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FC Bayern | Hitzige Debatte um Tuchel: Alle gegen den Chefcoach – warum?


Hitzige Debatte um Tuchel
Alle gegen Tuchel – aber warum?


Aktualisiert am 07.02.2024Lesedauer: 7 Min.
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Der Zoff zwischen Sky-Experte Didi Hamann und Bayern-Trainer Thomas Tuchel geht weiter. (Quelle: Sven Hoppe/dpa/dpa)

Die hitzige Tuchel-Debatte überlagert selbst das wegweisende Spiel des FC Bayern in Leverkusen. Sowohl die Kritik an ihm als auch seine Reaktion polarisieren.

Aus München berichtet Julian Buhl vom FC Bayern

Thomas Tuchel erlebt als Cheftrainer des FC Bayern momentan ein merkwürdiges Déjà-vu. Denn die Umstände, die das am Samstag (18.30 Uhr) in Leverkusen anstehende Spiel begleiten, ähneln denen des Anfang November in Dortmund ausgetragenen Duells (4:0) frappierend. Genau wie damals hat sich im Vorfeld dieser für den Meisterkampf so richtungsweisenden Partie beim Tabellenführer ein Topspieler nach dem nächsten verletzungsbedingt bei ihm abgemeldet.

Tuchel, der zwar zumindest im Fall von Dayot Upamecano, Joshua Kimmich und Manuel Neuer noch auf deren Rückkehr hoffen darf, wird deshalb wie schon so oft in dieser Saison mal wieder zum Improvisieren gezwungen sein.

Wie schon vor dem viel beachteten Kräftemessen mit dem BVB sind das allerdings erneut nur Randnotizen, die von noch größeren Diskussionen in den Hintergrund gedrängt werden. In deren Zentrum steht – damals wie heute – Tuchel selbst.

Tuchels Experten-Zoff eskaliert erneut

Das 4:0 in Dortmund wurde von dem TV-Streit, den sich der 50-Jährige mit Dietmar Hamann und Lothar Matthäus teilweise vor laufenden Kameras geliefert hatte, komplett überlagert. Seitdem schwelt der Konflikt, den der Bayern-Coach mit den beiden ehemaligen Bayern-Profis und aktuellen Sky-Experten hatte, im Hintergrund. Pünktlich vor dem Ligagipfel in Leverkusen ist er nun erneut eskaliert.

Hamann hatte Tuchel und den FC Bayern als das größte Missverständnis seit Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann bezeichnet und Tuchel unterstellt, sich mit einer allgemein formulierten Äußerung bei einem Fanclubtreffen aktiv beim FC Barcelona beworben zu haben. Es folgte eine öffentliche Entschuldigung von Hamann, die Tuchel nach dem 3:1-Sieg am Samstag gegen Gladbach allerdings nicht annehmen wollte.

"Ich nehme ihm das nicht ab. Die Dinge, die passiert sind, waren völlig aus dem Zusammenhang gerissen und wurden bewusst gesagt. Es wurden bewusst Aussagen getroffen, die nicht wahr sind", sagte Tuchel. Seitdem meldeten sich einige weitere Experten zu Wort, die darüber diskutieren, ob Tuchels Reaktion angemessen war oder nicht. Felix Magath bezeichnete seinen Nachfolger als Bayern-Coach im Sport1-Doppelpass als "viel zu empfindlich, viel zu unsouverän für diese Position, die er hat".

Hat Tuchel nicht das Recht, sich zu verteidigen?

Ex-Nationalspieler Thomas Strunz behauptete bei Welt TV: "Diese ganzen Diskussionen mit den Experten, wie Hamann oder auch Lothar Matthäus, zeugen von Dünnhäutigkeit. Das ist nicht wirklich souverän." Also hat ein Cheftrainer etwa nicht das Recht, sich auch mal mit aller Vehemenz und Emotionalität zu verteidigen, wenn er Äußerungen über ihn und seine Arbeit als unzutreffend und unsachlich empfindet?

Stefan Effenberg kann die scharfe Kritik von Hamann jedenfalls "überhaupt nicht verstehen". "Das Beste an der ganzen Geschichte war, dass er sich am Ende dafür entschuldigt hat. Und eingesehen hat, dass das nicht richtig und ein Fehler war", schreibt Effenberg in seiner t-online-Kolumne (die komplette Kolumne lesen Sie hier): "Wenn Kritik Hand und Fuß hat, habe ich kein Problem damit. Sie sollte aber niemals ins Persönliche gehen."

