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EU-Asyleinigung | Grüne gespalten: "Beerdigen ihre humanitären Grundsätze"


Uneinigkeit über EU-Asyleinigung
"Die Grünen beerdigen ihre humanitären Grundsätze"

Von dpa, lw

04.10.2023Lesedauer: 4 Min.
imago images 0302841732Vergrößern des BildesAnnalena Baerbock (Grüne) und Nancy Faeser (SPD): Sie sind zufrieden mit der Einigung – doch es gibt Gegenwind. (Quelle: IMAGO/Frederic Kern/Geisler-Fotopress/imago-images-bilder)
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Nach der Einigung bei der europäischen Asylreform brodelt es bei den Grünen: Während Baerbock Zufriedenheit äußert, sprechen Parteikollegen von einer "Chaosverordnung".

Bei der europäischen Einigung auf einen weiteren wichtigen Bestandteil der geplanten EU-Asylreform sieht Bundesinnenministerin Nancy Faeser deutsche "Vorstellungen von Menschlichkeit und Ordnung" verwirklicht. Auf deutsche Initiative seien wichtige Änderungen umgesetzt worden, erklärte die SPD-Politikerin am Mittwoch in Berlin.

"Es gibt keine Herabsetzung von humanitären Standards bei der Aufnahme in Krisensituationen", führte Faeser aus. Eine lückenlose Registrierung aller ankommenden Menschen müsse immer sichergestellt sein. "Und: Die Regelungen, die die Krisenverordnung vorsieht, können nur durch einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten im Rat und nicht etwa durch einzelne Mitgliedstaaten aktiviert werden. Damit sind die Hürden hoch", so Faeser. Es brauche eine deutliche Begrenzung der irregulären Migration und eine Entlastung der Kommunen.

Die sogenannte Krisenverordnung ist ein zentrales Element der geplanten EU-Asylreform. Über sie könnte etwa bei einem besonders starken Anstieg der Migration der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt. Grundsätzlich sehen die Pläne für die EU-Asylreform zahlreiche Ergänzungen und Verschärfungen vor, um unerwünschte Migration zu begrenzen. Hier lesen Sie mehr zu den Beschlüssen.

Bundesregierung blockierte Einigung lange

Dass über die Pläne für den Krisenmechanismus wochenlang keine Einigung erzielt werden konnte, hatte insbesondere an humanitären Bedenken der Bundesregierung gelegen. Nachdem der Druck von Partnerländern gestiegen war, gab Berlin vergangene Woche den Widerstand gegen kleinere Zugeständnisse auf, hatte aber nur noch wenige Verbesserungen durchsetzen können. Zuletzt sperrte sich dann noch Italien, das nun aber ebenfalls im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten einem Kompromiss zustimmte.

"Das gemeinsame europäische Asylsystem muss auch in Krisenzeiten funktionieren, damit es nicht mehr zu Rechtlosigkeit und Chaos an den Außengrenzen kommt", sagte Innenministerin Faeser. Dazu diene die Krisenverordnung.

Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnet die Einigung der EU-Staaten als "gute Nachricht". "Die Reform wird irreguläre Migration in Europa wirksam begrenzen und Staaten wie Deutschland dauerhaft entlasten", schrieb der SPD-Politiker auf der Plattform X. Scholz sprach von einem "historischen Wendepunkt".

"Vorschläge zu Humanität und Ordnung"

Mit dem Kompromiss zeigte sich auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zufrieden. Dieser berücksichtige die Vorschläge Deutschlands für "Vorschläge zu Humanität und Ordnung", schrieb sie auf X – fast wortgleich zur Kabinettskollegin Faeser.

