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Toni Kroos zurück in der DFB-Elf: "Querpass-Toni" jetzt Hoffnungsträger?


Toni Kroos und ein pikanter Spitzname
Wer traut sich noch, ihn so zu nennen?


22.03.2024Lesedauer: 6 Min.
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Toni Kroos: Der Rückkehrer musste sich immer wieder den Spitznamen "Querpass-Toni" anhören.Vergrößern des Bildes
Toni Kroos: Der Rückkehrer musste sich immer wieder den Spitznamen "Querpass-Toni" anhören. (Quelle: IMAGO/Jose Breton)

Toni Kroos ist nach knapp drei Jahren Pause zurück in der Nationalmannschaft. Aber auch mit 34 Jahren ist er noch ein Hoffnungsträger. Daran ändert auch ein Spitzname nichts.

Einen konkreten Adressaten wählte Julian Nagelsmann nicht, aber seine Botschaft kam trotzdem an. "Jeder, der das heute noch schreibt, der hat leider gar keine Ahnung vom Fußball", sagte der Bundestrainer am vergangenen Freitag. Der Anlass war die Rückkehr von Toni Kroos in die Nationalmannschaft und dessen Spitzname. Denn schon seit vielen Jahren wird der 34-Jährige von Kritikern und Gegnern gerne "Querpass-Toni" genannt.

Der Vorwurf: Kroos verschleppe das Spiel, mache es langsam. Statt riskante, vertikale Bälle in die Spitze zu spielen und die Stürmer in Szene zu setzen, spiele er lieber quer. Seine hochprozentigen Passquoten seien zu vernachlässigen, hätten keine Aussagekraft, da er nur den einfachen Weg zur Seite wähle. Zudem würde er bei seinem Klub Real Madrid nur "mitschwimmen", die entscheidenden Spieler seien andere.

Der Sündenbock der EM 2021

Die "Querpass-Toni"-Fraktion ist in den vergangenen Jahren ruhiger geworden. Zum einen, weil Kroos mit Real Madrid weiter Titel einsammelte, obwohl Stars wie Cristiano Ronaldo, Sergio Ramos oder Karim Benzema Real verließen. Zum anderen aber auch, weil Kroos nicht mehr Teil der Nationalelf war. Die Kritik fokussierte sich nach dem frühen Aus bei der EM 2021 auf ihn. Dem damaligen Bundestrainer Joachim Löw wurde vorgeworfen, zu lange an ihm festgehalten zu haben.

"Toni Kroos hat in diesem Fußball nichts mehr verloren", urteilte Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß damals im Sport1-"Doppelpass". "Ich mag den Toni Kroos extrem, er hat Weltklasse-Leistungen gebracht, war für den FC Bayern super. Aber seine Art zu spielen ist total vorbei", betonte er und fügte an, dass die erfolgreichen Teams "volle Pulle nach vorne" spielen würden. Deutschland hätte aber nur "quer gespielt, quer gespielt, quer gespielt". Hoeneß damals: "Bei der EM habe ich sonst keinen Spieler gesehen, der diese Art von Fußball spielt."

Lothar Matthäus stimmte mit ein. Der Rekordnationalspieler schrieb nach der EM in seiner "Kicker"-Kolumne: "Man hat bei der EM gesehen, dass es nicht nur um die Geschwindigkeit des Spielers, sondern auch die des Balles geht. Das macht er eigentlich ganz gut mit ein, zwei Kontakten, aber wo er die Bälle hin spielt, da verliert er wieder Geschwindigkeit, weil es kaum Raumgewinn gibt und so das Tempo verschleppt wird." Matthäus war mit Kroos' Spielweise "nicht einverstanden". Er bilanzierte: Kroos sei nicht mehr internationale Klasse.

Mit Zahlen belegt werden konnten die Aussagen der beiden Bayern-Granden nicht. Nach der EM-Gruppenphase hatte Kroos laut dem Fußballdaten-Anbieter Opta die meisten Pässe ins letzte Angriffsdrittel. 66-mal spielte Kroos den Ball also vertikal in den Strafraum oder die Strafraumnähe. Auf Rang zwei lag der Niederländer Daley Blind mit 48.

