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Monsterwellen: Die Giganten der Meere


Monsterwellen
Die Giganten der Meere

Ulrich Weih

Aktualisiert am 04.12.2013Lesedauer: 6 Min.
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Äußerst dramatischer Augenblick: Eine Monsterwelle trifft ein Schiff (Quelle: Bit Projects)

Wellen, die sich urplötzlich bis zu einer Höhe von 40 Metern aufbäumen. Wassermassen, die wie eine Wand auf Schiffe zurollen und sie einfach zerschmettern – solche Berichte wurden lange Zeit als Seemannsgarn abgetan. Doch mittlerweile weiß man: Es gibt sie - Monsterwellen.

Die "Bremen" am Rande einer Katastrophe

Am 22. Februar 2001 ist das Kreuzfahrtschiff "Bremen" unterwegs von Südargentinien nach Rio. Es ist 6:20 Uhr, Kapitän Aye steht hinter dem Panoramafenster der Brücke, als plötzlich ein gewaltiger Brecher die "Bremen" erfasst. Tausende Tonnen Wasser erschüttern das Schiff.

Unter dem ungeheuren Druck zerbricht das gepanzerte Fensterglas. Alle 26 elektronischen Geräte – wie Radar, Echolot, Kompass, Satellitennavigation – sind sofort kaputt: Kurzschluss. Ohrenbetäubend schrillt die Feuerglocke, fast zeitgleich erfolgt der Maschinenalarm: Der Schiffsdiesel erstirbt. An Bord gehen die Lichter aus.

Schnell liegt das antriebslose Schiff quer zur Dünung, bietet den Wellen die Breitseite. Es hat 40 Grad Schlagseite und treibt auf Position 45’54’’ Süd; 38’58’’ West manövrierunfähig im Südatlantik. 137 Passagiere plus die Besatzung sind in Lebensgefahr.

Anhand der Schäden wird klar: Die "Bremen" wurde von einer 35-Meter-Welle getroffen.

Die Neujahrswelle bei "Draupner E"

Die Existenz solcher Riesenwellen – sogenannter Freak Waves – galt unter Wissenschaftlern lange Zeit als physikalisch unmöglich. Doch am Neujahrstag 1995 kamen die Forscher ins Grübeln.

An diesem Tag herrschte an der Gasförderplattform "Draupner E", 160 Kilometer vor der norwegischen Küste, hoher Seegang. Zwölf Meter hohe Wogen registrierten die Sensoren an der Plattform. Doch um 16:20 Uhr rauschte plötzlich eine 26 Meter hohe Welle mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 Kilometer pro Stunde vorbei. Sie war doppelt so hoch wie die Wellen vorher und nachher.

Inzwischen haben Messbojen, Kameras auf Offshore-Plattformen oder Satellitenaufnahmen zahllose Fälle von 30 Meter hohen Wellen dokumentiert.

Freak Waves sind keineswegs eine Seltenheit

Das europäische Forschungsprojekt "MaxWave" nahm die Riesenwellen unter die Lupe – mit verblüffenden Ergebnissen. Mehr als zehn Freak Waves wurden in nur drei Wochen dokumentiert, das bedeutet durchschnittlich drei Monsterwellen pro Woche. Allein im Nordsee-Ölfeld Goma wurden in zwölf Jahren 466 Monsterwellen registriert. In den letzten 20 Jahren könnten durch die riesigen Wellen 200 Superfrachter gesunken sein, vermuten Forscher.

Für die Wissenschaftler sind Freak Waves die Wellen, die den signifikanten Seegang, also das Drittel der höchsten Wogen, um mehr als das Doppelte übersteigen.

Drei Typen

Doch Riesenwelle ist nicht gleich Riesenwelle. Man unterscheidet drei verschiedene Wellentypen:

1) "Kaventsmann": Dabei handelt es sich um eine Einzelwelle, die oft nur für wenige Sekunden besteht. Sie überragt den normalen Seegang um ein mehrfaches und kann auch quer zu allen anderen Wellen laufen.

