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Christoph Daum: Julian Nagelsmann "noch nicht" als Bundestrainer geeignet


Unterstützung für DFB-Trainer
Daum nimmt Löw in Schutz – und nennt zwei mögliche Nachfolger

  • Dominik Sliskovic
Von Dominik Sliskovic

10.11.2020Lesedauer: 6 Min.
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Christoph Daum: Der langjährige Bundesliga-Trainer verfolgt auch die Nationalmannschaft mit kritischem Blick.Vergrößern des Bildes
Christoph Daum: Der langjährige Bundesliga-Trainer verfolgt auch die Nationalmannschaft mit kritischem Blick. (Quelle: Eibner/imago-images-bilder)

Für t-online blickt Christoph Daum auf den Zustand des deutschen Fußballs – und fordert massive Änderungen. Auch Nachfolger für Bundestrainer Joachim Löw hat die Trainerlegende bereits im Blick.

Fast zweieinhalb Jahre sind bereits seit dem blamablen WM-Vorrundenaus der deutschen Nationalmannschaft in Russland vergangen. Im Anschluss an das Debakel schworen Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Direktor Oliver Bierhoff die Fußball-Öffentlichkeit auf einen nachhaltigen Umbruch ein. Verkrustete Strukturen sollten aufgebrochen, Spieler nicht mehr nur aufgrund einstiger Verdienste nominiert und die Fans wieder enger an die Nationalmannschaft gebunden werden.

Die Kritik, insbesondere an Löw als prominentesten sportlich Verantwortlichen, ist seitdem nicht wirklich abgeklungen. Zu wenig Selbstkritik, zu viele Experimente, ein zu inkonstanter Umbruch wird dem Bundestrainer vorgeworfen. Die ausbleibenden Ergebnisse in der Nations League und die oftmals wenig attraktive Spielweise gegen nominell schwächere Gegner tun dabei ihr Übriges.


"Ich finde diese Kritik überhaupt nicht zutreffend", sagt Christoph Daum. Im Gespräch mit t-online analysiert die Trainerikone den Status quo des deutschen Fußballs – und nimmt Löw dabei deutlich in Schutz: "Er hat eine exzellente, selbstkritische Analyse der WM geliefert. Er hat den Neustart ausgerufen – doch plötzlich baute die Öffentlichkeit die völlig überflüssigen Partien in der Nations League gegen die Niederlande und Frankreich zu Entscheidungsspielen auf." Diese Spiele, "die keiner brauchte", seien plötzlich in der Öffentlichkeit zu den Partien erhöht worden, "in denen sich Joachim Löw als Trainer rehabilitieren sollte", erklärt Daum. "Somit hatte er überhaupt keine Chance, seinen Umbruch konsequent durchzuziehen."

Christoph Daum, 67, arbeitet seit 1986 als Cheftrainer im Profifußball. Mit dem VfB Stuttgart wurde der gebürtige Zwickauer 1992 Deutscher Meister, Bayer Leverkusen formte er zu einem Spitzenklub. 2000 wurde er als neuer Bundestrainer vorgestellt, trat das Amt jedoch aufgrund eines positiven Kokaintests niemals an. In den darauffolgenden Jahren arbeitete er unter anderem in Österreich und der Türkei und holte weitere Meistertitel. Im Oktober erschien seine Autobiographie "Immer am Limit: Mein Aufstieg, mein Fall – die ganze Geschichte meines Lebens" im Ullstein-Verlag.

Löw sei bis 2018 bei jedem Turnier mindestens ins Halbfinale eingezogen, rekapituliert Daum. "Er hat über zehn Jahre sehr gute Arbeit geleistet und wesentlich zum positiven Ansehen des deutschen Fußballs beigetragen. Auch deshalb gab es noch vor der WM 2018 die vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2022." Ihm jetzt etwa das Festhalten am Dortmunder Ergänzungsspieler Nico Schulz so plakativ als Fehlentscheidung vorzuhalten, kann Daum nicht verstehen. "Wann soll Löw Spieler testen, ihr Leistungsvermögen innerhalb der Nationalmannschaft abklopfen?", fragt er, bevor er nachschiebt: "Ihm bleiben ja kaum noch klassische Testspiele."

