t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

Heikle Aufgabe für Friedrich Merz


Tagesanbruch
Schlag auf Schlag im Dreieck des Schreckens

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 17.06.2025 - 06:40 UhrLesedauer: 7 Min.
Brennendes Öldepot nach iranischem Angriff auf Haifa.Vergrößern des Bildes
Brennendes Öldepot nach iranischem Angriff auf Haifa. (Quelle: Rami Shlush/REUTERS)
News folgen

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Krisen eskalieren binnen Stunden, beim Blick in die Nachrichten kann einem heiß und kalt werden. Die Friedensforscher des Sipri-Instituts warnen vor dem neuen Wettrüsten, schon die gegenwärtigen Konflikte genügen, um die Weltlage in düsteren Konturen zu zeichnen.

Loading...

Die gefährlichsten Krisen auf dem Globus wurzeln allesamt in einer Großregion, die man als Erweiterten Osten bezeichnen kann. Sie reicht von der Ukraine über die Türkei und die Levante bis hinunter in den Sudan, erstreckt sich östlich über Somalia und den Jemen bis nach Pakistan und Indien und umfasst in der Kehre Afghanistan, den Iran und den Irak. In diesem Dreieck toben seit Jahren die schlimmsten Konflikte, und die Zeichen stehen nicht auf Besserung:

  • Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine soll die Zahl der Toten und Verwundeten jüngsten Berichten zufolge nun bei weit über einer Million liegen. Der Kremlchef opfert die Jugend seines Landes in Fleischwolfschlachten, um seinen imperialistischen Ehrgeiz zu stillen und die Bevölkerung von seinem politischen Offenbarungseid abzulenken. "Putin kann sich Frieden gar nicht leisten", schreiben die Kollegen von "ntv" in einer erhellenden Analyse. "Die Logik der Kriegswirtschaft zwingt ihn, weiterzumachen."
  • Im Vorderen Orient toben seit Jahren Schlachten zwischen wechselnden Akteuren. Der syrische Bürgerkrieg hat das wichtigste Transitland des Nahen Ostens zugrunde gerichtet, der Libanon ist aufgrund von Kleptokratenherrschaft, Staatspleite und Hisbollah-Terror zum failed state herabgesunken. In den Trümmern des Gazastreifens führt die israelische Armee einen barbarischen Krieg, von dem sie selbst nicht mehr weiß, wie sie ihn beenden soll, bombardiert auf der Terroristenjagd Zehntausende Zivilisten und hungert Kinder aus. Auch die israelische Bevölkerung ist mittlerweile vom Dauerkrieg gezeichnet, die Stimmung im Land schwankt zwischen neurotisch und depressiv. Die Türkei ist tief in die syrischen Diadochenkämpfe verstrickt und will im Norden die Kurden zu einem Diktatfrieden zwingen. Der zunehmend greisenhafte Autokrat Erdoğan unterdrückt die Opposition und sperrt Rivalen ein.
  • Am Horn von Afrika herrschen Hunger, Armut und der Terror islamistischer Milizen. In Somalia, im Sudan und im Südsudan liefern sich Warlords unübersichtliche Schlachten, unter denen Millionen Zivilisten leiden. Das Gemetzel im Sudan gilt als die schlimmste humanitäre Krise der Welt.
  • Der Jemen schien sich dank nachlassender Bombardements der Saudis ein wenig zu beruhigen, nun jedoch erstarkt die Huthi-Miliz, feuert Raketen nach Israel und bedroht die Schifffahrtsroute im Roten Meer. Der angeblich von US-Präsident Trump oktroyierte Waffenstillstand ist nicht mehr als ein schlechter Witz.
  • Weiter östlich haben sich die Erzfeinde Indien und Pakistan in eine neuerliche Konfrontation verstrickt, nachdem mutmaßlich pakistanische Terroristen im indischen Teil Kaschmirs zwei Dutzend Touristen ermordet hatten. Kürzlich lieferten sich die beiden Atommächte wohl die größte Luftschlacht seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Dabei erwiesen sich die pakistanischen Jets chinesischer Bauart den indischen Maschinen französischen Typs als überlegen.
  • In Afghanistan verschlechtert sich die Menschenrechtslage unter den Taliban, ein Bericht des deutschen Innenministeriums spricht von "regelmäßigen terroristischen Anschlägen und bewaffneten Auseinandersetzungen". Al-Qaida und der "Islamische Staat" operieren weiter.
  • Und dann ist da noch das Mullah-Regime im Iran, das mit massiver Unzufriedenheit der Bevölkerung zu kämpfen hat und nun durch die israelischen Angriffe an den Rand des Kollapses gebombt wird. Der wechselseitige Raketenhagel folgt nicht allein Sicherheitsinteressen, sondern auf beiden Seiten auch tief verwurzelter Ideologie und nicht zuletzt dem persönlichen Kalkül von Ministerpräsident Netanjahu und Diktator Chamenei. "Netanjahu will der Schöpfer eines Groß-Israels sein", schreibt unser Kolumnist Gerhard Spörl.
Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Was bedeutet die explosive Lage im Dreieck des Schreckens für Deutschland? Das Mitgefühl mit den Opfern der Konflikte steht zu Recht im Vordergrund. Die Furcht vor immer schnelleren, immer schlimmeren Eskalationen drängt sich hinzu – schließlich sind an den Kämpfen mit Russland, Indien, Pakistan und Israel gleich vier Atommächte beteiligt; der Iran steht kurz vor dem Bombenbau. Auch wirtschaftliche Interessen fallen ins Gewicht: "Gerade für Deutschland, das wie kaum ein anderes Land am Export hängt, ist eine von Kriegen, politischen Zerwürfnissen und Handelsfriktionen gezeichnete Welt eine ökonomische Bedrohung", schreibt die "Neue Zürcher Zeitung".

