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WM 2018: Die größten Blamagen der deutschen Nationalelf


Wie gegen Mexiko
Die größten deutschen WM-Blamagen

Von Udo Muras

Aktualisiert am 18.06.2018Lesedauer: 9 Min.
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Deutliche Worte: Rüdiger Abramczik (li.) gegen Österreichs Heinrich Strasser bei der WM 1978:Vergrößern des Bildes
Deutliche Worte: Rüdiger Abramczik (li.) gegen Österreichs Heinrich Strasser bei der WM 1978: (Quelle: imago-images-bilder)

Zum ersten Mal seit 1982 verliert Deutschland das Auftaktspiel bei einer WM - und blamiert sich gegen Mexiko. Es war nicht die erste WM-Schmach der Nationalelf.

Vier Mal Weltmeister, acht Mal im Finale – Deutschlands WM-Geschichte ist von Erfolgen geprägt. Umso mehr überraschte die 0:1-Auftaktniederlage gegen Mexiko, nach der die Nationalmannschaft bei der WM 2018 bereits um den Einzug ins Achtelfinale zittern muss. Doch es gab auch in der Vergangenheit Momente, in denen gar nichts klappte.

In der Serie zur deutschen WM-Historie erzählt Autor Udo Muras die spektakulärsten Geschichten. Hier lesen Sie von den größten Blamagen der deutschen WM-Historie.

Seinen Namen kennt in Deutschland vielleicht nicht mehr jedes Kind, aber groß vorstellen muss sich Jürgen Sparwasser in der Regel nirgendwo. Im Juni 1974 schoss er das einzige Tor, das je zwischen den Länderteams der Bundesrepublik Deutschland und der DDR geschossen wurde. Es gab ja auch nur dieses eine Spiel, damals in Hamburg – und es fiel für das "falsche" Deutschland. Dennoch ging es als eine der größten Blamagen des (west-) deutschen Fußballs in die Geschichte ein. Und sonst?

Aus heutiger Sicht war schon das Achtelfinal-Aus 1938 gegen die Schweiz (2:4 im Wiederholungsspiel von Paris) eine große Blamage. Doch bei derartigen Kategorisierungen gilt es immer, jeweils die damaligen Umstände zu berücksichtigen. 1938 war Deutschland noch keine Fußballmacht, es suchte nach Platz 3 bei der WM 1934 und dem Aus bei Olympia 1936 in der zweiten Runde noch seinen Platz in der globalen Fußballlandschaft. Die Schweiz hatte sich als Silbermedaillengewinner bei Olympia 1924 dagegen schon Respekt erworben und galt sogar in einigen deutschen Zeitungen als Favorit.

"Dieses Spiel war ein Betrug"

Natürlich erwartete sich die NS-Führung mehr als das Aus in der ersten Runde, aber man war mehr enttäuscht und empört – auch über die Feindseligkeiten des Publikums – als beschämt. "Wenn hier nach Schuldigen zu fahnden ist, dann nur im Zuschauerraum", schrieb die "Fußball Woche".

Auch für die höchste deutsche WM-Niederlage aller Zeiten am 20. Juni 1954 in Basel gibt es mildernde Umstände. Das 3:8 im Vorrundenspiel gegen die Ungarn war bekanntlich Produkt einer Kriegslist von Bundestrainer Sepp Herberger, der sieben Reservisten aufstellte im Wissen darum, dass gegen die übermächtigen Ungarn nichts zu holen und das kommende Spiel weit wichtiger fürs Weiterkommen sei.

Die Deutschen empfanden das etwas anders. Herberger erhielt Morddrohungen und harte Kritiken: "Noch nie hat man eine Nationalmannschaft so hilflos agieren gesehen wie diese, noch nie sind wir auch in so einer schwachen Besetzung in einen so großen Kampf gegangen… Für 60.000 Zuschauer, von denen 30.000 Deutsche waren, war dieses Spiel ein Betrug", schrieb "Die Welt". Als die Deutschen zwei Wochen später denselben Gegner im Finale 3:2 schlugen, wurde diese kalkulierte Blamage in ein anderes Licht gerückt.

