"Trickserei" und "nicht vermittelbar" Scheuers Diesel-Kompromiss erntet scharfe Kritik

Nach dem Dieselgipfel der deutschen Autobauer und Verkehrsminister Scheuer findet der erzielte Kompromiss kaum Zuspruch. Umweltschützer rechnen derweil schon mit weiteren Fahrverboten.
Der Kompromiss zwischen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und den deutschen Autoherstellern in der Dieselkrise steht in der Kritik. Die Hersteller hatten zugesagt, Angebote für Besitzer älterer Fahrzeuge zu erweitern. Dazu können auch die von den Herstellern skeptisch beurteilten Hardwarenachrüstungen an Motoren und Abgaseinrichtungen gehören.
Kritik von Grünen, FDP und Verbraucherzentrale
Aus Sicht von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter geht das "Tricksen" ungeniert weiter: "Minister Scheuer und die Konzernbosse wollen den betrogenen Dieselbesitzern Neuwagen andrehen und verweigern ihnen die Nachrüstung um weitere Jahre." Damit seien viele weitere Fahrverbote in Städten mit dreckiger Luft programmiert.
Klaus Müller, Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (vzbv), sagt, die Zusagen einiger Hersteller, die Kosten für Hardwarenachrüstung zu übernehmen, seien längst überfällig gewesen. "Dass jetzt doch jeder Hersteller sein eigenes Süppchen kocht und sogar einige betroffene Dieselbesitzer ganz leer ausgehen, ist nicht vermittelbar." Betroffenen Dieselbesitzern dürften keine Kosten durch Hardwarenachrüstung entstehen.
FDP-Fraktionsvize Michael Theurer begrüßt zwar die nach seinen Worten erzielten "Fortschritte" bei den Zusagen für Hardwarenachrüstungen: "Doch allein mit dieser Maßnahme werden sich kurzfristig Fahrverbote nicht verhindern lassen." Die Bundesregierung müsse sich bei der EU für ein Grenzwert-Moratorium einsetzen, damit die Maßnahmen wirken könnten. Gleichzeitig müsse der Rahmen geschaffen werden, damit Fahrzeuge rechtssicher nachgerüstet werden können und nachgerüstete Autos definitiv von Fahrverboten ausgenommen werden.
ADAC fordert technische Nachrüstung bei allen Herstellern
Aus Sicht von Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer entsteht mit der angepeilten Lösung "noch weniger als ein Flickenteppich". VW und Daimler machten rund 30 Prozent der Dieselfahrzeuge in Deutschland aus, der Rest bliebe unberücksichtigt, sagt Dudenhöffer.
Für den ADAC ist laut Vizepräsident Ulrich Klaus Becker wichtig, "dass für Autofahrer, die sich trotz Umtauschprämien und Rabatten kein neues Auto leisten können, eine technische Nachrüstung weiterhin die Chance bietet, trotz drohender Fahrverbote mobil zu bleiben und den Wertverlust ihrer Dieselautos aufzufangen". Alle Hersteller sollten jetzt solche Angebote machen.
Ein Gericht hat aktuell auch für Köln und Bonn Sperrungen für ältere Diesel angeordnet. In Hamburg gibt es bereits Einschränkungen. Gerichte hatten Fahrverbote ab 2019 auch für Stuttgart, Berlin oder Frankfurt angeordnet. In vielen Städten werden Schadstoffgrenzwerte nicht eingehalten, Dieselabgase gelten als ein Hauptverursacher.
Autokonzerne bevorzugen Tauschangebote
Nach dem mit Scheuer erzielten Kompromiss wollen VW, Daimler und BMW ihre Angebote an betroffene Kunden aufstocken. Die drei Unternehmen hätten fahrzeugbezogen bis zu 3.000 Euro für "Mobilitätslösungen" in den "Intensivstädten" zugesagt, sagt Scheuer.
Die Hersteller hatten bereits höhere Preisnachlässe auf den Weg gebracht, wenn Kunden ihre alten Diesel in Zahlung geben und einen saubereren Wagen kaufen. Diese Regelung gilt für 15 "Intensivstädte" in Deutschland, in denen Schadstoffgrenzwerte vor allem durch Dieselabgase besonders stark überschritten werden. Die "Umtauschprämien" laufen je nach Hersteller bis 2019 und 2020.
Nachrüstungen bei Daimler und VW möglich
Diese Umtauschaktionen sollen weiter im Vordergrund stehen, so Scheuer. Nutzen aber betroffene Dieselbesitzer diese Aktionen nicht, sind weitere Maßnahmen geplant. Demnach sind Volkswagen und Daimler bereit, die dann noch verbliebenen älteren Dieselautos in den "Intensivstädten" für bis zu 3.000 Euro pro Wagen mit Katalysatoren nachrüsten zu lassen. Bisher hatten VW und Daimler angeboten, 2.400 Euro pro Fahrzeug zu zahlen.
Bei Daimler hieß es, die Nachrüstung müsse vom Kraftfahrt-Bundesamt zugelassen werden und nachweislich dazu berechtigen, in bestimmten Städten auch in Straßen mit Fahrverboten einzufahren. VW kündigte an, sich an Hardwarenachrüstungen zu beteiligen, wenn Kunden dies wünschten. Der Konzern werde sie aber nicht anbieten oder empfehlen.
Dieselfahrer sollen "mobil bleiben"
BMW dagegen lehnt Hardwarenachrüstungen weiter ab. Der Konzern will betroffene Dieselbesitzer aber nach Auslaufen der "Umtauschprämien" mit 3.000 Euro unterstützen – etwa für einen Neukauf.
Es wird davon ausgegangen, dass Hardwarenachrüstungen nicht vor 2020 verfügbar sind. Vor diesem Hintergrund sagt VDA-Präsident Bernhard Mattes, die drei deutschen Hersteller würden für die Zeit nach 2020 sicherstellen, dass Kunden mit Euro-5-Diesel-Altfahrzeugen durch herstellerspezifische Angebote "mobil bleiben" könnten.
Merkel: Diesel-Kompromiss "Schritt in richtige Richtung"
Kanzlerin Angela Merkel hält den neuen Diesel-Kompromiss mit der deutschen Autoindustrie einschließlich möglicher Hardwarenachrüstungen für eine gute Zwischenlösung. "Es ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz zur Einschätzung Merkels.
Diese habe die Ergebnisse der Gespräche von Verkehrsminister Scheuer mit den Automanagern zur Kenntnis genommen und begleite den Prozess "weiter konstruktiv". "Die Kanzlerin erwartet, dass die Industrie ihrer Verantwortung nachkommt. ... Sie wird beobachten, wie sich diese ganze Geschichte entwickelt."
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Weitere Fahrverbote in Großstädten wahrscheinlich
Nach den jüngsten Fahrverboten rechnet die Deutsche Umwelthilfe in weiteren Städten in Nordrhein-Westfalen mit ähnlichen Entscheidungen. In der kommenden Woche befasst sich das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit einer Klage zu Essen und Gelsenkirchen.
Das 2017 von der Bundesregierung aufgelegte Sonderprogramm "Saubere Luft" zur Unterstützung von Kommunen mit hohen Schadstoffwerten wird nach einem Medienbericht weiter kaum genutzt. Von der bereitstehenden eine Milliarde Euro sei bisher erst knapp eine Million Euro abgerufen worden, heißt es laut dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion.
- dpa