"Wir haben erreicht, dass humanitäre Mindeststandards wie der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung in der Krise nicht aufgeweicht werden. Denn ohne Humanität in der Krise gibt es auch keine Ordnung", so Baerbock. Mit der Einigung sei demnach sichergestellt, dass die Krisenverordnung "nur in sehr stichhaltig begründeten Fällen" zum Einsatz komme, fügte Baerbock hinzu. Denn der Asylkompromiss dürfe "nicht durch die Hintertür der Krisenverordnung ausgehöhlt werden wie ein Schweizer Käse". Nun könnten die Verhandlungen über das Gesetzespaket zügig weitergehen.

"Die Grünen beerdigen ihre humanitären Grundsätze"

Gegenwind bekam Baerbock jedoch aus ihrer eigenen Partei: "Die Grünen beerdigen ihre humanitären Grundsätze", heißt es in einem Schreiben der parteiinternen "Bundesarbeitsgemeinschaft Migration & Flucht", das dem "Spiegel" vorliegt.

Svenja Borgschulte und Markus Schopp, Leiter der Bundesarbeitsgemeinschaft, schlagen darin einen bemerkenswert scharfen Ton an, heißt es in dem Bericht. Sie seien "entsetzt über den Kurs der Parteispitze in der aktuellen Asyldebatte", schreiben sie und werfen ihren Führungsleuten "Ignoranz" vor. Die Bundesarbeitsgemeinschaft sieht sich als innerparteilicher Thinktank zu migrations-, integrations- und flüchtlingspolitischen Themen.

Borgschulte und Schopp warnen ihre Spitzenleute vor einer Austrittswelle: "An der Basis brodelt die Stimmung", schreiben sie, "und uns kontaktieren viele Mitglieder, die entweder ungläubig sind über den Kurs unserer Parteispitze oder frustriert überlegen, das Handtuch zu werfen und auszutreten".

"Historisch beispiellose Verschärfung"

Im Mittelpunkt der Kritik steht die Zustimmung der Grünen zur geplanten Reform des "Gemeinsamen Europäischen Asylsystems" – kurz: Geas. "Die aktuell auf EU-Ebene unter Geas diskutierten Rechtstexte sehen eine historisch beispiellose Verschärfung des in der EU geltenden Asylrechts vor", heißt es in dem Basis-Papier. Die Arbeitsgemeinschaft befürchtet, dass damit Schutzsuchende aus Syrien oder Afghanistan in geschlossenen Lagern an den EU-Außengrenzen "eingesperrt und ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe in Drittstaaten außerhalb der EU abgeschoben werden" können.

Auch wenn keine Namen genannt werden, ist klar, gegen wen sich die Kritik richtet: das informelle Führungsteam der Grünen, die sogenannte Sechserrunde, berichtete "Spiegel". Sie besteht neben den beiden Regierungsmitgliedern Robert Habeck und Annalena Baerbock aus den Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie den Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann.

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"Chaosverordnung"

Die Grüne Jugend kritisierte die Einigung ebenfalls heftig. Die aktuelle Verständigung sei "Wasser auf die Mühlen rechter Regierungen in Europa", sagte der Co-Chef der Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Trotz Änderungen an der Krisenverordnung verschlechtert sich die humanitäre Lage für Geflüchtete weiter."

"Ich halte die deutsche Zustimmung zu dieser Chaosverordnung für falsch. Das individuelle Asylrecht wird so in ganz Europa weiter infrage gestellt", erklärte Dzienus. Menschen, die vor Krieg und Gewalt flöhen, könnten in unwürdigen Außengrenzverfahren landen oder würden einfach durchgewunken. "So wird noch mehr Leid und Chaos an den europäischen Außengrenzen geschaffen." Er lastete die Zustimmung vor allem Kanzler Scholz an.

Die seit der Flüchtlingskrise 2015 umkämpfte Asylreform soll bis zur Europawahl im Juni 2024 stehen. Dafür müssen sich die EU-Länder allerdings noch mit dem Europaparlament auf das Gesetzespaket einigen, was ebenfalls als vertrackt gilt.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Vorabmeldung des "Spiegel" vom 4. Oktober 2023
  • twitter.com: Profil von @ABaerbock
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