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Rassismus und Homophobie im Stadion: Der Fall Ungarn


Deutschland trifft auf Ungarn
Gegen alle

  • Noah Platschko
  • Dominik Sliskovic
Von Noah Platschko, Dominik Sliskovic

11.06.2022Lesedauer: 5 Min.
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"Carpathian Brigade": Die aus verschiedenen Ultra- und Hooligan-Gruppierungen bestehende Vereinigung bejubelte bei der EM den Führungstreffer gegen Frankreich.Vergrößern des Bildes
"Carpathian Brigade": Die aus verschiedenen Ultra- und Hooligan-Gruppierungen bestehende Vereinigung bejubelte bei der EM den Führungstreffer gegen Frankreich. (Quelle: Alex Pantling/dpa-bilder)

Beim Nations-League-Spiel gegen England pfiff das ungarische Publikum den Kniefall der Engländer aus. Gegen Deutschland wird es dazu wohl gar nicht erst kommen. Die Situation ist dennoch problematisch.

Was Peter Bernau sagt, ist besorgniserregend. "Die Kinder haben auch gepfiffen, aber wurden dazu von ihren Eltern angestiftet und animiert und übernahmen deren Verhaltensmuster", sagt Bernau zu t-online. Bernau ist Sportchef der ungarischen Tageszeitung "Népszava".

Auch aus dem Gespräch mit dem Journalisten wird klar: Wenn Deutschland heute Abend (ab 20:45 Uhr im Liveticker bei t-online) in Budapest gastiert, geht es um mehr als nur um ein Spiel in der Nations League. Es geht um den Fall Ungarn. Es geht um Rassismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit. Und das in Fußballstadien mitten in Europa. So wie in der vergangenen Woche beim Länderspiel gegen England, als die Spieler der "Three Lions" für ihren symbolischen Kniefall zum Kampf gegen Rassismus von Teilen des Publikums in der Puskás Aréna ausgepfiffen wurden – eben auch von Kindern.

"Orbán verurteilte die Pfiffe in keiner Weise"

Die ungarische Politik aber ignoriert das Problem, wenn sie es nicht gar billigt: "Die Regierung um Viktor Orbán will sich mit der Problematik nicht auseinandersetzen", meint Bernau. Auch nicht, als es bei der EM 2021 in Budapest Affenlaute gegen die schwarzen französischen Spieler Kylian Mbappé, Paul Pogba und N'Golo Kanté gab und Portugals Cristiano Ronaldo mit homophoben Sprüchen diffamiert wurde. "Er sprach bei den Spielen immer nur von einer 'fantastischen Stimmung' und verurteilte die Pfiffe in keiner Weise."

Die ungarische Nationalmannschaft hat ein Fan-Problem: Bei den beiden EM-Heimspielen Ungarns gegen Portugal und Frankreich zeigte ein inoffizieller Fanklub der ungarischen Nationalmannschaft seine hässliche Fratze: die "Carpathian Brigade".

Hier sind antisemitische, antiziganistische, rassistische, homophobe Sprechchöre und Schriftzüge, Hitlergrüße und Pyrotechnik an der Tagesordnung. Beim Auswärtsspiel der Ungarn in Italien reisten Hunderte "Fans" der Gruppe mit nach Cesena, diffamierten einen italienischen Spieler als "Zigeuner".

"Eine aus Neonazis bestehende paramilitärische Gruppe"

Dass die Gruppierung immer wieder negativ auffällt, verwundert insofern nicht, als bereits der Name der Ultras-Gruppierung ein demokratiefeindlicher Affront ist. Während des Zweiten Weltkriegs kämpfte eine paramilitärische Einheit gleichen Namens als Kollaborateur Nazideutschlands von Polen über Frankreich bis hin nach Palästina und Nordafrika.

Ihre Namensvetter stufte Bálint Josá, Gründer der ungarischen NGO "Szubjektív Értékek Alapítvány" ("Stiftung für subjektive Werte"), schon 2016 in einem Interview mit dem Onlineportal "Vice" als aus Neonazis bestehende paramilitärische Gruppe ein. Sie würden ein reaktionäres Weltbild vertreten und ein großungarisches Reich fordern.

Die Uefa reagierte nach den Vorfällen bei der EM, verdonnerte den Verband zu drei Geisterspielen. Ein Spiel wurde dabei für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Allerdings wurde es vielen Kindern und ihren Begleitpersonen erlaubt, die Begegnung vergangene Woche gegen England im Stadion zu verfolgen – und wieder gab es einen Eklat.

Vorfälle auch nach der EM

Die Liste der Vorfälle ist aber noch viel länger: Bereits im September hatte der Weltverband Fifa Ungarn nach diskriminierenden Äußerungen seiner Anhänger gegen englische Nationalspieler zu zwei Geisterspielen auf Fifa-Ebene und einer Geldstrafe in Höhe von 200.000 Schweizer Franken (185.000 Euro) verurteilt. Die zweite Partie wurde dabei für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt.

