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Gefangenenaustausch – russische Nationalisten toben


"Das ist Verrat"
Russische Nationalisten toben nach Gefangenenaustausch

Von t-online, mk

Aktualisiert am 22.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Russia Ukraine WarVergrößern des BildesDer ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyi (l.) begrüßt die Kommandeure des Asow-Regiments: "Schlimmer als ein Verbrechen".
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Der Kreml wollte die Verteidiger des Asow-Stahlwerks in Schauprozessen aburteilen. Jetzt wurden sie ausgetauscht – gegen einen Putin-Vertrauten.

Der Befehl zur Mobilmachung kam gut an bei den russischen Hardlinern, aber nur einen Tag später herrscht in einschlägigen Telegram-Kanälen Fassungslosigkeit über die russische Führung. Von Sabotage ist die Rede, einer unglaublichen Dummheit und sogar Verrat. Was die ultranationalistischen Kriegsblogger so erzürnt: Der Austausch von 55 russischen Kriegsgefangenen gegen mehrere Briten und 205 Ukrainer – darunter die Kommandeure der als Helden verehrten Verteidiger des Asow-Stahlwerks in Mariupol.

Das ukrainische Präsidialamt machte den Austausch in der Nacht zu Donnerstag öffentlich und verbreitete Fotos, die Innenminister Monastyrskyi mit dem Asow-Kommandeur Denys Prokopenko zeigten. Dieser war Mitte Mai mit Hunderten anderen ukrainischen Soldaten in Gefangenschaft geraten, nachdem die russische Armee das Stahlwerk nach wochenlangen Kämpfen erobert hatte. Mindestens 53 Verteidiger des Stahlwerks starben Ende Juli bei einem Brand im russischen Foltergefängnis Oleniwka, den die Besatzer mutmaßlich selbst verursacht hatten. Die Kommandeure der Asow-Verteidiger wollte der Kreml eigentlich in Schauprozessen im zerstörten Theater von Mariupol aburteilen, doch daraus wird jetzt wohl nichts – zum Unmut der russischen Nationalisten.

"Auf den Kopf geschissen"

"Die Freilassung der britischen Söldner und der verbliebenen Asow-Kämpfer ist schlimmer als ein Verbrechen und mehr als nur ein Fehler, das ist Verrat", kommentiert beispielsweise der Kriegsblogger Igor Girkin, der 2014 selbst auf prorussischer Seite im Donbass gegen die Ukraine gekämpft hat. "Es ist eine unglaubliche Dummheit oder gar Sabotage und offenbar war es nicht mal möglich, den Austausch ein paar Tage vor der Mobilmachung zu verkünden. Für mich sieht das so aus, als würde jetzt eben jenen, die aufstehen und für ihr Land kämpfen wollen, auf den Kopf geschissen".

Girkin gilt als einer der Meinungsführer unter den russischen Nationalisten, seinen Telegram-Kanal haben mehr als 610.000 Nutzer abonniert (Stand: 22. September). In den vergangenen Monaten hat Girkin die russische Militärführung immer wieder als unfähig kritisiert und nannte dabei auch explizit Verteidigungsminister Schoigu. Kürzlich soll Girkin versucht haben, mit einem gefälschten Pass ins Kriegsgebiet in der Ukraine zu reisen, soll aber von den russischen Besatzern auf der Halbinsel Krim abgefangen worden sein. Doch der Unmut über die Freilassung der Asow-Kämpfer kommt auch in anderen Telegram-Kanälen zum Ausdruck.

"Wurde mit Blut überschrieben"

"Ein Gefangenenaustausch ist kein Austausch. Es ist eine Kapitulation", heißt es beispielsweise in dem Kanal, der sich "Russische imperiale Bewegung" nennt. "Und sie steht in einer Reihe mit der Kapitulation in der Region Charkiw. Auf der russischen Seite wurde mit Blut unterschrieben, auf der anderen Seite mit Eselsurin." Besonderen Anstoß nehmen die Nationalisten an der Person Viktor Medwedtschuk, der jetzt gegen die Asow-Kämpfer ausgetauscht wurde.

Der ukrainische Unternehmer ist privat mit Putin verbandelt und galt als dessen Mann in der Ukraine. Wäre der Krieg aus Sicht des Kremls nach Plan gelaufen, wäre Medwedtschuk wohl Teil einer ukrainischen Marionettenregierung geworden. Der ukrainische Geheimdienst hatte Medwedtschuk im April festgenommen und dieses Foto veröffentlicht:

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"Zerstört Erzählung von der 'Denazifizierung'"

"Aus irgendeinem Grund fand der Austausch nach dem Schema statt '200 ukrainische Kriegsgefangene für Viktor Medwedtschuk' und 'fünf gefangene Asow-Kommandeure für 55 unserer Kriegsgefangenen'", lästert beispielsweise der Kanal "Grey Zone", der mit 311.000 Abonnenten über eine große Reichweite verfügt. Sprachlich ist die Kritik im "Grey Zone"-Kanal zurückhaltender formuliert als von Igor Girkin, doch der Unmut der Verfasser kommt auch in verschiedenen weitergeleiteten Nachrichten und Fotos zum Ausdruck.

Verachtung für Viktor Medwedtschuk spricht auch aus dieser Fotomontage, die Wladlen Tatarski auf Telegram postete, wo ihm fast 458.000 Abonnenten folgen:

Im offenbar ironischen Begleittext zu der Fotomontage heißt es: "Ok, das Positive daran ist, dass heute ein echtes Ass, unser Kampfpilot Wolodja Medwedtschuk, der 87 Su-25 der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen hat, im Austausch nach Hause zurückgekehrt ist. Willkommen zu Hause!"

Beobachter der nationalistischen Szene in russischen Telegramkanälen äußerten sich erstaunt über die unverhohlene Kritik. "Die Freilassung der Asow-Kommandeure ist für die Nationalisten ein noch größerer Schlag als der Rückzug aus der Region Charkiw", schreibt der Chefredakteur des unabhängigen belarussischen Portals Nexta, Tadeusz Giczan, auf Twitter. "Der Rückzug ließ sich als militärische Notwendigkeit darstellen, aber die Freilassung der Asow-Kämpfer zerstört die ganze Erzählung von der 'Denazifizierung' der Ukraine", so Giczan. "Die russische Propaganda hat das Asow-Regiment die letzten Jahre dämonisiert und zu einer Art Waffen-SS erklärt, und jetzt, kurz vor den Schauprozessen in Mariupol, werden sie ausgetauscht gegen den Vater von Putins Patentochter."

Welchen Einfluss die nationalistischen Hardliner auf die Politik des Kremls haben, ist unklar. Sie gelten aber als größte potenzielle Oppositionsgruppe und können in ihren öffentlichen Äußerungen weiter gehen als beispielsweise Gegner des Krieges. Die Telegramkanäle der Kriegsblogger waren in den vergangenen Monaten der einzige öffentliche Raum in Russland, der nicht weitgehend unter der Kontrolle des Kreml steht.

Verwendete Quellen
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