Kommen wir zu den echten Blamagen, die wirklich keiner wollte:

22. Juni 1974 Hamburg

Deutschland – DDR 0:1

"Hamburg 1974". Mehr müsse nicht auf seinem Grabstein stehen, hat Jürgen Sparwasser schon oft gesagt. Jeder wisse dann, wer darunter liege. Vielleicht hat er nicht mal übertrieben, der Ex-Stürmer des 1. FC Magdeburg. Sein Tor hat allerlei ausgelöst. Noch 1998 erschien ein Buch mit dem Titel "Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?" Jeder kann das beantworten.

Das Ereignis kommt für die Nachkriegsgeneration gleich nach Mondlandung, Kennedy-Attentat und Wembley-Tor. Es entschied ein mehr politisch denn sportlich brisantes Fußballspiel und zementierte die Herberger’schen Lehrsätze ein für allemal. Der nächste Gegner ist eben doch immer der schwerste, auch wenn er der kleine Bruder ist. "Warum wir heute gewinnen", titelte die "Bild am Spieltag" noch und kam nach einem Vergleich der Mannschaften auf ein 7:4 für "uns". Nur 17 Prozent der Westdeutschen hielten bei einer Umfrage des Wickert-Instituts einen Sieg der im Fußball außerordentlich erfolglosen DDR für möglich. Es war ja ihre erste WM-Teilnahme überhaupt und sahnte sie in anderen Sportarten regelmäßig Medaillen ab – heute weiß man auch, warum – im Mannschaftssport Fußball sah sie stets in die Röhre.

Die DDR war nicht irgendein Gegner

Allerdings hatte Sparwassers 1. FC Magdeburg gerade den Europapokal der Pokalsieger gewonnen. Nun ja, eine Ausnahme, dachten sie im Westen. Und auch egal. Hatten doch die Bayern 1974 den noch wichtigeren Landesmeister-Cup geholt und außerdem waren "wir" Europameister – und Gastgeber. Als die Partie angepfiffen wurde, das gilt es zu berücksichtigen, waren beide Teams schon weiter. Nun hatte es sich ergeben, dass der Sieger in der Zwischenrunde auf vermeintlich stärkere Teams wie Brasilien und die Holländer treffen würde. So gehört es zur Legende, dass der „Westen“ ganz gerne verloren habe, um sich auf Schleichpfaden ins Finale zu bewegen.

Wer die Beteiligten fragt, erntet bis heute Widerspruch. Hatten sie doch alle die fast flehentliche Bitte von Bundestrainer Helmut Schön, der aus Dresden stammte und erster Auswahltrainer der DDR war, ehe er über die "grüne Grenze" in den Westen geflohen war, im Ohr. "Spielt doch einmal für mich!“ Kapitän Franz Beckenbauer erinnerte in der Kabine daran: "Heute spielen wir nicht gegen irgendeinen Gegner. Heute spielen wir gegen die DDR! Das bedeutet: wir müssen auch für unseren Bundestrainer spielen. Versteht ihr?" So steht es in Schöns Biographie von 1978.

"So nicht, Herr Schön!"

Wer sich das Spiel heute noch einmal anschaut, kann es gar nicht so schlecht finden. Beide Teams hatten ihre Chancen, "der Westen" ein paar mehr. Das Fazit von ZDF-Reporter Werner Schneider aus westlicher Sicht: "Viele gute Ansätze im deutschen Spiel, aber es fehlt der letzte Tropfen Glück."

Wenn Gerd Müller einmal nicht traf, hatte die DFB-Elf jener Tage ein Problem. Der Müller des Ostens hieß Sparwasser und der düpierte die Abwehr des Klassenfeinds, in dem er nach 77 Minuten ein Zuspiel nicht ganz absichtlich mit der Nase (!) annahm, zwei Verteidiger umkurvte und aus vier Metern eindrosch. Der fußballhistorische Moment geschah um 21.04 Uhr und danach nicht mehr viel. Die DDR gewann das Spiel und ihre Gruppe, die BRD verlor es und bekam Prügel von allen Seiten. Die wohl berühmteste Schlagzeile der "Bild am Sonntag" zu einem Fußballspiel lautete: "So nicht, Herr Schön!"

