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Friedrich Merz: Schafft er den digitalen Durchbruch als Kanzler?


Kanzler Friedrich Merz
Das ist der drittgrößten Volkswirtschaft unwürdig

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

07.05.2025 - 12:17 UhrLesedauer: 5 Min.
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Friedrich Merz (CDU): Der neue Bundeskanzler muss die Digitalisierung vorantreiben. (Quelle: Florian Gaertner/imago)
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Friedrich Merz konnte gestern Kanzler werden, weil die Union ihren Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken anscheinend gekippt hat. Es gibt eine weitere Brandmauer, die fallen muss, meint unsere Kolumnistin Nicole Diekmann.

Es ging dann doch alles ganz schnell: Kaum war Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt worden, ging auch der Instagram-Account mit der Kennung @bundeskanzler an ihn über. Alle Inhalte, die Olaf Scholz beziehungsweise sein Team dort während Scholz' Amtszeit veröffentlicht hatten, wurden gelöscht. Nun finden sich dort die ersten Bilder vom Neuen.

Apropos erste Bilder: meine Güte, was für ein Tag gestern, oder? Ich habe ihn im Bundestag verbracht und das Chaos aus der Nähe verfolgt. Man kann es nicht anders nennen: Chaos. Die offensichtlich sehr siegesgewisse neue Koalition aus Union und SPD hatte ganz offensichtlich nicht eine Sekunde über den nun eingetretenen Fall nachgedacht: dass Merz es nicht im ersten Anlauf schaffen könnte. Dabei brauchte er doch auch für den Parteivorsitz drei Anläufe. Mit blauem Auge davon kommen – das scheint der rote Faden in der zumindest späteren Ära seines politischen Lebens zu sein.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz". Mehr

Hektik brach bei den Beteiligten aus. Stundenlang war völlig unklar, wie es jetzt weitergehen würde. Könnte man schon direkt am Nachmittag einen zweiten Wahlgang anberaumen? Bräuchte man dafür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, oder müssten alle Fraktionen zustimmen? Juristen und Bundestagsverwaltung brüteten über dem Grundgesetz und der Geschäftsordnung des Parlaments. Bis dann klar war: Zweidrittelmehrheit reicht.

Die Grünen hatten schnell signalisiert, dass sie für die Fristverkürzung stimmen würden, also den Weg freimachen würden für einen zweiten Wahlgang noch am Dienstag. Und so kam es zur zweiten Besonderheit, die gestern ein bisschen unterging: zur Zusammenarbeit von SPD und Union mit der Linkspartei, für die in der Union ein Unvereinbarkeitsbeschluss gilt. Und die von Unionsvertretern und -anhängern regelmäßig als quasi SED und/oder Stasi in neuem Gewand bezeichnet wird.

Ganz neue Töne aus der CDU

Als Alternative, und in diesem Falle stimmt diese Bezeichnung tatsächlich, hätte als Mehrheitsbeschafferin aber nur die AfD zur Verfügung gestanden. Zwar hat Merz die berühmte Brandmauer bereits im Januar eingerissen und Mehrheiten mithilfe der AfD gesucht – aber erstens könnte ein Teil des gestrigen Schlamassels mit diesem seinem Manöver zusammenhängen, weil ihm Abgeordnete diesen Tabubruch immer noch übel nehmen. Und zweitens gilt die AfD seit vergangenem Freitag als gesichert rechtsextremistisch.

Und so hörte die erstaunte Öffentlichkeit gestern, wie der neue Unionsfraktions-Chef Jens Spahn die Linke als demokratische Partei bezeichnete und sich dann auch noch bei den angeblichen Stasispitzeln bedankte für deren Bereitschaft, mitzubestimmen. Auch der neue Landesgruppenchef der CSU, Alexander Hoffmann, dankte vor Mikros und Kameras ausdrücklich der Linken. Nun scheint alles möglich.

Im Taumel dieser historischen Ereignisse, dieses Neulands, das gestern (wenn auch unfreiwillig) betreten wurde, möchte ich euphorisch ausrufen: Dann geht ja vielleicht auch endlich ein strategisch abgestimmter, kluger und angstfreier Umgang mit den Social-Media-Plattformen! Denn bei aller Begeisterung für die schnelle Amtsübergabe zwischen Scholz-Insta-Account und Merz-Insta-Account: Das darf es natürlich nicht gewesen sein.

