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München: Atom-Meiler Isar 2 und der Ukraine-Krieg – für die Grünen ein Dilemma


Druck wegen Ukraine-Krieg
Atomkraftwerk Isar 2: Grüne im Dilemma

Von Christof Paulus

07.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Demonstration gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf 1986 (Archivbild): Auch der Grüne Bernd Schreyer war damals dabei und kämpft heute immer noch gegen Atomkraft.Vergrößern des Bildes
Demonstration gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf 1986 (Archivbild): Auch der Grüne Bernd Schreyer war damals dabei und kämpft heute immer noch gegen Atomkraft. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Lange hat Bernd Schreyer gegen die Atomkraft gekämpft, auch gegen Isar 2. Kurz bevor das Ziel Atomausstieg erreicht ist, setzt der Krieg Bayerns Energiesektor unter Druck – Schreyer und die Münchner Grünen stecken im Atom-Dilemma fest.

Die Stunde, die das Atomkraftwerk Isar 2 von München entfernt liegt, kann gefühlt sehr schnell um einiges kürzer werden. Zum Beispiel dann, wenn man sich anschaut, wem das Kraftwerk gehört. Oder dann, wenn es zum Super-GAU kommen sollte. Einer wie Grünen-Stadtrat Bernd Schreyer kämpft schon seit den Achtzigern gegen die Atomkraft. Doch wenn man ihn fragt, ob das Kraftwerk vor der Haustür noch etwas länger laufen sollte, dann lautet seine Antwort inzwischen: "Vielleicht."

Seit Wochen diskutiert man in Deutschland darüber, wie sich das Land unabhängiger von russischem Gas und Öl machen könnte. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, wächst der Druck auf die Bundesregierung, die Lieferungen von dort zu stoppen. Doch was dann? In Schreyers Stadt München scheint man die Antwort gefunden zu haben.

Atomkraftwerk Isar 2 bei München läuft noch

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder jedenfalls wird nicht müde, die Verlängerung der Atomenergie in Deutschland zu fordern. Ende des Jahres sollen eigentlich die verbliebenen drei deutschen Kraftwerke abgeschaltet werden, darunter Isar 2 zwischen Landshut und Dingolfing. Für Anti-Atom-Veteranen wie Schreyer ein Grund anzustoßen, aufs neue Jahr und das Ende der heimischen Atomkraft. "Aber zur Not sollten wir das ein Jahr später machen", sagt Schreyer im Gespräch mit t-online.

Dabei sei Isar 2 für München unwichtig, sagt er: "Wir kämen auch ohne den Strom von dort aus, sind weitgehend klimaneutral." Von Bedeutung ist das Kraftwerk dennoch, denn den Stadtwerken gehören 25 Prozent des Meilers. Weshalb am Dienstag der Wirtschaftsausschuss des Stadtrates beratschlagt hat, wie es mit Isar 2 weitergehen soll.

Ergebnis der Sitzung: keines. Das überrascht. Noch vor der SPD von Oberbürgermeister Dieter Reiter stellen die Grünen die stärkste Kraft in der Stadtpolitik. Erbitterter Widerstand gegen die Atomkraft war lange Zeit ihr Kernthema. Und nun einigt sich die Stadtpolitik darauf, dass die Entscheidungsgewalt beim Bund liege. Ein Verweis auf Berlin statt Widerspruch.

Grüner Widerstand gegen Atomkraft wird leiser

Auch Schreyer sieht sich im Dilemma. Er ist Gründungsmitglied der Münchner Grünen und war bei Protesten gegen das Atomkraftwerk Brokdorf bei Flensburg dabei, erzählt er. Auch in Kalkar am Niederrhein, wo das Kraftwerk nie in Betrieb genommen wurde.

Oder in Wackersdorf, dem Fanal der bayerischen Atompolitik, als über 100.000 Protestierende eine Wiederaufbereitungsanlage in der Oberpfalz verhinderten. "Auch heute will keiner die Atomkraft behalten", sagt er. "Gerade geht es aber auch darum, ein Embargo zu ermöglichen."