Die schwarz-rote Koalition ist deshalb in diesen schicksalhaften Tagen gefordert wie keine andere Bundesregierung der vergangenen Jahre. Im Kanzleramt beginnt man das nun auch zu merken. Nicht die Abwehr illegaler Migration oder die Ankurbelung der Wirtschaft – so wichtig diese Vorhaben auch sein mögen – rangieren in der Prioritätenliste auf Platz eins, sondern das außenpolitische Krisenmanagement sowie die Militär- und Sicherheitspolitik. Jeden Tag Telefonate, jeden Tag Memos, jeden Tag neue Wendungen und noch größere Herausforderungen. Auch der heute fortgesetzte G7-Gipfel steht unter diesen Vorzeichen, der Nato-Gipfel kommende Woche sowieso.

Die Aufgaben für Friedrich Merz und seine Minister sind gewaltig. Selbst ein so einflussreiches und wohlhabendes Land wie die Bundesrepublik kann die Konflikte im Dreieck des Schreckens nicht befrieden. Aber es kann sich auf allen diplomatischen Kanälen dafür einsetzen, dass die Kriegstreiber ihr zynisches Werk nicht ungehindert fortsetzen können. Dafür müssen vor allem der Kanzler, der Außen- und der Verteidigungsminister geschlossen auftreten: hart in der Sache, aber verbindlich im Ton, stets im Gleichschritt mit den europäischen Partnern, aber mit dem Blick über den Tag hinaus.

Wie es scheint, traut die Mehrheit der Deutschen dem Kanzler das zu: 56 Prozent der Wähler aller Parteien finden es einer Forsa-Umfrage im Auftrag des "Stern" zufolge gut, wie Friedrich Merz im Ausland auftritt. Hohe Zustimmung erhält er nicht nur aus dem eigenen Lager der CDU/CSU (89 Prozent), sondern auch von Anhängern der SPD (75 Prozent) und der Grünen (71 Prozent).

Auf die demokratische Mitte kann die Bundesregierung bei ihrer wichtigsten Aufgabe also zählen. Das ist in Zeiten von Trump, Putin und Co. ein großer Vorteil, den es zu nutzen gilt. Friedrich Merz, Johann Wadephul und Boris Pistorius haben die Chance, als Krisenschlichter-Trio in die Geschichte einzugehen.


Heikler Gipfel

Der G7-Gipfel in Kanada hat in den vergangenen Stunden zwei Wendungen genommen: Das Weiße Haus verkündete, dass US-Präsident Donald Trump das Treffen der wichtigsten westlichen Industrieländer vorzeitig verlassen müsse. Als Grund wurde die Situation im Nahen Osten genannt. Trump wollte noch am Montagabend nach Washington zurückkehren. Kurz zuvor hatte er dem iranischen Regime auf seiner Plattform Truth Social gedroht und die Bürger Teherans dazu aufgefordert, aus der Stadt zu fliehen.

Kurz darauf dann die nächste unerwartete Ankündigung: Trump und die anderen G7-Chefs verständigten sich auf eine gemeinsame Erklärung zum Krieg zwischen Israel und dem Iran. In dem Text wird Israels Recht auf Selbstverteidigung betont und erklärt, dass der Iran niemals in den Besitz einer Atomwaffe gelangen dürfe. Mit einer gemeinsamen Erklärung hatte nach Trumps Gipfel-Abgang wohl kaum noch jemand gerechnet. Meine Kollegen Johannes Bebermeier und Bastian Brauns haben die jüngsten Ereignisse in einem Bericht eingeordnet.

