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Hamburg: Warum ein Cannabis Social Club die Cannabis-Legalisierung kritisiert


Neues Gesetz in Arbeit
Warum ein Cannabis-Verein den legalen Hanf-Anbau kritisiert

  • Gregory Dauber
Von Gregory Dauber

Aktualisiert am 23.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Andreas Gerhold steht in der Nutzhanf-Plantage: Noch sieht er keine Perspektive für legalen Cannabisanbau in Vereinen.Vergrößern des Bildes
Andreas Gerhold steht in der Nutzhanf-Plantage: Noch sieht er keine Perspektive für legalen Cannabisanbau in Vereinen. (Quelle: Gregory Dauber)

Die Bundesregierung will ein Gesetz zum Umgang mit Cannabis beschließen. Die eigentlichen Ziele werden aber klar verfehlt, sagen Kritiker. Vieles werde schlimmer.

In einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein, etwa 40 Kilometer von Hamburg entfernt, wird sich auf eine neue Drogenpolitik vorbereitet: In einem alten und etwas heruntergekommenen Gewächshaus sprießen Cannabis-Pflanzen. "Das ist unser Spielplatz", sagt Andreas Gerhold beim Treffen mit t-online. Er ist Vorsitzender des Cannabis Social Clubs Hamburg, der älteste Verein dieser Art in Deutschland. Eigentlich könnte Gerhold gerade in Aufbruchsstimmung sein. Stattdessen sagt er: "Dieser Entwurf von Karl Lauterbach ist ein Desaster."

Gerhold spricht vom Cannabisgesetz der Bundesregierung, der Entwurf ist in der vergangenen Woche vom Kabinett beschlossen worden. Von vorne bis hinten sei das Gesetz "Murks", sagt der, der schon mit 15 Jahren auf seiner ersten Demo für eine Liberalisierung und Entkriminalisierung von Cannabis war. Im Koalitionsvertrag von 2021 hatten SPD, Grüne und FDP noch festgehalten: "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein." Davon ist mittlerweile nicht mehr viel übrig geblieben.

Cannabis-Aktivist: "So wird es nichts mit Jugendschutz"

"Die Ampel scheitert komplett an ihrem eigentlichen Vorhaben", kritisiert Gerhold. "So wird es nichts mit Jugendschutz, nichts mit kontrollierter Qualität und erst recht nichts mit dem Abbau falscher Vorurteile und Paradigmen." Aus dem Entwurf sei deutlich herauszulesen, dass Cannabiskonsumenten weiter als "potenzielle Kriminelle mit Suchtproblem, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss", gesehen würden.

Die eigentliche Idee hinter den Cannabis Social Clubs (CSC) beschreibt Gerhold so: Menschen schließen sich zusammen, um gemeinschaftlich Gras anzubauen und leben die Cannabis-Kultur aus, mit allem, was dazugehört: Anbau, Genuss, Austausch, Kunst und Kultur. Doch daraus wird wahrscheinlich nichts: "Lauterbach macht Cannabis Clubs zum asozialen Bürokratiemonster", kritisiert Gerhold den Bundesgesundheitsminister. Nicht jeder könne den Eigenanbau stemmen, die Gründe seien vielfältig: Alter, Arbeit, Krankheit, Platzmangel oder schlicht der fehlende grüne Daumen.

Gerhold ist nicht gegen Gesetze zum Umgang mit Cannabis, im Gegenteil. Die seien wichtig für Jugend- und Gesundheitsschutz. Doch was nun aus dem Gesundheitsministerium vorgelegt worden sei, mache fast alle Vorteile der geplanten Entkriminalisierung zunichte. "Die Cannabis Social Clubs wollten immer Teil der Liberalisierung sein, aber nicht der Mittelpunkt."

Was er damit meint: Nach aktuellem Stand soll legales Cannabis vorerst nur von den CSC und aus dem Eigenanbau kommen. Der illegale Markt in Deutschland ist jedoch riesig: Je nach Schätzung schwankt die Jahresmenge zwischen 200 und 600 Millionen Tonnen. "Es ist unmöglich, dass so eine Menge von den Clubs und im Eigenanbau produziert werden kann", sagt Gerhold.

Gerhold und seine Mitstreiter bauen mit landwirtschaftlicher Lizenz bislang nur Nutzhanf ohne berauschende Wirkung an. "Wir probieren hier aus, unter welchen Bedingungen Cannabis in Gewächshäusern angebaut werden kann. Wir wollen jetzt Fehler machen, die uns später die Ernte ruinieren könnten", erklärt er. Meist wird Cannabis in Hallen angebaut, wo alle Umwelteinflüsse wie Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit genau geregelt werden können. Doch das kostet – vor allem viel Energie. Wann hier berauschende Cannabisblüten produziert werden können, ist völlig unklar.