Dortmunds Jude Bellingham sowie Citys Raheem Sterling waren während des Sieges der englischen Auswahl im WM-Qualifikationsspiel (4:0) am 2. September 2021 in Budapest mit Affenlauten verhöhnt worden, in der Puskás Aréna waren zudem Bierbecher und Leuchtraketen aufs Feld geflogen. Die Fifa hatte die rassistischen Vorfälle als "abscheuliches Verhalten" bezeichnet und auf das Schärfste verurteilt.

Dass es nun am Samstag, wenn die deutsche Nationalmannschaft zum dritten Nations-League-Spiel der aktuellen Abstellungsperiode in Budapest gastiert, zu ähnlichen Szenen kommt, ist nicht zu erwarten. Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff hatte auf einer Pressekonferenz am Donnerstag angekündigt, dass es keinerlei Überlegungen vonseiten des DFB-Teams gebe, die auch im Heimspiel gegen England praktizierte Kniefall-Geste zu wiederholen.

"Wir haben aktuell keine pauschale Aktion, die wir jedes Spiel machen wollen. Wir sind offen für Aktionen, die unsere Werte vertreten, aber wir planen nicht durchgängig etwas und wollen es auch nicht inflationär wirken lassen", bestätigte DFB-Stürmer Thomas Müller am Freitag die Aussagen Bierhoffs.

Ungarn droht Punktabzug – oder sogar Ausschluss

Peter Bernau rechnet am Samstag erneut mit Fehlverhalten auf den Rängen. Um die tausend Anhänger der Brigade dürften in der ausverkauften Puskás Aréna beim Spiel sein. "Ich gehe davon aus, dass die deutsche Hymne ausgepfiffen wird. Da bin ich mir fast sicher", so der 50-Jährige zu t-online.

Bernau befürchtet, dass die ungarische Mannschaft um ihren italienischen Trainer Marco Rossi bald noch stärker für ein erneutes Fehlverhalten der Fans bestraft werden könnte. Einen wiederholten Publikumsausschluss beim Heimspiel im September gegen Italien hält er für möglich. Und mehr als das. "Die Uefa hat bereits angekündigt, dass wenn Geldstrafen und Publikumsausschlüsse nicht helfen, ein Punktabzug der nächste Schritt wäre. Auch ein Ausschluss aus den Uefa-Wettbewerben ist dann denkbar", so Bernau.

Der Journalist bedauert die fortwährende Fan-Problematik. Schließlich sei die Nationalmannschaft sportlich so gut wie lange nicht mehr, hatte Deutschland bei der EM am Rande einer Niederlage und bezwang vergangene Woche Vize-Europameister England (1:0). Die Spieler würden als "Helden gefeiert". Ein Ausschluss aus der Nations League wäre auch deshalb fatal, weil sie den Ungarn zuletzt überhaupt erst die Teilnahme an der Europameisterschaft 2021 ermöglichte.

Bernau: "Es gibt keine Null-Toleranz-Politik"

Auch in der heimischen Liga gebe es, so Bernau, immer wieder Ausschreitungen und rassistisches Fehlverhalten. Der ungarische Verband reagiert aber nur mit halbherzigen Geldstrafen. "Es gibt keine Null-Toleranz-Politik. Die Vereine bezahlen lieber die Strafen, als sich mit den Fans anzulegen. Man tut nichts dagegen."

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Stattdessen wurde auf politischer Ebene ein Sündenbock gesucht, den man in Form der Uefa gefunden hat. Die Kommunikation richte sich immer gegen die Uefa. Die sei in den Augen der Politiker das Problem, so Bernau.

Mit Sándor Csányi sitzt seit 2015 der Milliardär und Präsident des ungarischen Fußballverbandes im Uefa-Exekutivkomitee. Auf ihm liegen die Hoffnungen, die Wogen zu glätten – bislang vergebens. Csányi betone immer wieder, dass er auf etwaige Strafen keinen Einfluss habe, da er an den Sitzungen der Disziplinarkommission nicht teilnehme.

Und wie blickt man aus deutscher Sicht auf potenzielle Anfeindungen im Stadion? Bundestrainer Hansi Flick versuchte vor dem Wiedersehen des deutschen Teams mit Ungarn das Thema kleinzuhalten. "Jeder Einzelne hat schon viele Spiele in aufgeheizter Stimmung gemacht", sagte er über die erwarteten Pfiffe, "das muss jeder auf diesem Niveau aushalten. Wir fokussieren uns auf unser Spiel, alles andere ist Nebensache."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefonat mit Peter Bernau
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