Natürlich steht die Eskalation des Nahostkonflikts beim G7-Gipfel ganz oben auf der Tagesordnung. Sie ist aber bei Weitem nicht der einzige Krisenherd, zu dem sich die Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Industrienationen positionieren müssen. Eine "klare Perspektive für eine Einigung im transatlantischen Zollstreit" mit den USA hat Kanzler Merz als wünschenswertes Ziel aus Sicht der europäischen Teilnehmer ausgegeben. Schließlich drohen andernfalls ab 9. Juli neue Handelsaufschläge. Ob der Dealmaker-Donald durch Angebote wie den Einkauf von noch mehr US-Flüssiggas und noch mehr US-Rüstungsgütern milde gestimmt werden kann, lässt sich kaum prognostizieren. Seine Abwesenheit am letzten Tag des Gipfels dürfte die Verhandlungen erschweren.

Besonders schwierig gestaltet sich auch das Ringen um eine gemeinsame Linie zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Hier wollen die Europäer versuchen, die USA bei der Stange zu halten und den Putin-Verehrer im Weißen Haus zu weiteren Sanktionen gegen Russlands Energiefirmen zu bewegen. Zu diesem Zweck reisen heute am letzten Gipfeltag der ukrainische Präsident Selenskyj und Nato-Generalsekretär Rutte als Gäste nach Kananaskis in die Rocky Mountains. Von der Unterzeichnung eines gemeinsamen Abschlussdokuments haben die G7-Lenker wohlweislich schon Abstand genommen.


Brasilien bohrt

Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit findet derzeit die Zwischen-Klimakonferenz in Bonn statt. 4.000 Teilnehmer aus aller Welt bereiten die nächste Weltklimakonferenz Ende des Jahres in Brasilien vor. Dort sollen die Staaten ambitioniertere Klimaziele präsentieren – viele haben ihre Pläne jedoch noch gar nicht eingereicht.

Zum fatalen Rückschlag in der Klimapolitik passt, was stattdessen heute im künftigen Gastgeberland passiert: Die brasilianische Energieagentur ANP hat eine Auktion für die Ausbeutung neuer Öl- und Gasfelder angesetzt. Die ausgeschriebenen Förderflächen, mit einer Ausdehnung von 145.000 Quadratkilometern etwas größer als Nicaragua, liegen teils in der Mündung des Amazonasbeckens, einer ökologisch hochsensiblen Region. Vom gesteigerten CO2-Ausstoß ganz zu schweigen. Das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels rückt in immer weitere Ferne.


Lesetipps

Wie konnte die AfD in Ostdeutschland zur stärksten politischen Kraft aufsteigen? "Tagesanbruch"-Leserin Kristina Hänel beschreibt die Gründe aus ihrer Erfahrung.


Außenminister Wadephul ist unermüdlich an den Krisenherden im Nahen Osten unterwegs. Wie groß ist Deutschlands Einfluss wirklich? Unser Reporter Patrick Diekmann berichtet.


Das Bürgergeld soll künftig "Neue Grundsicherung" heißen. Der Name ist nicht das Problem, der Inhalt aber schon, meint unser Kolumnist Uwe Vorkötter.


Ist am Geiseltalsee in Sachsen-Anhalt ein Raubtier unterwegs? Die Polizei ist auf der Suche. Auslöser ist ein Video, das online verbreitet wurde. Laut der Ordnungsdezernentin des Saalekreises könnte es ein Puma sein.


Deutschland erwartet die zweite Hitzewelle – Auftakt zu einem Sommer der Extreme? Meine Kollegin Ellen Ivits deutet die Wettermodelle.


Ohrenschmaus

Heute was Beschwingtes gefällig? Bitte schön.


Zum Schluss

Jens Spahn hat einen Ausweg aus seiner Maskenmisere gefunden.

Ich wünsche Ihnen einen stabilen Tag. Morgen kommt der Tagesanbruch von Philipp Michaelis, von mir lesen Sie am Donnerstag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Gefällt Ihnen der Tagesanbruch? Dann leiten Sie diesen Newsletter an Ihre Freunde weiter.

Haben Sie diesen Newsletter von einem Freund erhalten? Hier können Sie ihn kostenlos abonnieren.

Alle bisherigen Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten von t-online lesen Sie hier.

Mit Material von dpa.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel


Bleiben Sie dran!
App StorePlay Store
Auf Facebook folgenAuf X folgenAuf Instagram folgenAuf YouTube folgenAuf Spotify folgen


Telekom