Corona-Chaos bei Bayern Stinksauer, aber selbst schuld
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Fernreisen, Corona-Infektionen, Rumpfmannschaft: Nach den Negativ-Schlagzeilen der vergangenen Monate hätten es Spieler und Verantwortliche des FC Bayern wirklich besser wissen müssen.
Das Spiel findet statt. Zumindest nach jetzigem Stand. Das Gesundheitsamt München hat dem FC Bayern die Mannschaftsquarantäne vor dem Rückrundenauftakt der Bundesliga gegen Borussia Mönchengladbach am heutigen Freitag (ab 20.30 Uhr im Liveticker bei t-online) bislang erspart.
Wäre der neunte Corona-Fall, Abwehrspieler Alphonso Davies, mit der Omikron-Variante infiziert, hätte sich das ganze Team womöglich für 14 Tage in Quarantäne begeben müssen, nachdem der Kanadier am Montag noch mit der Mannschaft trainiert hatte.
Dann hätte die Deutsche Fußball-Liga die Partie längst absagen müssen – und das nächste Bayern-Spiel wohl gleich mit.
Die Statuten besagen: Sobald ein Klub weniger als 15 spielberechtigte Akteure (darunter mindestens ein Torhüter) aufbieten kann, kann der Verband einem entsprechenden Antrag zur Spielabsage stattgeben.
Nun bekommt der FC Bayern eine Mannschaft zusammen und kann auch spielen. Wenn auch mit Mühe und Not (lesen Sie hier: So könnte die Bayern-Elf aussehen).
Ist es fair, das Spiel auszutragen? Ich denke: Ja. Ist das Wettbewerbsverzerrung? Nein.
Ganz einfach, weil der FC Bayern sich nun zur Austragung bekannt und Trainer Julian Nagelsmann gesagt hat: "Ich bin keiner, der rumheult. [...] Wir haben trotzdem noch eine Elf mit vielen Weltklassespielern." Und: "Ich kümmere mich darum, der Herausforderung, aber reizvollen Aufgabe gerecht zu werden."
Was auch dafür spricht, dass das Spiel stattfindet: Der FC Bayern ist selbst schuld an der prekären Situation.
Natürlich kann es immer passieren, dass sich mal zwei, drei Spieler mit Corona infizieren. Ein Gang zum Bäcker um die Ecke kann schon ausreichen.
Aber ich sage trotzdem: Es darf nicht in dieser Häufigkeit passieren. 9 Infektionen bei 23 Spielern sind wirklich krass. Sie sind für mich auch nicht nachvollziehbar und kein Zufall.
Wie viele Menschen in Deutschland hätte auch ich über Weihnachten und den Jahreswechsel in der Weltgeschichte umherfliegen können. Aber ich habe mich entschieden, den Weg der Vernunft zu gehen, das Risiko zu minimieren und zu Hause zu bleiben, mit der Familie.
Obwohl meine aktive Karriere ein paar Jahre her ist.
Umso mehr fehlt mir das Verständnis dafür, dass die aktiven Spieler des FC Bayern meinen, ihren Erholungsurlaub auf den Malediven, in Dubai oder im Senegal verbringen zu müssen. Vor allem, weil es gerade mal um rund zehn Tage geht.
Natürlich kann ich dort als Spieler genauso abgeschieden leben wie zu Hause in München. Aber: Es ist doch keine neue Erkenntnis, dass jeder Weg und jede Reise das Risiko einer Infektion trotzdem erst mal erhöhen. Ich begegne natürlich mehr Menschen, als wenn ich zu Hause bleibe.
Fakt ist auch, dass es bei anderen Vereinen teilweise null Infektionen gibt und dass Spieler anderer Klubs weniger weit weg waren. Mit neun Infektionen kann ich als FC Bayern nicht behaupten, dass sich alle richtig und vorbildlich verhalten haben.
Im Gegenteil. Jeder dieser Spieler gefährdet damit den Erfolg des Vereins – und ganz nebenbei die Reputation. Nicht nur in Deutschland, sondern im europäischen Fußball.
Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, mit welchen Schlagzeilen der FC Bayern in den vergangenen Monaten bereits für Aufsehen gesorgt hat. Da ging es in erster Linie um die Impfskepsis von fünf Spielern, allen voran Nationalspieler Joshua Kimmich. Es ging um seine Quarantäne, dann um seine Infektion – und dann um die Langzeitfolgen.
Ganz sicher waren das alles keine guten Schlagzeilen für Bayern. Und wenn schon die Spieler selbst nicht in der Lage sind, das zu erkennen, muss zumindest die Vereinsspitze um Präsident Herbert Hainer, den Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić alles tun, um zu verhindern, dass es so weitergeht.
