Offen für Investoren Warum die Bayern das Fundament der Bundesliga attackieren
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der FC Bayern nimmt das ins Visier, was bei vielen Fans in Deutschland als hohes Gut gilt: die 50+1-Regel. Es zeigt sich, wie mächtig Uli Hoeneß noch ist.
Uli Hoeneß komme "immer mit offenem Visier", aber "immer von vorn", sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke einmal der "Sport Bild". Es waren die Zeiten, als vor dem Bundesliga-Klassiker zwischen Hoeneß‘ Bayern und Watzkes‘ Dortmundern ein gemeinsames Abendessen davor die Atmosphäre abbildete. Wurde es kurzfristig abgesagt, gab es Zoff.
Auch gegenwärtig kracht es. Dabei hat sich Hoeneß als Ehrenpräsident eigenen Angaben zufolge aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Watzke ist mittlerweile nicht nur Chef von Borussia Dortmund, sondern auch Aufsichtsratsboss der Deutschen Fußball Liga (DFL). In dieser Funktion verteidigte er zuletzt die 50+1-Regel, die besagt, dass der Mehrheitsanteil eines Klubs (51 Prozent) in den eigenen Händen bleiben muss und der Einfluss von Investoren dadurch begrenzt wird.
Denn: Der FC Bayern hat seine Attacke auf dieses höchste Gut der organisierten Fanszene forciert – höchstpersönlich durch Hoeneß. Es zeigt auch, wie mächtig der 70-Jährige in München bis heute ist. Als Meinungsführer. Als Lenker. Nicht nur als Ratgeber. "Wenn die Bundesliga – das gilt nicht für Bayern München – nicht darüber nachdenkt, die 50+1-Regel aufzulösen, werden wir große Probleme haben, auf Dauer international mithalten zu können", erklärte der Schwabe im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk "G14plus". Hoeneß bemängelte darin eine "Diskrepanz zwischen dem deutschen Fußball, dem französischen – mit Ausnahme von Paris Saint-Germain – und teilweise dem italienischen gegenüber Ländern, die vor allem arabisches Geld, aber auch amerikanisches in Milliardenhöhe haben".
Hoeneß und Rummenigge werben für Ende von 50+1
Das Thema birgt Zündstoff. In den vergangenen Jahren hatten etliche Profivereine ihre Lizenzspielerabteilungen als Kapitalgesellschaften ausgegliedert, um über Aktien und andere Stimmanteile viel Geld durch Investoren einzunehmen. Beim VfB Stuttgart geschah dies zum Beispiel nur unter dem erbosten Protest der Ultra-Szene, bei Hertha BSC oder dem TSV 1860 München ging der Einstieg einzelner Geldgeber gehörig schief. Zeitgleich werden Klubs der englischen Premier League aus dem Nahen Osten und aus den USA mit Geld vollgepumpt, was Gehaltsstruktur und Ablösesummen aus den Fugen geraten ließ.
Der Hoeneß-Vorstoß ist nicht der erste dieser Art. Auch Karl-Heinz Rummenigge, langjähriger Vorstandschef des FC Bayern, übte Kritik. "Aus meiner persönlichen Sicht sollte man es den Vereinen nicht verbieten, sich für neue Investitionsmodelle zu öffnen", schrieb Rummenigge im Januar in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag". Insbesondere den "etwas gebeutelten Traditionsvereinen, die teilweise heute in der zweiten und dritten Liga spielen, böte sich die Chance, sportlich wieder an Bedeutung zu gewinnen".
Wenn Deutschland ein Top-Standort im europäischen Wettbewerb bleiben wolle, "halte ich eine seriöse und emotionslosere Diskussion über die 50+1-Regel für zwingend notwendig", meinte Rummenigge, den Oliver Kahn als Vorstandsvorsitzender abgelöst hat: "Wir beim FC Bayern waren immer der Meinung, dass jeder Verein selbst entscheiden sollte, ob und wie weit er sich für Geldgeber öffnen möchte."
