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Hamburg: Prozess gegen Seenotretter Dariush Beigui – Hunderte gehen auf die Straße


Hafenschiffer angeklagt
Hamburger demonstrieren: "Seenotrettung ist kein Verbrechen"


21.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Demonstranten ziehen durch Hamburg: Anlässlich des Prozessbeginns gegen den Seenotretter Dariush Beigui gingen Hunderte Menschen auf die Straße.Vergrößern des Bildes
Demonstranten ziehen durch Hamburg: Anlässlich des Prozessbeginns gegen den Seenotretter Dariush Beigui gingen Hunderte Menschen auf die Straße. (Quelle: Jannis Große)

Dem Seenotretter Dariush Beigui aus Hamburg und seinen Crewmitgliedern wird in Italien der Prozess gemacht – weil sie Menschen gerettet haben. In der Hansestadt gingen deshalb Hunderte Menschen auf die Straße.

Bei leichtem Regen versammelten sich die ersten Demonstranten am Neuen Pferdemarkt in Hamburg. Orange Fahnen der Seebrücke flatterten in den Windböen. Die Demonstration ist Teil des bundesweiten Aktionstags gegen die Kriminalisierung von Flucht und Seenotrettung.

"Unsere Motivation, heute zu demonstrieren, liegt erst mal in dem Wunsch nach einer Gesellschaft, in der Menschen ein sicheres Leben verdient haben – unabhängig von ihrem Pass und ihrer Herkunft", erklärt Mare Harring von der Seebrücke Hamburg. Der Anlass der Demo ist der Iuventa-Prozess.

Hamburg: Dariush Beigui drohen bis zu 20 Jahre Haft

Bis zu 20 Jahre Haft und 15.000 Euro Geldstrafe pro geretteter Person drohen den Crewmitgliedern der Iuventa in Italien. Zusammen mit 17 weiteren Aktivistinnen und Aktivisten stehen Kathrin Schmidt, Dariush Beigui, Sascha Girke und Uli Tröder wegen "Beihilfe zur unerlaubten Einreise nach Italien" seit diesem Samstag in Trapani vor Gericht.

In den Jahren 2016 und 2017 haben die vier deutschen Aktivistinnen und Aktivisten auf dem Rettungsschiffs Iuventa dazu beigetragen, dass mehr als 14.000 Menschen vor dem Ertrinken im zentralen Mittelmeer gerettet wurden.

"Heute ist ja die Vorverhandlung und wir hoffen, dass das Verfahren gar nicht erst beginnt", erzählt Harring. Mehr als 350 Menschen beteiligen sich an der Demo, die über Reeperbahn und Fischmarkt bis zu den Landungsbrücken führt. Aktivisten von "Amnesty International", von "Solidarische Stadt Hamburg", von "RESQShip" und "Sea-Watch" sind dabei.

Rede von Dariush Beigui wird übertragen

Für Dariush Beigui, der auf St. Pauli lebt und als Binnenschiffer im Hamburger Hafen arbeitet, ist es ein "politischer Show-Prozess". "Europa, du mieses Stück Scheiße", sagt Beigui in einer Rede, die auf der Demo abgespielt wird. "Immer wieder werden die Schiffe der zivilen Seenotrettung an die Kette gelegt – manchmal kurz, manchmal länger. Die Iuventa liegt immer noch im Hafen und rostet vor sich hin", erzählt er.

Bei der Iuventa handelt es sich um ein 33 Meter langes ehemaliges Fischereifahrzeug, das im Mai 2016 von der NGO "Jugend Rettet" gekauft wurde – finanziert über eine Crowdfunding-Kampagne. Im August 2017 wurde das Schiff von der italienischen Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, weil sich die Organisation weigerte, den Verhaltenskodex der italienischen Regierung zur Regulierung ihrer Tätigkeit auf See zu unterzeichnen.

Aus ihrer Perspektive hätte sie dieser "Code of Conduct" zum Bruch von internationalem Seerecht gezwungen. Mit der Beschlagnahme begannen auch die Ermittlungen gegen die angeklagten Aktivistinnen und Aktivisten.

Zuvor wurde die Brücke des Schiffs drei Monate lange mit einer Wanze abgehört, erzählt Beigui in der Rede. "Die Behörde, die für die Rettung der Menschen in Seenot zuständig ist, hat den Tod von tausend Menschen in Kauf genommen, damit gegen uns ermittelt werden konnte", erzählt Beigui wütend. "Fliehende sind in Europa so kriminell, dass es sogar bestraft wird, ihnen zu helfen". Er bereut sein Engagement als Seenotretter nicht. Menschen bei der Flucht zu helfen, sei kein Verbrechen, erzählt er t-online.

"Antifa Norderelbe" fordert Freiheit für alle Menschen

An der Demonstration beteiligt sich auch ein Antifa-Block, organisiert von der autonomen anarchistischen "Antifa Norderelbe". "Wir sind heute hier, weil die europäische Grenzpolitik eine zutiefst rassistische ist", erklärt ein Aktivist aus der Gruppe, der sich Kim B. nennt. "Wir wollen eine befreite Gesellschaft ohne Grenzen, wir wollen, dass alle Menschen frei sind."

Grenzpolitik und Repression: Beides sind wichtige Themen der Aktivistinnen und Aktivisten, erklärt Kim B. Sie rufen: "No border, no nation: stop deportation" (zu Deutsch: "Keine Grenze, keine Nation: Stoppt die Abschiebung", Anm. d. Red.). Auf ihrem Transparent steht "Abolish all borders" (zu Deutsch: "Alle Grenzen abschaffen").

"Die Festung Europa beruft sich auf Freiheit als eine ihrer grundlegenden Werte und macht gleichzeitig unmissverständlich klar, dass diese nicht für alle gilt", kritisiert auch ein weiterer Aktivist in einer Rede über das Abschiebegefängnis in Glückstadt. "Solange Menschen für den Wohlstand nützlich sind, dürfen sie einreisen. Einem Wohlstand, der auf Kolonialismus aufbaut", heißt es in der Rede weiter.

Aktivistin: Über 2.500 Flüchtlinge in Italien angeklagt

Es wird deutlich: Hier geht es um mehr als ein Gerichtsverfahren. Es geht um die Abschottungspolitik Europas und Solidarität mit Geflüchteten. "Für das Leben und gegen den Tod", wie Beigui in seiner Rede sagt.

Neben all der Aufmerksamkeit auf den Prozess ist es den Aktivisten wichtig zu betonen, dass es nicht nur um die 21 Angeklagten in Trapani geht. "Die meisten Menschen, die wegen 'Beihilfe zur illegalen Migration' angeklagt werden, sind selbst Menschen auf der Flucht", so Mare Harring. "Seit 2013 wurden allein in Italien über 2.500 fliehende Menschen mit dieser Anklage inhaftiert", erklärt die Seebrücke in einem Aufruf.

Aktivisten halten Seenotrettung im Mittelmeer für notwendig

Aus Sicht der Demonstrierenden ist die Seenotrettung im Mittelmeer eine Notwendigkeit. "In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind dort über 500 Menschen ertrunken – und das sind nur die, von denen man weiß", erläutert Harring.

"Es ist ein großes Problem, dass da nicht hingeschaut wird, obwohl sich nichts geändert hat. Es wird immer schlimmer, weil immer mehr Schiffe festgesetzt werden", so die Aktivistin weiter. Die Demo endet mit einem Sprechchor: "Seenotrettung ist kein Verbrechen."

Verwendete Quellen
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