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Zuvor hatte sich der "Kicker" mit den Fußballanalysten von "StatsBomb" zusammengetan, sie untersuchten die Champions-League-Saison 2020/21. Dabei stellten sie fest, dass der Anteil von Vertikalpässen bei Kroos mit 16 Prozent höher war als der von Joshua Kimmich (14), İlkay Gündoğan (13) oder Leon Goretzka (15). Auch bei den Pässen und Dribblings ins letzte Spielfelddrittel war er mit 12,7 pro Spiel über den drei Teamkollegen aus der Nationalelf.

Kroos spielt viele Querpässe, so ist es nicht. Der Stratege diktiert das Spiel, sucht nach der besten Lösung. Das kann auch mal ein Anspiel zum Nebenmann oder eine Verlagerung zur anderen Seite sein. Der Anteil an Querpässen ist jedoch geringer als bei vielen Konkurrenten. Kroos macht das Spiel sehr wohl schnell. Schon zum Zeitpunkt der Aussagen von Hoeneß und Matthäus basierte der Vorwurf des verschleppenden, quer spielenden Mittelfeldstrategen also mehr auf einem Gefühl als auf mit Statistiken zu belegenden Fakten.

Nur zwei Spieler sind vor Kroos

Auch seitdem hat sich wenig an Kroos' Spielweise geändert. Der Akteur von Real Madrid lässt laut Opta-Zahlen 99 Prozent der anderen zentralen Mittelfeldspieler der fünf besten europäischen Ligen hinter sich, wenn es um "progressive Pässe" in den vergangenen 365 Tagen geht. Kroos spielt im Schnitt 11,44 pro Spiel.

(Quelle: IMAGO/Mark Leech)

Was sind "progressive Pässe"?

Stark heruntergebrochen handelt es sich dabei um vertikale, also nach vorne gespielte Pässe, die eine gewisse Distanz überschreiten. Manche Datenanbieter nehmen 30 Meter als Richtwert, Opta und die Website "fbref.com" arbeiten mit 10 Yards (rund 9,2 Meter) als Richtwert. Nicht mit einbezogen werden dabei Pässe aus den hinteren 40 Prozent der eigenen Spielhälfte. Ein "progressiver Pass" könnte auch als Steilpass mit bestimmten Voraussetzungen definiert werden.

In der laufenden Saison spielten bisher nur Granit Xhaka (Bayer Leverkusen) und Rodri (Manchester City) in den größten fünf Ligen Europas mehr progressive Pässe als Toni Kroos.

Darauf bezog sich auch Julian Nagelsmann in seiner Pressekonferenz in der vergangenen Woche, als er seinen Rückkehrer verteidigte. "Er kann ein genialer Verbindungsspieler sein zwischen Offensive und Defensive, ist aktuell in Europa der Spieler mit den meisten überspielten Gegnern – und zwar mit Abstand. Er ist, was die Impect-Werte angeht, mit Abstand der beste Mittelfeldspieler in Europa. Und darum geht am Ende des Tages: auf einem guten Weg Richtung Tor zu kommen." Impect ist die Firma, die den sogenannten "Packing"-Wert entwickelt hat, der die überspielten Gegenspieler misst, auf den sich Nagelsmann in seiner Aussage bezog.

Carlo Ancelotti, Kroos' Trainer bei Real Madrid, bezeichnete seinen Mittelfeldmann noch vor wenigen Monaten als "nicht zu ersetzen". Ancelotti weiter: "Er ist einzigartig, macht im Passspiel keine Fehler. Und er entscheidet sich immer für die beste Lösung. Er ist ein zentraler Mittelfeldspieler, der den Ball haben will, keine Angst vor Druck hat. Er orientiert sich immer sehr gut." Genau davon will auch der deutsche Bundestrainer profitieren.

Kroos selbst lassen die Diskussionen um ihn und seinen pikanten Spitznamen kalt. "Ich glaube nicht, dass ich irgendjemandem noch etwas beweisen muss", sagte er Anfang der Woche auf einer Pressekonferenz. Der 34-Jährige will mit seiner Erfahrung vorangehen und der DFB-Elf bei der Heim-Europameisterschaft helfen.

