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DFB-Elf: Noch ein Jahr bis zur EM 2024 – Sommer, Sonne, Bratwurst?


Deutschland in der Krise
Tiefpunkt statt Sommermärchen

  • Noah Platschko
Von Noah Platschko

Aktualisiert am 15.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Joshua Kimmich: Der aktuelle DFB-Kapitän erlebt keine erfolgreiche Zeit mit der Nationalmannschaft. (Quelle: IMAGO/Ulrich Hufnagel)

Heute in einem Jahr beginnt die EM im eigenen Land. Wo steht der DFB? Und wie ist die Beziehung zu den Fans? Es ist kompliziert.

Sommer, Sonne, Bratwurst. Ausgelassene Stimmung, Menschen in Fußballtrikots an jeder Ecke und eine deutsche Mannschaft, die begeistert.

Von all dem war bei der vergangenen Weltmeisterschaft in Katar keine Spur. Das Turnier in den Winter verschoben, Ausrichter und Vergabe moralisch verwerflich und eine Nationalmannschaft, die bereits zum zweiten Mal hintereinander nach der Vorrunde die Heimreise antreten musste.

Das Turnier im Mittleren Osten gehörte zu jenen, das Anhänger des DFB-Teams nur allzu gerne schnell wieder aus ihrem Gedächtnis streichen wollen. Im Selbstverständnis des deutschen Fußballfans hat ein Aus in der Vorrunde keinen Platz. Mindestens das Halbfinale sollte drin sein, will eine WM oder EM als halbwegs erfolgreich bezeichnet werden.

Goldene Jahre zwischen 2006 und 2016

Und von 2006 bis 2016 hat die deutsche Mannschaft dieses Kunststück tatsächlich vollbracht. Zehn Jahre am Stück fand sich das Team von Bundestrainer Joachim Löw unter den besten vier Mannschaften wieder – inklusive des Gewinns der WM 2014 in Brasilien.

Das Jahr 2006 markierte auch den Beginn einer neuen Ära der deutschen Nationalmannschaft. Vom staubigen Image der gescheiterten 2004er-Mannschaft befreit, wagte der DFB mit Manager Oliver Bierhoff und Teamchef Jürgen Klinsmann einen Neuanfang. Spätestens mit dem Eröffnungstor von Philipp Lahm gegen Costa Rica brach kollektive Euphorie aus, das 4:2 bei der Heim-WM in Deutschland markierte den Startschuss in einen deutschen Sommer der guten Laune, bei dem "die Welt zu Gast bei Freunden" war.

17 Jahre ist die WM, die aus deutscher Sicht mit dem 0:2 im Halbfinale gegen Italien ein bitteres Ende fand, schon her. Seitdem ist viel passiert. Pokalsieger Rasenballsport Leipzig war noch nicht einmal gegründet, Champions-League-Gewinner Manchester City dümpelte in der fußballerischen Bedeutungslosigkeit herum.

Kein Sommermärchen 2.0

Und auch die Begeisterung um das deutsche Team war deutlich größer, die positive Aufbruchstimmung von damals ist verflogen. Die goldenen Jahre sind vorbei. Genau ein Jahr vor dem Start in die Heim-EM in München scheinen Nationalmannschaft und Fans so weit voneinander entfernt wie zuletzt vor dem Sommermärchen 2006. Dass die Beziehung zu den Anhängern gelitten hat, das wissen glücklicherweise auch die Verantwortlichen im DFB. Sie verzichteten zunächst noch darauf, verbal eine Art "Sommermärchen 2.0" auszurufen, in der Gewissheit, dass sich die Einzigartigkeit von damals nicht eins zu eins reproduzieren lässt.

Dennoch sind die Hoffnungen groß, ein ähnliches Fußballfest feiern zu können. Präsident Bernd Neuendorf hofft darauf, eine "neue Generation für den Fußball zu begeistern". Turnierdirektor Philipp Lahm wünscht sich einen "Aha-Effekt für die folgenden Jahre", Innenministerin Nancy Faser erwartet ein "Fußballfest für alle" sowie ein "ein "Heimspiel für Europa“, wie sie in einem Gastbeitrag für das Magazin "Kicker" schrieb.

"Die Spieler müssen auch für die Euro 2024 wissen, wie wichtig so ein Heim-Turnier ist. Sie müssen wieder eine Identifikation stiften, sich nahbar und voller Leidenschaft für das DFB-Trikot zeigen. Das ist ihre Hauptaufgabe. Ich habe als Fan zuletzt nicht gespürt, dass sich in unserer Mannschaft einer für den anderen auf dem Platz aufopfert", nimmt Lahm im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur die Spieler in die Pflicht.