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Der berichtete in seinen Memoiren: "Ich bin nur kurz in die Kabine gegangen, es herrschte betretenes Schweigen. Ich hatte den Bauch voller Wut. Aber ich konnte die Mannschaft jetzt nicht in die Pfanne hauen. Das war nicht meine Art. Ich sagte nur einen Satz: 'Wir haben uns morgen über allerhand zu unterhalten.'" Die Spieler fingen schon mal an. Es folgte die zweite lange Nacht von Malente nach dem Prämienpoker am 4. Juni und sie hatte heilsame Folgen. Schön stellte, auf Betreiben von Beckenbauer, um und baute neue Kräfte ein, mit denen das Team am 7. Juli Weltmeister wurde. Auch dank Jürgen Sparwasser. Beckenbauer ist überzeugt: "Sein Tor hat uns aufgeweckt. Sonst wären wir nicht Weltmeister geworden."

Cordoba, 21. Juni 1978

Österreich – Deutschland 3:2

Als Weltmeister waren die Deutschen nach Argentinien gereist. Da war jedes nicht gewonnene Spiel schon eine halbe Blamage, beispielsweise das 0:0 im letzten Vorrundenspiel gegen Tunesien. Aber auch die Kritiker wussten, dass die Elf nach Beckenbauers, Overaths und Müllers Rücktritt nicht mehr annähernd die Klasse hatte wie 1974. Gewonnen wurde in Argentinien ohnehin fast nie. Vor dem letzten Zwischenrundenspiel gegen Nachbar Österreich lautete die Bilanz: vier Unentschieden und ein 6:0 (gegen Mexiko). In ähnlicher Höhe mussten sie nun gewinnen, um die kleine Chance aufs Finale zu nutzen. Auch Platz drei war noch drin und außerdem ging es wieder um Helmut Schön. Er würde nach der WM zurücktreten, er verdiente einen würdigen Abschied.

Konnte das Team, das allein dreimal 0:0 gespielt hatte, die stärksten Österreicher seit 1954 einfach so abschießen? Erwartet wurde es allemal. Zuletzt hatten sie 1931 gegen Deutschland gewonnen; ihre Liga galt als zweitklassig, ihr Erfolg in Argentinien als zufällig. Zumal sie ja schon abgeschlagen waren und sicher heim fliegen würden. DFB-Präsident Hermann Neuberger machte in Optimismus: "Wer sagt denn, dass wir gegen Österreich keine fünf Tore schießen können?" Hans Krankl, der Torjäger von Rapid Wien, konterte: "Was, fünf Tore wolln’s machen gegen uns? Nur über meine Leiche."

Die deutsche Mannschaft war keine Einheit

Krankl hat Cordoba überlebt, obwohl tatsächlich fünf Tore fielen – aber nicht so wie vom DFB-Boss erhofft. Zwar schoss Karl-Heinz Rummenigge das 1:0 (19.), aber spätestens nach einer Stunde erlahmte der deutsche Ehrgeiz. Das Finale erschien illusorisch, das "kleine Finale" reizte wenige. Lieber wollten sie endlich dem südamerikanischen Winter und ihrem öden Quartier in Ascochinga entfliehen. Laut sagte das damals keiner, mit den Jahren aber hörte man es immer öfter von Teilnehmern der trostlosen Argentinien-WM. Auch war die Mannschaft keine Einheit, über die Außenmikrofone hörte man Rüdiger Abramczik den Stuttgarter Hansi Müller beleidigen: "Spiel mich an, Du Scheißer!"

Es kam, was kommen musste und was das Industriestädtchen Cordoba ins kollektive Bewusstsein der Deutschen einbrannte. Hans Krankl schoss zwei Tore, Berti Vogts traf in seinem letzten Länderspiel in den eigenen Kasten, Bernd Hölzenbeins 2:2-Ausgleich war nicht von langer Dauer. Elf Österreicher sicherten sich mit dem 3:2-Triumph einen Platz auf der Ehrentafel der Geschichte ihres Landes – und noch einer, der am Mikrofon saß. Der Kommentar von ORF-Reporter Edi Finger wurde mindestens ebenso berühmt wie der von Herbert Zimmermann 1954 in Bern. Wir hören noch mal rein...