Inzwischen ist auch der Ton, den Uli Hoeneß anschlägt, ein anderer. Die Rückkehr des Weltmeisters von 2014 kommentierte er kürzlich mit den Worten: "Im Moment begrüße ich das schon, dass Toni Kroos zurückkommt, weil wir von den Persönlichkeiten im Moment nicht so die große Auswahl haben. Jetzt hat sich Julian Nagelsmann entschieden, sehr viele junge Spieler zu holen. In so einem Umfeld ist ein erfahrener Spieler wie Toni Kroos vielleicht der Richtige." Die Antwort des Rückkehrers folgte kurz danach: "Ich hoffe, dass ich diese Aussage von Uli Hoeneß bestätigen kann."

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"Er weiß, was er der Mannschaft nicht geben kann"

Kroos ist kein besonders spektakulärer Fußballer. Er dribbelt nicht einen Gegner nach dem anderen aus wie Jamal Musiala. Er rennt nicht so schnell wie Kylian Mbappé. Er ist keine Urgewalt im gegnerischen Strafraum wie Erling Haaland. Und er grätscht und verteidigt nicht so wie Virgil van Dijk. Womöglich geriet er deshalb auch bei deutschen Fußballfans immer wieder in die Schusslinie. Die klassische Heldengeschichte wie ein blutverschmierter Bastian Schweinsteiger im WM-Finale 2014 schreibt er mit seiner Spielweise nicht. Seine Qualitäten bleiben oft unter dem Radar.

"Er weiß, was er der Mannschaft geben kann, sagt aber auch klar, dass man als Trainer weiß, was er der Mannschaft nicht geben kann", betonte Nagelsmann. Ein Kämpfertyp, der dem Ball nachjagt und einen Zweikampf nach dem anderen gewinnt, ist er nicht. Dafür hat er bei Real Madrid Mitspieler wie Eduardo Camavinga, Aurélien Tchouaméni oder Federico Valverde. Sie sind schneller, physischer, aggressiver und gleichen die Schwächen des Deutschen aus.

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Bei der EM 2021 fehlte genau dieser Spieler neben Kroos. Ex-Bundestrainer Joachim Löw setzte meist auf das Duo Kroos/Gündoğan im zentralen Mittelfeld. Gündoğan ist aber auch eher der kreative Spielertyp, definiert sich ebenfalls über ein gutes Passspiel und eine hohe Spielintelligenz. Löw wollte das mit drei Innenverteidigern ausgleichen, die dem kreativen Duo als Absicherung dienen sollten. Von Erfolg gekrönt war das nicht. Eine Warnung hätte das 0:6 gegen Spanien im November 2020 sein können. Auch damals spielten Kroos und Gündoğan im Zentrum.

Julian Nagelsmann hat einen anderen Ansatz. Er sieht İlkay Gündoğan weiter vorne im zentralen offensiven Mittelfeld, wo er in der vergangenen Saison bei Manchester City spielte und das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Champions League gewann. Kroos' Nebenmann im defensiven Mittelfeld wird beim Länderspiel gegen Frankreich am Samstag (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online) wohl Robert Andrich sein. Der körperbetonte Spieler von Bundesliga-Tabellenführer Bayer Leverkusen bringt die nötigen Attribute mit, um Kroos gut zu ergänzen und ihm in der Defensivarbeit den Rücken freizuhalten.

In den vergangenen Jahren war das deutsche Mittelfeldzentrum oft eine Schwachstelle, auch wenn die Namen in der Aufstellung prominent waren. Zu oft ließ sich Deutschland über die Mitte auskontern und überlaufen. Das soll sich mit dem erfahrenen Kroos und einem defensivstarken Nebenmann ändern. Vielleicht wäre das sogar die Basis für eine erfolgreiche EM – und würde den Begriff "Querpass-Toni" ein für alle Mal in Vergessenheit geraten lassen.

Verwendete Quellen
  • Pressekonferenz des DFB am 14.03.2024
  • Pressekonferenz des DFB am 19.03.2024
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