Lange Liste mit Kritik am Lauterbach-Gesetz

Die Liste von Gerholds Kritikpunkten ist lang. Ein wichtiger: "Die Clubs müssen Gärtner beschäftigen können, um eine gleichbleibende Qualität in dieser Menge sicherstellen zu können." Doch im Entwurf sei das nicht vorgesehen. Ein Vorhaben in dieser Größenordnung ohne Fachkräfte zu stemmen, sei "Wahnsinn". Bis zu 25 Kilo dürften die CSC nach aktuellem Stand produzieren – im Monat. "Das macht man nicht mal eben so." Produktions- und Hygienestandard seien der große Vorteil gegenüber dem Schwarzmarkt und seinem verunreinigten Stoff.

Cannabis, Gras, Haschisch – was ist was?

Cannabis zählt zu den beliebtesten Drogen der Welt. Die Cannabispflanze enthält über 60 Cannabinoide, von denen das Delta-9-THC psychoaktiv am stärksten wirkt. Die häufigsten Cannabisprodukte sind die getrockneten, harzhaltige Blüten ("Marihuana", "Gras") und das gepresste Harz ("Haschisch"). Das Haschischöl (konzentrierter Auszug) wird etwas seltener verwendet. Während der Wirkstoff THC eine berauschende Wirkung hat, ist Cannabidiol (CBD) nicht psychoaktiv. Da CBD unter anderem beruhigend und entzündungshemmend wirken soll, ist in den vergangenen Jahren um den Wirkstoff ein regelrechter Hype entstanden: Es gibt Tinkturen, Cremes, Kapseln und Öle – ihre positive Wirkung ist nicht immer belegbar.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die angebliche Entkriminalisierung. Bislang ist nur der Konsum legal, der Anbau, der Handel, die Einfuhr und Ausfuhr, der Verkauf, Erwerb und Besitz sind strafbar. Daran würde sich mit einem Cannabisgesetz viel ändern. Doch ausgerechnet der Konsum wird kriminalisiert und neue Arbeit für Justiz und Polizei machen. Wegen Konsumsperrzonen im Abstand von 200 Metern zu Anbauvereinigungen, Schulen, Jugendeinrichtungen und Spielplätzen dürfe beispielsweise im Hamburger Stadtgebiet fast nirgendwo in der Öffentlichkeit gekifft werden, schildert Gerhold.

Auch wie Lauterbach sich die Cannabis Social Clubs vorstellt, macht Gerhold sauer: "Das Einzige, was dort passieren soll, ist der Anbau. Vom Sozialen bleibt nichts übrig." Dabei sei doch genau das so wichtig: In der Gemeinschaft würde es viel eher auffallen, wenn es jemandem nicht gut gehe und der Drogenkonsum missbräuchlich wäre. "So muss jeder für sich in seinen eigenen vier Wänden konsumieren, mit allen Risiken, die das mit sich bringt."

Das Verbot vom Vereinsleben kann er nicht nachvollziehen. "Wir wollen keine Massenproduzenten sein, die anonym abgeben. Cannabis hat Zehntausende Sorten mit verschiedenen Aromen. Wir wollen das Besondere gemeinsam schätzen und genießen." Gerhold vergleicht sich gerne mit Weinliebhabern: Genuss, Vielseitigkeit und Austausch darüber würden von Lauterbach verhindert.

Der Bundestag ist seine letzte Hoffnung

"Offenbar wurde sich mit der Materie nicht richtig beschäftigt", ist Gerholds Fazit. Würde das Gesetz so beschlossen werden, werde es keine CSC geben, auch weil Verantwortliche "immer mit einem Fuß in der Illegalität stehen" würden. Jede weitere Auflage mache das Gras teurer und damit den Schwarzmarkt attraktiver. "Die rechtlichen und finanziellen Unsicherheiten sind für Vereine noch viel zu groß."

Doch er hat noch Hoffnung: Im Bundestag könnten schließlich Änderungsanträge gestellt oder ein ganz neuer Entwurf ausgearbeitet werden. Doch selbst wenn das "Desaster-Gesetz" so kommen würde, sei das ein Fortschritt, sagt Gerhold: "25 Gramm legal besitzen zu dürfen, wäre immerhin eine kleine Chance, die Konsumenten vom gefährlichen Schwarzmarkt mit verunreinigten Produkten zu schützen."

Verwendete Quellen
  • Persönliches Treffen mit Andreas Gerhold
  • Eigene Recherche
  • bundesgesundheitsministerium.de: "Bundeskabinett beschließt Cannabisgesetz"
  • Koalitionsvertrag 2021 bis 2025 zwischen SPD, Grünen und FDP
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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