2) "Drei Schwestern": Das sind mindestens drei, manchmal auch bis zu fünf, kurz aufeinander folgende Riesenwellen. Für Schiffe sind sie besonders tückisch, denn in den schmalen Wellentälern hat das Schiff kaum eine Chance, den Bug wieder hochzubekommen. Es wird, wenn nicht von der ersten, so spätestens von der zweiten oder dritten Welle einfach überrollt.

3) "Weiße Wand": Das sind einzelne, extrem steile und sehr hohe Wasserwände, die über zehn Kilometer breit sein können. Vom Wellenkamm stürzt die weiße Gischt herunter, daher die Bezeichnung. Die „Weiße Wand“ kann kilometerweit über das Meer rauschen.

Ursachenforschung: Überlagerung und Strömung

Eine nahe liegende Erklärung für das Entstehen der Monsterwellen ist die Überlagerung von mehreren gewöhnlichen Wellen. Das ist der Fall, wenn beispielsweise kurze, langsame Wellen von längeren, schnellen Wellen eingeholt und überlagert werden. Bei diesem Huckepackmodell verschmelzen verschieden Wellen zu einer einzigen Riesenwelle.

Ein weiterer Grund könnten die Gegebenheiten der jeweiligen Region darstellen. So ist zum Beispiel das Meeresgebiet an der Südostküste von Südafrika berüchtigt für seine verheerenden Freak Waves. Und weil durch diese Region die Standardroute für Frachtschiffe aus dem Mittleren Osten auf dem Weg nach Europa oder in die USA verläuft, haben sich dort schon unzählige Schiffsunglücke ereignet.

Die Erklärung für das Entstehen gerade dort ist einfach: Rund um das Kap der Guten Hoffnung trifft der nach Süden ziehende Agulhas-Strom beinahe frontal auf die nordwärts gerichteten Sturmwellen aus der Antarktis. Durch die entgegengesetzten Strömungen nimmt die Wellenlänge ab, die Wellen werden höher und steiler.

Inzwischen gibt der South African Weather Service bei entsprechenden Wetterlagen sogar schon Freak Waves Warnings heraus

Was ist mit der Monsterwelle "aus heiterem Himmel"?

Was diesen Modelle jedoch nicht erklären: Warum können sich Monsterwellen auch urplötzlich bei völlig ruhigem Ozean und gutem Wetter bilden?

Susanne Lehner vom Deutschen Luft- und Raumfahrt-Zentrum hat bei der Auswertung von Satellitenaufnahmen ringförmige sechseckige Wolkenformationen mit einem Durchmesser von 30 bis 90 Kilometern entdeckt. Dort trifft kalte Luft auf die milde Seeluft – ein reger Luftaustausch entwickelt sich. Wenn sich diese Winde mit ähnlichen Geschwindigkeiten wie die langen Wellen auf dem Meer ausbreiten - die Mathematikerin spricht von einem gepulsten Windfeld - wird den Wellen ununterbrochen Energie zuführt und die einzelnen Wogen steigen enorm an.

Ein Beispiel: Das britische Forschungsschiff "RRS Discovery" geriet vor der schottischen Küste in einen Sturm. Da der Rumpf mit Drucksensoren und Beschleunigungsmessern bestückt war, ließen sich die Ereignisse präzise rekonstruieren. In zwölf Stunden trafen den Rumpf fast zwei Dutzend Wellen, die höher als 20 Meter waren. Eine Welle davon war 29 Meter hoch. Die Windgeschwindigkeit war mit 18 Metern pro Sekunde relativ moderat.

Man vermutet, dass ein Resonanzeffekt die Riesenwelle verursacht hat: Wind und Welle waren nahezu gleich schnell. Der Sturm konnte so seine Energie in die Wassermassen pumpen und das Monster entstehen lassen. Die Forscher sprechen daher von sogenannten Breatherwellen.