Daum sieht Rangnick und Klopp als potenzielle Löw-Nachfolger – Nagelsmann "noch nicht"

Auch deshalb will Daum, der einst kurz davorstand, die bei der EM 2000 in der Vorrunde gescheiterte DFB-Auswahl als Cheftrainer zu übernehmen, keine Trainer-Diskussion aufkommen lassen – zumindest vorerst. Nach 2022, also Löws Vertragsende, seien jedoch Trainer "wie Ralf Rangnick oder Jürgen Klopp geeignete Kandidaten". Coaches mit Erfahrung also, die das Amt des Bundestrainers als krönenden Abschluss einer langen, erfolgreichen Karriere verstehen würden. Auch aufgrund dieses Verständnisses sieht Daum einen Ausnahmetrainer noch lange nicht in der Position, die DFB-Elf zu übernehmen: Julian Nagelsmann.

"Um Gottes Willen – jetzt noch nicht. Julian soll noch einige Jahre in Vereinen arbeiten", winkt Daum ab. Die tägliche Arbeit im Vereinsfußball sei für seine Entwicklung "viel wichtiger als der Posten des Nationaltrainers". Dabei hält Daum mit seiner Bewunderung für den Übungsleiter von RB Leipzig nicht hinter dem Berg. Er erklärt: "Julian Nagelsmann kann Spieler und Mannschaften besser machen. Er ist fachlich einer der besten Trainer, weil er das Spiel lesen und flexibel auf das Spielgeschehen reagieren kann. Er weiß, wann er rational und wann er emotional eingreifen muss."

Von einer Duo-Lösung aus einem jungen Bundestrainer, der mit der Unterstützung eines erfahreneren aufgebaut wird, hält Daum nichts – auch wenn er sich selbst als erfahrener Teil einer solchen Lösung aufdrängen würde. "Ich zähle jetzt zu den alten Trainern, weil ich 67 Jahre alt bin. Körperlich und geistig fühle ich mich jedoch wie 40 – topfit! Die 67 da, diese Zahl, die existiert für mich nur in meinem Reisepass. Von der körperlichen und mentalen Verfassung her würde ich mir einen solchen Job also durchaus zutrauen", erklärt Daum. Generell stellt er klar: "Ich stehe für ein Cheftraineramt zur Verfügung."

Daum für Verschlankung von Trainerteams

Für Daum ist der Wechsel auf der Cheftrainerposition im modernen Fußball ohnehin nicht der Schalter, der einen Wandel anstößt. Vielmehr müsste das Konzept des sogenannten Funktionsteams hinterfragt werden. "Nehmen wir die WM 2018 als Beispiel: Der DFB ist mit 62 Personen nach Russland gereist, davon waren 23 Spieler. Also waren fast 40 Personen Teil des Funktionsteams", erklärt Daum. Dadurch verliere der Cheftrainer an Einfluss, "er sollte hinterfragen, ob es wirklich notwendig ist, diese oder jene Verantwortung delegieren zu müssen." Er habe das Gefühl, die Zusammenstellung eines Funktionsteams sei oftmals von Aktionismus getrieben, sagt Daum – "etwa, wenn man sich auch noch den dritten Athletiktrainer an Land zieht. Da kannst du als Trainer irgendwann gar nicht mehr alle Fäden in der Hand halten."

Der in Deutschland weit verbreitete Glaube, das englische Konzept des Teammanagers – des Cheftrainers, der auch für die Transferpolitik des Vereins zuständig ist – sei die Zukunft, kann Daum nicht nachvollziehen. "Es ist ein Trugschluss, dass es in der Premier League nur dieses eine 'englische' Modell gäbe", interveniert Daum und führt aus: "Nehmen wir mal meinen guten Freund Alex (Sir Alex Ferguson, legendärer früherer Trainer von Manchester United, Anm. d. Red.): Der Alex war 'Supervisor', der hat nur noch beim Training zugesehen, sein Trainerteam machen lassen, und die abschließenden Entscheidungen getroffen. Das Thema Transfers hat Alex völlig in die Hände seines Bruders (Martin Ferguson, Anm. d. Red.) gelegt. Carlo Ancelotti wiederum war zu seiner Zeit beim FC Chelsea voll und ganz Trainer. Als Manager hatte er Frank Arnesen. Arsene Wenger war wieder ein ganz anderer Typ. Der war Miteigentümer des FC Arsenal. Der hat den Klub weit über die Grenzen einer Trainertätigkeit hinaus gestaltet. Das zeigt: Wir sollten uns schon die Mühe machen und ins Detail gehen, bevor wir behaupten, in England gäbe es 'den' Teammanager."

