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Der Ukraine-Krieg treibt Länder in die Arme der Nato: Die Lage ändert sich radikal


Tagesanbruch
Die Lage ändert sich radikal

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.04.2022Lesedauer: 5 Min.
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Norwegische Nato-Soldaten bei einem Manöver mit US-Truppen Mitte MärzVergrößern des Bildes
Norwegische Nato-Soldaten bei einem Manöver mit US-Truppen Mitte März. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

jahrelang dämmerte die Nato vor sich hin, jetzt ist sie wieder da – und wird stärker als je zuvor. Mit seinem Angriff auf die Ukraine hat Wladimir Putin dem Militärbündnis unfreiwillig die Existenzberechtigung gerettet – nun treibt er weitere Länder in die Arme der Allianz: Finnland und Schweden sind drauf und dran, die Nato-Mitglieder Nummer 31 und 32 zu werden. Gestern hat die Regierung in Helsinki dem Parlament ihre neue Sicherheitsstrategie vorgelegt. Sie leitet eine Kehrtwende ein, die einem spektakulären Stimmungsumschwung in der Bevölkerung folgt: Nach jahrzehntelanger Skepsis will plötzlich die große Mehrheit der Finnen unter den Schutzschild der Nato schlüpfen.

Auch die pazifistischen Schweden klappen das Visier herunter. Mit Waffenlieferungen an die Ukraine haben sie ein historisches Tabu gebrochen – nun endet auch ihre traditionelle Neutralität: Eine knappe Mehrheit der Bevölkerung befürwortet den Beitritt zur Nato. Das Risiko, am Ende in Skandinavien allein und ungeschützt zurückzubleiben, behagt den meisten Bürgern nicht. Premierministerin Magdalena Andersson hat sich hinter den Kulissen angeblich schon festgelegt: Beim Nato-Gipfeltreffen im Juni soll Schwedens Antrag auf dem Tisch liegen.

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"Na und?", fragen Sie vielleicht. Spielt es eine Rolle, wenn zwei militärische Zwerge dem mächtigsten Militärbündnis der Welt beitreten? Allerdings, denn Zwerge können wachsen. In Friedenszeiten sind die Armeen klein, doch das Mobilisierungspotenzial ist groß, vor allem in Finnland: Regelmäßig rücken dort Reservisten zu Übungen in die Kasernen, damit im Krisenfall 280.000 Soldaten bereitstehen. Nirgendwo ist die Wehrbereitschaft so hoch wie im hohen Norden. Während sich in den meisten Nato-Staaten nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung mit dem Gedanken anfreunden kann, für das eigene Land zur Not mit dem Leben einzustehen, sind drei Viertel der Finnen dazu bereit.

Der Verteidigungswille kommt nicht von ungefähr. Die komplizierte Nachbarschaft zu Russland hat die Sinne wachgehalten. Die Moskauer Gängelei während des Kalten Krieges ist nicht vergessen, und zur Auffrischung genügt ein Blick auf die Landkarte: Die 1.300 Kilometer lange gemeinsame Grenze durch Taiga und Tundra hat das Risiko eines heißen Krieges nie aus den Köpfen verschwinden lassen. Es versteht sich deshalb von selbst, dass in Finnland auch der Zivilschutz gut aufgestellt ist: Luftschutzräume gibt es überall, nicht nur als Planungsgröße auf dem Papier. Die Bunker sind jederzeit einsatzbereit. Das Militär besitzt (anders als die Bundeswehr) Panzer, die wirklich fahren, und Kampfflugzeuge, die auf Kommando abheben, statt im Hangar auf Ersatzteile zu warten. Gerade erst haben die Finnen 64 Exemplare des Hightech-Jets F-35 bestellt, bis zu 2.000 Drohnen sollen folgen. Die finnischen Kommandostrukturen passen besser zur Nato als die mancher Mitglieder der Allianz.

Finnland mag ein demografischer Winzling sein, aber es ist kein Leichtgewicht. Der Nato-Beitritt der nordischen Power-Zwerge verändert die strategische Lage radikal – für das Bündnis, aber auch für die Russen. Die Länge der gemeinsamen Grenze wird sich mit einem Schlag mehr als verdoppeln. Die Details der Geografie spielen dabei der westlichen Allianz in die Hände: Sobald Schweden und Finnland mit im Boot sind, bereitet die Verteidigung der baltischen Staaten den Nato-Planern weniger Kopfschmerzen – während der Gegner in Moskau schnell noch mal Aspirin nachbestellen muss. Denn die Zugangswege zur hochgerüsteten russischen Exklave Kaliningrad, die landseitig ohnehin vom Gebiet der Allianz umschlossen ist, geraten nun auch von See unter Druck.