Schwer vorhersagbare Wechselwirkungen

Diese Beobachtung belegt, dass nicht nur lineare Prozesse - Überlagerung oder Strömung - für die Entstehung von Freak Waves verantwortlich sein können. Vielmehr werden derzeit nichtlineare Wellenphänomene als eigentlicher Kern der Freak Waves vermutet.

Die mathematische Theorie der nichtlinearen Wellen gehört zu den komplexesten Disziplinen der angewandten Mathematik und der Wellenphysik. Ein einfaches Beispiel mag den grundlegenden Unterschied der Modelle andeuten.

Wenn man die Lichtstrahlen von zwei Taschenlampen kreuzt, passiert nichts; die Strahlen gehen einfach durcheinander durch. Kreuzt man dagegen zwei Wasserstrahlen, so gibt das Chaos. Die Wasserstrahlen durchdringen sich nicht einfach, sondern beeinflussen sich wechselseitig.

Eine solche Wechselwirkung kann dafür sorgen, dass eine Welle der Nachbarwelle die Energie entzieht. Das führt dazu, dass sich die Energie für einige Minuten in einem zentralen Bereich fokussiert. Es bildet sich eine extrem hohe Welle.

Die neunfache Energie der Nachbarwelle

Freak Waves sind etwa dreimal größer als der zeitgleich vorliegende Seegang im unmittelbaren Umfeld. Die in einer Welle enthaltende Energie verhält sich jedoch quadratisch zur Wellenhöhe. Eine Monsterwelle hat also – im Vergleich zur Nachbarwelle – die neunfache Energie.

Außerdem passiert es häufig, dass viele Kubikmeter Wasser nicht mehr in der gebundenen Bewegungsform der Welle vorkommen, sondern quasi im freien Flug mit mehreren Metern Geschwindigkeit pro Sekunde auf das Schiff treffen. Die wirkenden Kräfte sind um ein Vielfaches höher als die von gewöhnlichen, sehr hohen Sturmwellen.

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Verschärfend kommt noch hinzu, dass das Schiff vorher häufig kopfüber in ein sehr tiefes Wellental stürzt oder gegen eine regelrechte Wand kracht. Die Materialbelastung ist extrem hoch.

Schiffe nicht für extreme Belastungen konstruiert

Früher, als Wissenschaftler nur die lineare Wellentheorie bei der Entstehung von Wellen in Betracht zogen, glaubte man, die physikalisch maximale Wellenhöhe betrage in etwa 15 Meter. Entsprechend waren Schiffe damals – gemäß einer Vorschrift des Germanischen Lloyd - lediglich für eine maximale Wellenhöhe von 16,50 Metern konstruiert. Vielen Schiffen wurde genau das wohl zum Verhängnis.

Die Ladeluken von Frachtschiffen sind nur für einen Druck von 15 Tonnen pro Quadratmeter ausgelegt. Freak Waves haben jedoch einen Druck von bis zu 100 Tonnen pro Quadratmeter. Wenn also eine solche Welle über ein Schiff hereinbricht, brechen die Luken einfach ein, innerhalb von Sekunden läuft der Frachtraum voll und das Schiff sinkt.

Nicht besser verhält es sich mit den Fenstern auf der Brücke. Sie werden zerfetzt, die Wassermassen zerstören die Bordelektrik und sorgen meist für einen extrem folgenschweren Stromausfall. Die Maschine fällt aus, und das Schiff ist schutzlos der Gewalt des Meeres ausgeliefert.

Kapitän Aye hat die Katastrophe der "Bremen" mit sehr, sehr viel Glück überlebt. Später sagt er, in diesem Moment habe er "den Atem Gottes gespürt". Nach dem traumatischen Erlebnis gab er seinen Beruf auf. Bis zu seinem Tod war Heinz Aye als Eismaster in der Antarktis und in Grönland tätig.

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