, sondern eine Wahl für Demokratie, Recht und Gerechtigkeit hatte deswegen Ekrem Imamoğlu bei der Wahl in Istanbul angekündigt. Der CHP-Politiker wurde in seinem Amt als Bürgermeister in der Millionen-Metropole bestätigt – und gilt nun als großer Hoffnungsträger der Opposition.


In Deutschland sollte die weit über das Kommunale aufgeladene Wahl zu denken geben. Denn auch hier stehen Ende Mai und Anfang Juni in acht Bundesländern Kommunalwahlen an. Die AfD wünscht sich eine blaue Welle und will sich noch stärker an der Basis vernetzen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow warnte im Gespräch mit t-online gerade vor einem "großen Problem": Es fehlten in einigen Orten Gegenkandidaten. "Die Stimmung ist mancherorts so aggressiv geworden, dass sie von der Familie oder Freunden gesagt bekommen: Bitte kandidiere nicht (….)." Das ganze Interview lesen Sie hier.


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Die Sorge vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten wächst: Zwei iranische Brigadegeneräle sind bei einem mutmaßlichen israelischen Luftangriff in Syrien getötet worden. Experten äußern bereits die Sorge, dass einige in Teheran den Angriff als Kriegserklärung werten könnten. Wir behalten die Lage weiterhin im Blick und berichten.


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Zum Schluss

Morgen schreibt Florian Harms wieder für Sie. Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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