Daum: "Pressing ist nicht das Allheilmittel"

Generell hält Daum wenig von dogmatischem Denken im Fußball, was er am Beispiel des Pressings aufzeigt. "Pressing ist nicht das Allheilmittel", sagt Daum. Die wichtigste Fähigkeit im Fußball sei stattdessen das Umschalten, "zu wissen, in welcher Spielsituation ich in welches Spielverhalten wechseln muss." Dies müsse den Spielern in Fleisch und Blut übergehen. Erst dann sei eine Mannschaft möglichst flexibel auf jeden Gegner eingestellt.

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Daum selbst beschreibt seinen präferierten Fußball wie folgt: "Ich lasse attraktiven Fußball spielen. Ende, aus, Nikolaus. Das unterschreibt dir jeder. Hört sich ja auch einfach gut an." Nur leider lasse sich nicht jeder Gegner attraktiv bespielen, vielmehr zerstöre der Gegner in der Regel attraktiven Fußball. "Also liegt es an mir als Trainer, neben Lösung A – die attraktive Lösung – auch Lösung B, C, D und E aufzuzeigen. Als Trainer musst du den Fußball spielen lassen, der dir zu jeder Spielphase und gegen jeden Gegner die Spielkontrolle gewährleistet", erläutert Daum. Spielkontrolle müsse jedoch nicht zwangsläufig offensiv verstanden werden. "Es gibt einfach Gegner, die sind deiner Mannschaft qualitativ überlegen, dann gilt es, sie defensiv so zu kontrollieren, dass ich in meiner Hälfte nicht überrollt werde."

Bei der Entwicklung der von Daum angesprochenen spielerischen Lösungen greifen immer mehr Trainer auf Analysewerte zurück wie die expected-Goals-Rate, die aufzeigt, wie hoch die Torerfolgwahrscheinlichkeit eines Abschlusses war. Der Trainerveteran sieht diesen Algorithmus kritisch. "Die expected-Goals-Rate gilt allgemein als evident – das stimmt doch gar nicht! Nimmt er den Ball mit dem Innen- oder Außenspann an? Ist er Rechts- oder Linksfuß? Wie sind die Witterungsverhältnisse? Ich könnte Ihnen noch unzählige Kriterien aufzählen, von denen die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs abhängt, die der expected-Goals-Algorithmus überhaupt nicht berücksichtigt", echauffiert sich Daum.

Hummels? "Der einzige, der für mich zur Zeit Weltklasseniveau hat"

Er selbst könne aus den gewonnenen Werten keine Schlüsse ziehen, erklärt Daum: "Was soll ich mit diesen Werten denn anfangen? Meinem Spieler nach der vergebenen Chance sagen, 'Nicht so schlimm, deine expected-Goals-Rate lag sowieso nur bei 0,2'? Dieser Wert sagt doch nichts über den Spieler aus und in welcher Form er den Abschluss abgegeben hat." Es fehle der menschliche Faktor in diesen Berechnungen.

Doch zuvorderst müsse die Leistung stimmen. Und die, so Daum, spräche besonders bei einem Spieler für die Rückkehr in die deutsche Nationalmannschaft: Mats Hummels, "der einzige, der für mich zur Zeit Weltklasseniveau hat". Daum weiter: "Ich weiß nicht, was da intern abgelaufen ist. Aber von außen betrachtet könnte der Bundestrainer ihn jederzeit in den Kreis der Mannschaft zurückholen, ohne dabei einen Gesichtsverlust zu befürchten." Ähnliches gelte für Thomas Müller: "Warum sollte er ihn in dieser überragenden Form nicht wieder berücksichtigen? Nur, weil die Kommunikation um seine Ausbootung nicht so diplomatisch ausgefallen ist? Das darf kein Kriterium dafür sein, dass der DFB auf solche erfahrenen Topspieler verzichtet", betont Daum – und dürfte damit Millionen Anhängern der DFB-Elf aus der Seele sprechen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Christoph Daum
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