Seine Haltung bleibt deshalb: Die Technologie sei "hochgefährlich", der Kampf dagegen habe sich gelohnt. Und dass Atomkraft nun kurz vor ihrem angepeilten Ende ein Revival erleben könnte, findet er "beängstigend". Doch Deutschland – und vor allem Bayern – hätten verschlafen, auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Deshalb sei es auch klar, dass ausgerechnet Bayern und Söder "am lautesten nach Atomkraft schreien", sagt der Grünen-Stadtrat. Ihnen fehle ohne Öl und Gas aus Russland die Alternative. Es ärgere ihn, wenn er nun als Atomgegner sagen müsse: In der allergrößten Not, aber wirklich nur dann, müsse Isar 2 noch ein Jahr länger laufen. Und auch wirklich nur ein Jahr.

Isar 2 könnte verlängert werden

Dann sind die Brennelemente im Kraftwerk abgebrannt, neue zu beschaffen, ist teuer und dauert. Und einer der wichtigsten Lieferanten dafür in die Europäische Union ist: Russland. Nach Angaben der Stadtwerke München käme die zukünftige Lieferung der Brennelemente für Isar 2 zwar aus Schweden. Doch Atomkraft länger laufen zu lassen, sei grundsätzlich nicht sinnvoll, sagt Expertin Claudia Kemfert.

Sie leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Im Interview mit t-online nennt sie Atomkraft "energiewirtschaftlich unnötig und sicherheitspolitisch fragwürdig". Gas und Öl seien für die Wärmeversorgung von Gebäuden und für die Industrie nötig. Als Stromerzeuger würden Atomkraftwerke das nicht ersetzen können – und seien gerade in Kriegszeiten ein Sicherheitsrisiko.

Direkte Bombenangriffe seien dabei gar nicht unbedingt das Problem, sondern eher die "bereits angedrohten Cyberangriffe". Kemfert sagt: "In solch extremen Krisensituationen müssen wir so was mehr denn je im Blick behalten." Zumal eine längere Laufzeit enorme Kosten verursachen würde. "Das Geld dafür sollte man besser in Energiespeicher und erneuerbare Energien investieren", sagt Kemfert.

Unterstützung für Isar 2 auch in Bayern

Doch sogar dort, wo man bei einem Zwischenfall in Isar 2 unmittelbar betroffen wäre, gibt es prominente Unterstützer für das Kraftwerk. Landrat Peter Dreier von den Freien Wählern würde den Meiler gerne länger am Netz lassen, berichtet die "Landshuter Zeitung". Erneuerbare Energien seien eine Alternative, aber nicht rechtzeitig bereit, sagt Dreier.

Zwar meldete das bayerische Umweltministerium 2021 zwei Ereignisse in Isar 2. Doch "die hatten keine negativen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt", sagt Dreier. Erst wegen der hohen Sicherheitsstandards seien sie meldepflichtig gewesen. Ein Meiler um die Ecke, aber keine Bedenken – bei Schreyer ist das anders.

"Die geografische Nähe hat für mich immer eine große Rolle gespielt", sagt er. Erledigt ist das Sicherheitsproblem noch nicht, wenn kein Atomstrom produziert wird. Auch in Gundremmingen, dem zweiten, bis vor Kurzem noch aktiven Kernkraftwerk in der Nähe von München, ist ein Zwischenlager für Atommüll, das Schreyer als Risiko betrachtet.

Jetzt noch ein Jahr Isar 2, das müsse vielleicht sein. Mehr kann Schreyer sich auf keinen Fall vorstellen. Zumindest sei es wohl nicht mehr weit zu einem Tempolimit oder autofreien Sonntagen, um sich unabhängiger von Russland zu machen – wenn Deutschland schon den ersten Paradigmenwechsel wagt und den Atomausstieg so kurz vor knapp doch noch verzögert. Das sind Maßnahmen, die Schreyer freuen würden. Aber noch ein Jahr Isar 2? "Wenn es irgendwie möglich ist, dann nicht", sagt er.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Bernd Schreyer
  • Interview mit Claudia Kemfert
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