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Klima im Klartext: Das Hochwasser muss Konsequenzen haben – eine Kolumne


Vergessen nach der Katastrophe
Das muss Konsequenzen haben

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 07.06.2024Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Bundeskanzler Olaf Scholz: In diesem Jahr besuchte er bereits viermal Hochwassergebiete in Deutschland.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzler Olaf Scholz: In diesem Jahr besuchte er bereits viermal Hochwassergebiete in Deutschland. (Quelle: Sebastian Willnow/dpa-bilder)

In Überflutungsgebieten sagen Scholz und Söder salbungsvolle Sätze über Klimaschutz. Sobald die Gummistiefel ausgezogen sind, scheinen sie diese wieder zu vergessen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gummistiefelten am Montag durch das Flutgebiet in Bayern. Mit dieser Hochwasserkatastrophe habe niemand rechnen können, sagte Söder vor Ort. Auch wenn er seitdem für diese Aussage zu recht vielfach kritisiert wurde, verrät sie viel Wahres. Mit dem, was in den kommenden Jahren auf uns zukommt, scheinen viele Politikerinnen und Politiker kaum zu rechnen. Dabei könnten und müssten sie es.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
In ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. 2022 wurde sie vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt. Hier geht es zum Autorinnen-Profil.

Denn auch wenn niemand genau voraussagen kann, wo eine Flut wann wie hoch entsteht, so ist doch klar: Extremwetterereignisse wie Starkregen werden durch die steigende Erderhitzung häufiger und heftiger.

Grundsätzlich scheint Söder davon schon mal gehört zu haben, denn er sagte auch: "Hier entstehen Ereignisse, die es vorher nicht gab." Genau. Extremwetterereignisse können künftig jeden treffen, auch wenn das bisher nicht der Fall war. Und je stärker sich die Erde erhitzt, desto wahrscheinlicher wird es. Denn das, was wir heute erleben, ist erst der Anfang.

Sobald die Gummistiefel ausgezogen sind

Die Fluten haben Bayern nicht zum ersten Mal getroffen. Schon 1999, 2002 und 2005 kam es zu katastrophalen Überschwemmungen, auch 2013, 2016 und 2021. Mit Blick auf die zerstörerischen Wassermassen in Reichertshofen, südlich von Ingolstadt, schlussfolgert Söder: "Vor dem Hintergrund müssen wir uns dem Thema Klimaschutz, aber auch Klima-Anpassung, viel stärker widmen in Deutschland."

Doch sobald die Gummistiefel wieder ausgezogen sind, scheint das vergessen. Die sprichwörtliche Hochwasser-Demenz betrifft offenbar nicht nur Bewohnerinnen und Bewohner von Überflutungsregionen, sondern auch die Politik. Kaum sind die Fluten durch, gerät in Vergessenheit – oder wird wieder verdrängt –, wie notwendig Anpassung ist, und vor allem Prävention. Und damit: Klimaschutz.

Video | Erneut Starkregen erwartet – doch zunächst droht Bodenfrost
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Quelle: t-online

Zur Erinnerung: Söder ist Ministerpräsident des größten Flächenlandes in Deutschland, es liegt zumindest in Bayern also durchaus auch in seiner Hand, ob genug passiert oder nicht. Doch statt Klimaschutz konsequent voranzutreiben, blockiert er etwa den Ausbau der Windkraft. Der Freistaat ist Schlusslicht im deutschlandweiten Vergleich. Der Flächenverbrauch in Bayern ist dafür seit Jahren konstant hoch. 2022 wurden dort jeden Tag 12,2 Hektar Freifläche mit Straßen, Industrie- oder Wohngebieten bebaut. Versiegelung und Bebauung tragen dazu bei, dass Regenwasser nicht mehr in den Boden einsickern kann und es bei Starkregen zu Überschwemmungen kommt.

Kann nur ein Appell an sich selbst gewesen sein

Für Olaf Scholz war es bereits der vierte Besuch in einem Hochwassergebiet in Deutschland in diesem Jahr, und wir haben gerade mal Anfang Juni. Die Menschen in Deutschland müssten sich vermehrt auf Naturkatastrophen einstellen, sagte Scholz, besonders auf Hochwasser. Gleichzeitig mahnte er, die "Aufgabe, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten", dürfe nicht vernachlässigt werden. Die Frage ist nur, an wen richtete sich diese Mahnung?