"Für mich brach eine Welt zusammen"

"Da kommt Krankl in den Strafraum – Schuss…Toor, Toor, Toor, Toor, Toor! I wear narrisch! Krankl schießt ein – 3:2 für Österreich! Meine Damen und Herren, wir fallen uns um den Hals: der Kollege Rippel, der Diplom-Ingenieur Posch – wir busseln uns ab. 3:2 für Österreich durch ein großartiges Tor unseres Krankl!"

In Deutschland wurde niemand narrisch. Nur grimmig. Spieler rechneten im Nachgang mit dem DFB, mit Kollegen und sogar mit Schön ab. Viel Porzellan wurde zerschlagen nach dessen letztem Länderspiel. "Für mich brach eine Welt zusammen", gestand der "Mann mit der Mütze." Dass der noch immer erfolgreichste Bundestrainer mit einer Blamage von der Bühne trat, gab dem düsteren Tag von Cordoba eine zusätzlich tragische Note.

16. Juni 1982 Gijon

Deutschland – Algerien 1:2

Unter Schöns Nachfolger Jupp Derwall hatte der deutsche Fußball recht schnell wieder die Kurve bekommen: 1980 auf Anhieb Europameister mit einer jungen Elf, unbelasteten Kräften, die mit Cordoba nichts zu tun hatten. Alle Qualifikationsspiele hatten sie auf dem Weg nach Spanien gewonnen, 23 Länderspiele in Folge nicht verloren – bis heute Rekord. Bayern München und der HSV hatten im Mai 1982 in Europapokalfinals gestanden. Sie waren fast wieder auf dem Gipfel und Favorit auf den WM-Titel.

Was bitte sollte da schon gegen WM-Neuling Algerien passieren? Nie ging eine deutsche Mannschaft überheblicher in ein WM-Spiel als zum Auftakt des Turniers in Spanien. Einige Zitate:

"Morgens gegen Chile, abends gegen Algerien" könne man spielen, witzelte schon nach der Auslosung im Januar Jupp Posipal, einer der Helden von Bern. Derwall sagte: "Ich stell mich da nicht hin und erzähl viel. Die Taktik wird nur kurz skizziert und dann muss das gelaufen sein. Die Spieler lachen sich doch tot, wenn ich ihnen einen Film von Algerien zeige." Oder: "Meine Spieler würden mich für doof erklären, wenn ich ihnen erzählen würde, die Algerier könnten Fußball spielen". Im Falle einer Niederlage werde er umgehend mit der Bahn nach Hause fahren.

"Nie war ich enttäuschter"

Als ihn eine algerische Journalistin fragte, ob er eventuell mit einem Unentschieden zufrieden sei, fragte er: "Meinen Sie das im Ernst?" Torwart Toni Schumacher fabulierte von "vier bis acht Toren", Paul Breitner träumte von einem "3:0 oder 4:0". Die Algerier registrierten das alles mit stetig steigender Wut und gaben die Antwort auf dem Feld. In die Halbzeit gingen sie mit einem 0:0 und spätestens jetzt merkten die Deutschen, dass sie es nicht mit Kanonenfutter zu tun hatten. Demut lehrte sie das nicht.

Noch in der Pause war von Pessimismus nichts zu spüren. "Dass ein Tor für uns fallen würde, fallen müsse – davon waren wir alle fest überzeugt", berichtete Kapitän Karl-Heinz Rummenigge in seinem WM-Buch. Es fiel auf der anderen Seite. Nach einem zu kurz abgewehrten Ball drückte Rabah Madjer diesen nach 52 Minuten über die Linie. Deutschland unter Schock. Nach einer quälend langen Viertelstunde gelang Rummenigge der Ausgleich, doch schon im Gegenzug fiel das 1:2 durch Superstar Karim Belloumi. Und dabei blieb es. Erstmals verlor Deutschland ein Auftaktspiel. Welch eine Blamage! ARD-Reporter Rudi Michel gestand: "Meine Damen und Herren, ich habe viele deutsche Spiele gesehen, viele übertragen – nie war ich enttäuschter." Und Jupp Derwall? Stellte plötzlich fest, man habe "die Algerier unterschwellig ganz bestimmt unterschätzt?" Woran lag das wohl?

Verwendete Quellen
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