Er verstehe, dass "das im traditionell geprägten Fußballland Deutschland ein schwieriges Thema darstellt und beispielsweise der FC St. Pauli eine solche Öffnung wahrscheinlich nie in Erwägung ziehen würde". Es gebe aber "de facto" mit Bayer Leverkusen, 1899 Hoffenheim und dem VfL Wolfsburg "drei Vereine, die durch eine vom Kartellamt kritisierte Ausnahmeregelung der DFL und des DFB die 50+1-Regel umgehen dürfen".
Im April legte Rummenigge bei Bild TV nach: "Die Spitze der Bundesliga braucht mehr Emotionen und mehr Spannung, nach dem Vorbild Premier League oder Italien." Seine Bayern hatten gerade zum zehnten Mal in Folge die Meisterschaft gewonnen. Schon vor vier Jahren hatte er ein Ende der Investoren-Grenze gefordert. "Ich hoffe, dass die Deutsche Fußball Liga die 50+1-Regel freigeben wird", sagte er dem Magazin "GQ".
Krach zwischen Bayern-Fans und Vorstand wegen Stimmanteilen
Vorrangig eigene Interessen der Münchner dürften eine Rolle spielen. Zur Einordnung: Satzungsgemäß darf die Profigesellschaft des Rekordmeisters nur 30 Prozent ihrer Anteile verkaufen. Derzeit hält der FC Bayern München e.V. 75 Prozent der Anteile an der FC Bayern AG. Die langjährigen Partner Adidas, Allianz und Audi sind in Besitz von jeweils 8,33 Prozent.
Dass die organisierte Fanszene im November versuchte, per Satzung einen Verkauf weiterer Anteile zu verbieten, sorgte auf der Jahreshauptversammlung 2021 für Riesen-Ärger. Die anwesenden Anhänger fühlten sich von Aufsichtsrat, Vorstand und Präsidium ausgegrenzt, weil ihr Antrag abgeschmettert wurde. Eine hitzige Podiumsdebatte entbrannte.
"Wir haben noch fünf Prozent über. Ich möchte Sie wirklich bitten, diese fünf Prozent dem Vorstand der AG als Masse zu lassen, für die Zeiten, die kommen", erklärte FCB-Präsident Herbert Hainer emotional: "Wir wollen weiter in der europäischen Spitze bleiben." Lauter Protest von den Rängen unterbrach ihn. Hainer bat: "Jetzt lassen Sie mich doch bitte ausreden." Vergeblich. Die Gräben sind tief, auch wegen eines umstrittenen Sponsors aus Katar.
Und Kahn? Der meinte: "Man hat gesehen, wie schnell auch ein FC Bayern in eine Schieflage kommen kann. Wir brauchen diese Möglichkeit, weil wir nicht wissen, was auf den Klub zukommen wird." Die aktuellen Transfers belegen die Drucksituation. Denn: Zwischen Sommer 2019 und Mai 2022 hatten die Bayern ein Transferminus von 194 Millionen Euro. In diesem Sommer beträgt die Bilanz nach der Verpflichtung Matthijs de Ligt (67 Millionen Euro Ablöse plus Boni) bislang minus 50,1 Millionen Euro. Trotz des Verkaufs von Robert Lewandowski für 45 Millionen Euro (plus möglicher Boni) an den FC Barcelona dominieren erneut rote Zahlen.
Die "Süddeutsche Zeitung" kommentierte zuletzt, dass Hoeneß als Aufsichtsrat den Lewandowski-Transfer lange blockiert habe, weil er zeigen wollte, dass Bayern immer noch beides könne: Lewandowski halten und Sadio Mané (32 Millionen Euro plus Boni vom FC Liverpool) verpflichten. Doch das können die Münchner bei einem Umlaufvermögen von 209 Millionen Euro (Stand November) nicht mehr. Weswegen 50+1 verstärkt in ihren Fokus gerät.
- Eigene Recherche
- Jahreshauptversammlung 2021 des FC Bayern München e.V.
- noz.de: "Uli Hoeneß im Interview: Bleibt 50+1, hält die Bundesliga nicht mehr mit" (kostenpflichtig)
- tz.de: "FC Bayern dank Geldsegen handlungsfähig: Brazzo verhandelt wegen de Ligt"
- gq-magazin.de: "Karl-Heinz Rummenigge: Mastermind im Milliarden-Business"
- sz.de: "Gekommen, um schnell wieder zu verschwinden"