Es war ein reiner Flickenteppich

Es reicht nicht, jetzt tolle Bilder von Merz statt von Scholz auf tollen Staatsbesuchen nebst den obligatorischen Händeschüttel-Fotos mit den Staatschefs zu posten. Kann man alles machen, hab' ich nix gegen, stört mich nicht im täglichen Ablauf. Aber: Es muss mehr kommen, und zwar ganz dringend. Der zwar nirgendwo nachzulesende, wie wir alle wissen aber real existierende Unvereinbarkeitsbeschluss mit ernstzunehmender Digitalpolitik, muss abgeschafft werden. Und zwar sowohl im technischen als auch im gesellschaftspolitischen Sinne.

Es wird nicht ausreichen, wenn der endlich eigens dafür zuständige Minister namens Karsten Wildberger jetzt hoffentlich beherzt dafür sorgt, dass wir nicht mehr für jeden Quatsch völlig überlaufene, unterbesetzte und oft auch im Schnitt untermotivierte Ämter aufsuchen müssen. Sondern dafür sorgt, dass wir digital werden. Es muss Schluss sein mit völlig durchsichtigen und die Intelligenz aller Bürger beleidigenden Manövern wie dem der Ampel: Dort gab es eben kein eigenes Ministerium. Keine Digital-Politik aus einem Guss. Und weil sich niemand richtig verantwortlich fühlte, weil niemand wirklich verantwortlich war, wurde dieser Missstand als Errungenschaft zu verkaufen versucht: Die Kommunen würden jetzt eigenständig Konzepte entwickeln und die dann in der Fläche ausgerollt. So ein Quatsch. So ein Flickenteppich.

Diesem Thema muss sich Merz schnell widmen

Wir müssen den peinlichen Status quo überwinden. Aktuell und ganz neu wird nämlich hierzulande gefeiert, dass wir unseren neuen Personalausweis nach Beantragung auf dem Amt dort nicht auch wieder abholen müssen, sondern ihn uns vom Postboten persönlich zu Hause überreichen lassen können. Das ist doch der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt unwürdig, Leute!

Genauso wichtig aber ist es, dass diese Regierung Ernst macht in Sachen Regulierung. Dass Friedrich Merz eine Aussage aus dem Wahlkampf mit politischer und gesetzgeberischer Handlungskraft unterfüttert: Nachdem X-Besitzer und Trump Berater Elon Musk im Wahlkampf für die AfD geworben hatte, sagte Merz in einem Interview mit dem "Wall Street Journal": "Was in diesem Wahlkampf passiert ist, kann nicht unwidersprochen bleiben." Und fügte auf die Frage, was dies bedeute, hinzu: "Es kann eine politische Antwort sein. Es kann eine rechtliche Antwort sein. Ich will das nach diesem Wahlkampf in Ruhe analysieren."

Nach dem Wahlkampf ist jetzt, und es wäre eine gute Idee, sich auch diesem Thema sehr schnell zu widmen. Und konkret zu formulieren, was das eigentlich bedeuten soll.

Das sind Straftatbestände

Und nein, das hat mit Zensur nichts zu tun. Das wird gern behauptet, aber: Menschen zu beleidigen, zu bedrohen, zu verleumden, ist keine Meinung, sondern ein Gesetzesverstoß. Der Meinungsfreiheit waren in Deutschland immer schon Grenzen gesetzt. In den USA ist das übrigens auch so. Volksverhetzung, üble Nachrede, Verleumdung – das sind Straftatbestände. Man kann so tun, als wisse man das nicht – aber der Staat darf nicht mehr so tun, als wäre das, was im Netz passiert, nicht so wichtig und lediglich eine zu vernachlässigende Besonderheit in einer Parallelwelt, die sich mit der analogen nicht überschneidet. Zumal mithilfe von Algorithmen ja ganz ordentlich geschraubt werden kann an der Reichweite von Inhalten, die solche Straftatbestände erfüllen.

Weiterer wichtiger Punkt: die Nutzung von Social Media von Jugendlichen. Eine Petition, die ein Mindestalter von 16 Jahren dafür vorsieht, hat das Mindestmaß an Zustimmung erreicht. Im Nachbarland Österreich gilt seit dem 1. Mai ein Handyverbot an Schulen bis zur 8. Klasse. Es gibt viele Ausnahmen, und Vorreiter Australien zeigt: Es gibt auch bei einem gültigen Verbot genügend Hintertürchen für die Nutzung der Plattformen – die natürlich von den jungen Leuten genutzt werden. Trotzdem muss man es versuchen. Sollte man. Und zwar schnell.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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