Der FC Bayern, der sich mit einem Statement von Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen und Sportdirektor Christoph Freund vehement gegen Hamanns Kritik an Tuchel gewehrt hatte, ist hinter den Kulissen nun um eine Beruhigung der Debatte bemüht. Der Fokus soll wieder voll auf das Sportliche und das so wichtige Spiel in Leverkusen gerichtet werden. Deshalb wurden in dieser Woche auch sämtliche Medienaktivitäten abgesagt, zu denen der Rekordmeister nicht vertraglich verpflichtet ist.

Auch Hoeneß stößt die Tuchel-Kritik auf

Klubintern ist die Stimmung gegenüber Tuchel nach t-online-Informationen ohnehin bei Weitem nicht so negativ, wie es zuletzt in Medienberichten teilweise dargestellt wurde. Vor allem Ehrenpräsident Uli Hoeneß sind die übel aufgestoßen, weil teilweise dafür aus dem Zusammenhang gerissene Zitate von ihm dafür benutzt wurden und einen vermeintlichen Bruch nahelegten.

Das Gegenteil ist aber der Fall: Sein Verhältnis zu Tuchel ist seit dessen Ankunft in München von gegenseitigem Respekt und nach wie vor bestehendem Vertrauen geprägt. Die angriffslustigen Auftritte, mit denen Tuchel schon beim TV-Zoff in Dortmund für sich und den FC Bayern kämpfte, haben auch dem Klubpatron imponiert. Nicht wenige fühlten sich damit sogar ein wenig an Hoeneß selbst erinnert.

Tuchel scheut sich auch intern nicht davor, manchmal auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Dass er das zukünftig nicht unbedingt weiterhin in TV-Interviews tun sollte, darauf hat ihn die Klubführung allerdings bereits hingewiesen.

Insider: Tuchel "kein Menschenfänger", aber fachlich "über allem"

Trotz aller externer Zweifel genießt Tuchel beim Rekordmeister intern weiter größte Wertschätzung. Der Cheftrainer sei zwar "kein Menschenfänger", sagt jemand aus dem engsten Klubumfeld zu t-online, fachlich stehe er aber "über allem" und sei deshalb über jeden Zweifel erhaben. Das, was Tuchel aus dem seit Monaten aufgrund zahlreicher Verletzungen ausgedünnten Rumpfkader herausholt, wird ihm bei den Münchnern hoch angerechnet.

Auf eine ziemlich harte Probe wird das Verhältnis von Tuchel zu Bayern durch das Duell mit Leverkusen nun zweifellos trotzdem gestellt – beim direkten Aufeinandertreffen am Samstag, aber auch durch den äußerst herausfordernden Kampf um den Meistertitel insgesamt.

Das ist die zentrale Frage bei Tuchel

Die Frage, die damit zwangsläufig im Raum steht, lautet nämlich: Kann Tuchel sich eine titellose Saison leisten, wenn er über den Sommer hinaus Trainer bei Bayern bleiben will? Matthäus beantwortete die Frage, ob Tuchel, der mit Bayern im Pokal beim Drittligisten Saarbrücken (1:2) ausgeschieden ist, bei einer Vizemeisterschaft auch in der kommenden Saison auf der Bayern-Bank sitzen würde, bereits mit einem klaren Nein.

"Dafür müsste Tuchel schon die Champions League gewinnen. Ein titelloses Jahr wird er bei Bayern nicht überleben", sagte der Rekordnationalspieler zuletzt der "Sport Bild". "Bereits in der vergangenen Saison hat Tuchel einige Titel verspielt, die Meisterschaft wurde ihm durch das Dortmunder Versagen quasi geschenkt. Ohne Meister-Titel würde es für Tuchel mit Sicherheit ungemütlich."

Vor dem Spiel in Leverkusen bemängelte der Sky-Experte zum wiederholten Mal Tuchels fehlende Handschrift. Die gestand er dem Bayern-Coach zwar schon zu, "aber die von Xabi Alonso ist für mich sichtbarer", so der 62-Jährige. "Jedes Mal, wenn ich in dieser Saison Bayer 04 gesehen habe, waren der Spielstil und die Idee von Alonso ganz klar zu erkennen."

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Sané blüht auf, Kimmich und Goretzka stagnieren

Während die von Ballbesitz und bedingungslosem Offensivfußball geprägt ist, setzt Tuchel in dieser Saison bisweilen auch mal auf eher defensiv ausgerichteten Konterfußball und wechselt seine Taktik häufig.