Liebe auf Knopfdruck gibt es nicht

So richtig zu spüren ist von einer Identifikation geschweige denn einer Euphorie angesichts das Großevents in einem Jahr aber eben noch nichts. Es ist kompliziert. Verband und Spieler sind bemüht, eine Fannähe zu erzeugen, doch möglicherweise konterkariert das gebetsmühlenartige Betonen der geplanten Nähe eine organisch wachsende Beziehung, die binnen 366 Tagen nicht herzustellen ist. Liebe auf Knopfdruck gibt es nicht, was auch Stürmer Füllkrug weiß: "Es darf auf keinen Fall künstlich sein", sagte er auf einer Pressekonferenz am Sonntag.

"Viele haben noch gar nicht begriffen, welch eine Riesennummer die EM werden wird, ähnlich wie 2006, unser Sommermärchen", kritisierte derweil DFB-Sportdirektor Rudi Völler im Interview mit dem "Stern". "Wir haben ein Turnier mitten in Europa, jedes Spiel wird ausverkauft sein, Deutschland kann sich als offenes, gastfreundliches Land zeigen. Damit das gelingt, wird auch die Politik mitziehen.

Und so erinnert doch einiges an 2006, als sich die deutsche Mannschaft nach einem 1:4 in Italien kurz vor Turnierbeginn in einem kritischen Zustand zeigte. Vertreter von Presse, Verband und Politik, darunter Kanzlerin Merkel, versammelten sich zum Krisengipfel und schworen sich, während des Turniers gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Auch Hansi Flick bemühte nach dem sportlich besorgniserregenden 3:3 gegen die Ukraine am Montag einen Vergleich mit 2006: "Da hat man 1:4 in Italien verloren, es war eine wahnsinnig negative Stimmung. Trotzdem ist es ein Sommermärchen geworden." Es wirkte wie ein brüchiger Strohhalm, an dem sich der Bundestrainer festzuhalten versuchte.

Mehrheit zweifelt am Erfolg Flicks

Dabei ist die Abkehr der Fans, trotz aller Bemühungen und guten Willens des DFB, ein großes Problem. Eine exklusive Civey-Umfrage für t-online zeigt: Die Mehrheit der deutschen Fußballfans glaubt nämlich nicht daran, dass Bundestrainer Hansi Flick die deutsche Nationalelf zu einer erfolgreichen Heim-EM führen wird. 59 Prozent der Befragten beantworteten diese Frage mit Nein.

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Nur ein Viertel trauen Flick mit der Nationalmannschaft ein erfolgreiches Turnier zu. 18 Prozent waren in dieser Frage unentschieden. An der Umfrage nahmen 1.503 Personen Teil, der statistische Fehler liegt bei 4,7. Und auch in Bremen drohte die Stimmung zwischenzeitlich zu kippen. Fans in der Ostkurve stimmten hämische "Hier reagiert der SVW"-Sprechchöre an, von den immer wiederkehrenden Pfiffen ganz zu schweigen.

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Ein Jahr vor Turnierbeginn wartet auf die Verantwortlichen noch eine Menge Arbeit – ohne Garantie auf Erfolg. Von Schwarz-Rot-Grau zu Schwarz-Rot-Gold bleiben den Verantwortlichen 365 Tage. Und sie wären gut beraten, jeden einzelnen davon zu nutzen. Denn die jüngsten Leistungen lassen das Schlimmste erahnen, ein Vorrundenaus im eigenen Land wäre der Super-GAU.

Vor etwa 20 Jahren setzte der damalige DFB-Teamchef Rudi Völler in der ARD zu seiner legendären Wutrede an, die Deutschen müssten doch von ihrem hohen Ross runterkommen. Über den"Tiefpunkt und Tiefpunkt und noch tieferem Tiefpunkt", schimpfte er. Es scheint, als sei die deutsche Mannschaft aktuell gar nicht so weit davon entfernt.

Verwendete Quellen
  • Deutschlandfunk: "Publikum bei Länderspielen nie angenehm"
  • Printausgabe des "Kicker" vom 12. Juni 2023
  • Umfrage des Meinungsforschungsinsitus Civey
  • Interview der dpa mit Philipp Lahm
  • Pressekonferenzen mit Niclas Füllkrug, Hansi Flick und Rudi Völler
  • Eigene Beobachtungen beim Länderspiel in Bremen
  • Stern-Interview mit DFB-Sportdirektor Rudi Völler
  • Eigene Recherche
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