Ganz sicher sind die Verantwortlichen nun stinksauer, aber sie sind selbst schuld.
Gab es einen Appell? Dazu hat sich bei Bayern bislang niemand klar geäußert. Aber selbst wenn es einen Appell gab, dann hat er die Spieler ganz offensichtlich nicht erreicht.
Ein Reiseverbot ist arbeitsrechtlich nicht zulässig. Dennoch muss es möglich sein, mit so viel Nachdruck an die Vernunft zu appellieren, dass die Spieler zu Hause bleiben. Natürlich ist es eine Frage, wer das vermittelt und auch wie.
Wenn ich mir vorstelle, dass Uli Hoeneß in die Kabine kommt und mir als Spieler sagt, ich solle doch lieber nicht in den Urlaub auf die Malediven fliegen – dann widersetze ich mich sicherlich nicht, wenn ich meine berufliche Zukunft nicht gefährden will.
Spielern werden heutzutage laut Verträgen teilweise gefährliche Freizeitaktivitäten wie Skifahren untersagt, damit sie sich nicht verletzen. In einer Pandemie gehören für mich Reisen, insbesondere Fernreisen, auch zu solchen gefährlichen Freizeitaktivitäten.
Deshalb muss es künftig möglich sein, die Spieler daran zu hindern. Je nachdem wie lange die Pandemie uns noch begleitet, sollten deshalb auch Reiseverbote durchsetzbar sein.
Haben sich alle Bayern-Spieler falsch verhalten? Natürlich nicht. Aber auf jeden Fall viel zu viele – darunter National- und Führungsspieler und Leistungsträger.
Mal wieder sticht hier Thomas Müller hervor, der sich gegen eine Fernreise entschieden hat. Auch wenn er sagt: "Nur daheim einsperren ist auch nix. Ich bin jetzt nicht zu Hause geblieben, weil ich irgendwas viel besser machen wollte als meine Kollegen."
Die Folgen für Bayern sind nun nicht zu unterschätzen. Joshua Kimmich infizierte sich zwar als Ungeimpfter im November. Dennoch hat man an seinem Beispiel gesehen, wie lange das einen Spieler aus dem Spielbetrieb reißen kann. Sein letztes Spiel hat er vor zwei Monaten bestritten, am 6. November.
Die aktuell infizierten Spieler haben aufgrund der Winterpause schon jetzt seit zweieinhalb Wochen kein Spiel bestritten. Wenn sie aufgrund ihrer Infektion nun weitere ein, zwei Wochen nicht mittrainieren können, haben sie schnell mehr als einen Monat keines absolviert.
Das bedeutet: Sie brauchen Zeit, um ihren Rhythmus wiederzufinden und auf hundert Prozent Leistungsfähigkeit zu kommen.
Der Leidtragende ist kein Spieler – sondern Trainer Julian Nagelsmann. Er kann mit der Mannschaft nicht an den Schwächen arbeiten, nichts wirklich trainieren und einstudieren. Und trotzdem wird er am Ende der Saison am Erfolg gemessen.
Im Sommer wird niemand mehr darüber sprechen, warum der Start in die Rückrunde womöglich holprig verlaufen ist. Da wird es nur noch darum gehen, ob er mit Bayern die zehnte Meisterschaft in Folge geholt hat und in der Champions League mindestens bis zum Halbfinale oder Finale dabei war.
Es ehrt Nagelsmann, dass er seine Spieler auf der Pressekonferenz vor dem Spiel noch in Schutz genommen hat. Er sagte: "Ich bin kein Kindererzieher. Ich bin Fußballtrainer. Wir haben Spieler, die mündig sind. Es gibt nicht die Option, sofern sie nicht per Gesetz da ist, Urlaub zu verbieten. Und es gibt auch psychische Erholung. Wenn Dayot Upamecano seine Familie im Senegal besuchen will, werde ich doch auch nicht meinem Freund verbieten, seine Familie in Dasing zu besuchen."
Ich nehme ihm das allerdings nicht zu hundert Prozent ab. Nagelsmann sagt natürlich nicht, was er denkt. Auch er ist ganz sicher sauer auf die Spieler, die leichtfertig den Erfolg gefährden – und damit sogar noch mal Schwung in den Meisterkampf bringen könnten.
Borussia Dortmund hat den Titel nach dem letzten Spiel vor der Winterpause (2:3 gegen Hertha) bereits abgeschrieben – nun allerdings nur zwei infizierte Spieler mit Dan-Axel Zagadou und Marius Wolf.
Wenn der BVB seine Spiele im Januar geräuschlos gewinnt und Bayern unter den Folgen der Isolationen leidet, kann das Dortmund zurückbringen.
Und auch hier gilt: Der FC Bayern wäre selbst schuld, sollte es so kommen.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“