Spieler wie Leroy Sané, der mit allein acht Toren und elf Assists in 20 Ligaspielen seine bislang beste Saison in München spielt, oder Harry Kane (28 Tore, 8 Vorlagen in 27 Pflichtspielen) profitieren davon und haben sich stark unter ihm entwickelt. Andere wie Leon Goretzka, den Tuchel vor der Saison unter anderem mit seinem Wunsch nach einer "Holding Six" öffentlich anzählte, oder Joshua Kimmich stagnieren dagegen momentan in ihren Leistungen.

Effenberg: "Was kann Tuchel bitte schön dafür?

Ist all die Kritik an Tuchel nun also berechtigt – oder nicht? Argumente gibt es einige dafür, aber auch zahlreiche dagegen. "Wenn man die Situation von Tuchel komplett beurteilt, muss man zum Beispiel auch sehen, wann er zu Bayern kam. Und zwar in einer extrem angespannten, schwierigen Situation", sagte Effenberg. Der 55-Jährige verwies unter anderem auf den Umbruch in der Führungsetage mit dem Abschied von Vorstandsboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić, der auf die Entlassung seines Vorgängers Julian Nagelsmann folgte.

"Er ist mit einem relativ dünnen Kader in die neue Saison gestartet. Harry Kane kam erst eine Woche vor dem Ligastart. Dann hatte Bayern enorme Verletzungsprobleme", zählte Effenberg auf: "Was kann Tuchel bitte schön dafür? Wie soll da eine klare Handschrift zu erkennen sein? Das ist unter diesen Umständen fast unmöglich."

Statistiken sprechen für und gegen Tuchel

Seine Kritiker halten Tuchel unter anderem seinen mit 2,17 Punkten in insgesamt 41 Pflichtspielen verhältnismäßig schlechten Schnitt vor. Damit liegt er im Ranking der Bayern-Cheftrainer seit 2011 nur auf dem achten Platz. Zum Vergleich: Nagelsmann kommt auf 2,31 Punkte (in 84 Spielen), Carlo Ancelotti auf 2,28 (60) und Niko Kovač auf 2,26 (65 Spiele). Spitzenreiter ist Triple-Trainer Hansi Flick mit 2,53 Punkten in 86 Spielen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Tuchel seinen Punkteschnitt in dieser Saison signifikant auf 2,38 in insgesamt 29 Partien und zumindest in den 20 bisherigen Bundesligaspielen sogar auf 2,50, also fast auf Flick-Niveau steigern konnte. Er spielt mit Bayern die beste Ligasaison seit Pep Guardiola 2013/14, der nach dem 20. Spieltag sogar noch sechs Punkte mehr holte. Sein Problem: Er ist mit Bayern (50 Punkten) trotzdem nur Tabellenzweiter hinter den in dieser Spielzeit noch komplett ungeschlagenen Leverkusenern (52 Punkte).

Das muss Tuchel erst noch beweisen

Allerdings musste Tuchel auch in dieser Saison schon wieder einige empfindliche Niederlagen einstecken. Mit der in beide Richtungen ins Extrem ausschlagenden Wellenbewegung der Leistungskurve seiner Mannschaft hat er nach wie vor zu kämpfen. Den in der Champions League meist souveränen Auftritten folgten bereits mehrere folgenschwere Rückschläge. Die Heimniederlage gegen Bremen (0:1) weckte zuletzt schlimme Erinnerungen an das Pokal-Aus in Saarbrücken (1:2), die 1:5-Klatsche in Frankfurt oder das mit 0:3 verlorene Supercup-Finale gegen Leipzig bei der Saisonouvertüre in München.

Video | Bayern-Stars legen Gesangseinlage hin
Quelle: Glomex

Das hatte sich Tuchel im Sommertrainingslager am Tegernsee mit Sicherheit ganz anders vorgestellt. Im Rahmen des Teamabends auf der "Schwaiger Alm" in Wildbad Kreuth hatte er dort seinen verspäteten Einstand als Trainer gegeben. Neben den Neuzugängen sang auch er damals vor der versammelten Mannschaft einen Karaoke-Song.

Tuchel dichtete dabei den Hit von Rainhard Fendrich "Macho, Macho" kurzerhand um und sang: "FC Bayern kannst net lernen, FC Bayern muss man sein." Ein Satz, in dem viel Brisanz steckt und den es für Tuchel in den kommenden Wochen und Monaten erst noch zu beweisen gilt – am besten mit Siegen und Titeln.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche und Hintergrundgespräche
  • transfermarkt.de: Statistiken von Thomas Tuchel, Julian Nagelsmann, Hansi Flick, Niko Kovac und Carlo Ancelotti.
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