Die Sorge vor Russlands Reaktion hat Finnland und Schweden in der Vergangenheit von einem Beitritt zur Militärallianz abgeschreckt. Das ist vorbei. Putins Überfall auf die Ukraine hat auch den Letzten klargemacht, wie überragend die Bedeutung der Nato-Sicherheitsgarantie ist. Zugleich sind Putins Generäle zu einer glaubwürdigen Drohgebärde gegen die Beitrittskandidaten nicht mehr fähig. In der Ukraine hat die russische Armee den Nimbus ihrer unbedingten Kampfkraft verloren. Für Muskelspiele reicht es zwar noch: Moskau lässt Jets in den schwedischen Luftraum eindringen, lanciert Cyberattacken gegen die Finnen und stationiert Raketen vor deren Haustür. Doch dieses Säbelrasseln zementiert nur die Mehrheiten für den Nato-Beitritt.

Die Nato, die auch unsere Sicherheit garantiert, kann also in naher Zukunft mit frischem Wind aus dem Norden rechnen. Die Zustimmung der Mitglieder zum Beitritt der Finnen und Schweden gilt als sicher. Deutsche Verteidigungspolitiker dürfen sich bei ihren neuen Kollegen dann Tipps holen. Denn die dortigen Militärs bringen etwas mit, was die Bundeswehrbürokratie gar nicht mehr kennt: die Fähigkeit, effizient die Landesverteidigung zu organisieren.


Geld als Pflaster

Immer prekärer wird die Lage in Sri Lanka, wo die Menschen heute das traditionelle Neujahrsfest begehen. Seit Wochen bestimmen Stromausfälle, Treibstoff- und Lebensmittelmangel den Alltag der 22 Millionen Einwohner des Inselstaats im Indischen Ozean. Immer lauter werden die täglichen Proteste in der Hauptstadt Colombo und an vielen weiteren Orten. Der Zorn der Leute richtet sich gegen Präsident Gotabaya Rajapaksa, der die Macht im Stil eines Feudalherrn bei sich und seinen Verwandten konzentriert.

Nachdem das mit 51 Milliarden Dollar verschuldete Land sich vorgestern für zahlungsunfähig erklärt hat, liegen die Hoffnungen nun auf Rettungsgesprächen mit dem Internationalen Währungsfonds. Am Ostermontag will der seit Kurzem amtierende Finanzminister Ali Sabry nach Washington fliegen, um Gespräche über eine Restrukturierung der Schulden zu führen. Wenn die IWF-Chefs klug sind, werden sie einen dicken Scheck ausstellen. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass ein Land mit massiven ethnischen und religiösen Spannungen in eine existenzielle Krise schlittert.

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Zocken um den Zins

Der Ukraine-Krieg befördert die Geldentwertung im Euroraum und belastet die Konjunktur: In Deutschland ist die Inflation mit 7,3 Prozent im März auf den höchsten Stand seit Jahrzehnten geklettert. Das erhöht den Druck auf Europas Währungshüter, den Leitzins anzuheben, der seit sechs Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent herumdümpelt. Wenn die Europäischen Zentralbanker heute in Frankfurt zur Ratssitzung zusammenkommen, werden sie wohl trotzdem in Wartestellung bleiben. Als wahrscheinlich gilt, dass sie als Vorstufe einer Zinswende das Ende ihrer milliardenschweren Anleihenkäufe zwar im Sommer planen, eine Zinserhöhung aber auf den Herbst verschieben. Weil diese Entscheidung das Leben von Abermillionen Menschen beeinflusst, darf man sie getrost einen Ritt auf der Rasierklinge nennen.


Was lesen?

Um Olaf Scholz wird es einsam: Wegen seines Zauderns im Ukraine-Krieg greifen ihn seine Ampelpartner jetzt sogar öffentlich an. Was sich im Regierungsviertel zusammenbraut, erläutern Ihnen unsere Reporter Miriam Hollstein und Daniel Mützel.



Putin steht seit dem Überfall auf die Ukraine international mit dem Rücken zur Wand. Doch einige Staaten unterstützen Russlands Angriffskrieg. Unser Außenpolitikredakteur Patrick Diekmann erklärt Ihnen, warum.


Was haben Ex-Familienministerin Anne Spiegel und Promi-Sternchen Cathy Hummels gemeinsam? Unsere Kolumnistin Nicole Diekmann zeigt es Ihnen.


Als dieses Spaceshuttle aus dem All zurückkehrte, waren die Nasa-Leute 1981 sehr erleichtert. Auf unserem Historischen Bild erfahren Sie, warum.


Was amüsiert mich?

Falls Sie zu den Tagesanbruch-Veteranen gehören, kennen Sie diesen Herrn womöglich schon. Jedenfalls serviert er uns genau den richtigen Groove vor dem langen Wochenende.

Ich wünsche Ihnen einen beschwingten Tag. Die Wochenendausgabe des Tagesanbruchs erscheint bereits morgen.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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