Denn passenderweise kritisierte am selben Tag der Expertenrat für Klimafragen die Klimapolitik der Bundesregierung, also die von Olaf Scholz (!). Der Einschätzung der Experten nach sei die vor ein paar Wochen freudig verkündete Prognose, dass die Bundesregierung ihre Klimaziele bis 2030 einhalten könne, nicht überzeugend. Warum sie mich nicht überzeugte, habe ich damals hier erklärt. Kurz nach der Jubelmeldung hatte schon der Sachverständigenrat für Umweltfragen Wasser in den Wein gekippt und verkündet, dass Deutschland sein CO2-Budget für das 1,5-Grad-Limit bereits aufgebraucht habe. Es kann also nur ein Appell an sich selbst gewesen sein.

Von einem Klimakanzler fehlt jede Spur

Ja, wir bräuchten dringend einen Klimakanzler. Nicht nur wegen der vielen Hochwasser, bei denen Menschen sterben und Milliardenschäden entstehen. Auch wegen Meldungen wie diesen: Die Nordsee war 2023 so warm wie nie zuvor seit Aufzeichnungsbeginn. Kartoffeln sind grade knapp und teuer – die Ursache sind auch hier nicht einfach nur "Wetterkapriolen", sondern: die Klimakrise. (Ähnlich sieht es bei Wein aus, oder bei Olivenöl.)

Der Mai war dem Erdbeobachtungsprogramm der EU, Copernicus, zufolge der zwölfte Monat in Folge, in dem die globale Durchschnittstemperatur einen Rekordwert erreichte. Die menschengemachte Erderwärmung hat so schnell zugenommen wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen, zeigt der Bericht "Indicators of Global Climate Change" (IGCC). Und die Jahresmittelwerte werden in den kommenden Jahren mindestens einmal über der 1,5-Grad-Schwelle liegen, prognostiziert die Weltwetterorganisation (WMO).

Doch trotz all dieser Schreckensmeldungen fehlt von einem Klimakanzler jede Spur. Im Regierungsviertel hungern seit mehr als 90 Tagen Aktivisten, um Olaf Scholz dazu zu bewegen, die Dramatik der Lage wenigstens öffentlich anzuerkennen: "Herr Scholz, sprechen Sie es aus: Wir steuern in die Klimahölle!", stand auf einem Plakat einer der Pressekonferenzen der Gruppe "Hungern bis ihr ehrlich seid".

Der "Highway zur Klimahölle"

Einer der Protestierenden scheint entschlossen, dafür sogar sein Leben zu geben. Und das, obwohl die Aktion strategisch wenig aussichtsreich erscheint und sich fast die gesamte Klimabewegung von der Aktion distanziert. Seit ein paar Tagen ist sein Zustand so kritisch, dass die begleitenden Ärzte die Verantwortung abgegeben haben und er ins Bundeswehrkrankenhaus eingeliefert wurde.

Den Generalsekretär der Vereinten Nationen braucht niemand zu solchen Aussagen zu zwingen. Seit Jahren übertrifft sich António Guterres immer wieder selbst mit Formulierungen, mit denen er den Ernst der Lage beschreibt: "Wir spielen mit unserem Planeten russisches Roulette", sagte er erst diese Woche angesichts der neuen Klimaberichte. "Wir brauchen eine Ausfahrt vom Highway zur Klimahölle". Und er fordert radikale Schritte: die Kohle-, Öl- und Gas-Industrie boykottieren. Werbung für die Branche verbieten, Finanzinstitute dazu nötigen, Gelder besser in erneuerbare Energien zu investieren.

SPD beteiligt sich nicht

Warum das nicht schon seit Jahren passiert und stattdessen die Klimakrise über Subventionen sogar mit Staatsgeldern weiter angeheizt wird, ist mir ein Rätsel. Guterres kann tatsächlich nur appellieren, handeln müssen die nationalen Regierungen.

Auch für die Europawahl wirbt die SPD wieder mit Klimaschutz. "Deine Stimme: Für Alt, Jung und gutes Klima" steht auf einigen Plakaten, an denen ich in Berlin regelmäßig vorbeikomme. Ich finde das eine Frechheit: Im Wahlkampf gibt die SPD vor, sich um Probleme zu kümmern, die laut Umfragen vielen Menschen wichtig sind, während sie in der Regierung so tut, als ginge sie Klimapolitik nichts an.

Alle Arbeit und die Debatten in diesem Bereich überlässt sie in der Ampelregierung seit 2021 den Grünen, auch aus Angst, sich an den gesellschaftlich umkämpften Themen die Finger zu verbrennen. Bei Forderungen der FDP, die dem Klimaschutz schaden, knickt sie regelmäßig ein. Statt Verantwortung zu übernehmen für die – aus wissenschaftlicher Sicht – notwendigen Veränderungen, und sie der Bevölkerung zu erklären, lehnen Scholz und die SPD sich zurück und schauen zu, wie die Klimakrise eskaliert. Bis zum nächsten Hochwasser: Dann gibt es wieder salbungsvolle Worte.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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