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Serbien-Kosovo-Konflikt: Ausschreitungen "für Russland ein Geschenk"


Alter Konflikt flammt wieder auf
"Für Russland ist diese Eskalation ein Geschenk"

InterviewVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 04.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Nato-Soldaten der FKOR-Schutztruppe und serbische Kosovaren: Die internationalen Sicherheitskräfte erlitten Knochenbrüche und Verbrennungen.Vergrößern des Bildes
Nato-Soldaten der KFOR-Schutztruppe und serbische Kosovaren: Internationale Sicherheitskräfte erlitten Knochenbrüche und Verbrennungen. (Quelle: LAURA HASANI)

Im Norden Kosovos ist die Gewalt eskaliert. Balkan-Experte Oliver Jens Schmitt sagt: Diese Ausschreitungen wurden vom Nachbarland Serbien aus gesteuert.

Eskaliert die Lage im Kosovo? Seit einigen Tagen kommt es zu massiven Ausschreitungen im nördlichen Teil des Landes. Besonders am Montag eskalierte die Lage: Serbischstämmige Kosovaren und Nato-Soldaten der KFOR-Schutztruppen, die in dem Land für Stabilitär sorgen sollen, lieferten sich eine Straßenschlacht. 30 Soldaten und etwa 50 Serben wurden verletzt.

Hintergrund war eine Wahl: In der serbisch geprägten Stadt Zvečan und zwei umliegenden Gemeinden zogen albanisch-stämmige Kosovaren in die Rathäuser ein – die serbische Bevölkerung hatte die Abstimmungen boykottiert. Als der neue Bürgermeister von Zvečan dann unter Polizeischutz in die Stadt gebracht wurde, eskalierte die Lage.

Der wissenschaftliche Direktor des Forschungsbereichs Balkanforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Oliver Jens Schmitt, sagt: Diese Ausschreitungen wurden vom Nachbarland Serbien aus gesteuert. Wieso, wie es weitergehen könnte und was die EU nun tun muss, erklärt Schmitt im Interview.

t-online: Herr Schmitt, die Lage im Nordkosovo ist seit Monaten extrem angespannt, dann kamen die Bürgermeisterwahlen. Waren diese Ausschreitungen nicht absehbar?

Oliver Jens Schmitt: Ja, vor allem mit Blick auf die innenpolitische Lage in Serbien. In den vergangenen Wochen gab es Massendemonstrationen, die vergleichbar sind mit denen, die vor mehr als 20 Jahren zum Sturz des damaligen Präsidenten Slobodan Milošević geführt haben. Serbiens Präsident Alexander Vučić steht also massiv unter Druck. Die aktuellen Vorkommnisse im Kosovo sind ein politisches Geschenk an ihn. Er kann nun sagen: Unsere Landsleute sind in Gefahr, wir müssen jetzt die Reihen schließen. Insofern hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt, die Armee martialisch an der Grenze aufmarschieren lassen und seine Schläger gegen die KFOR-Truppen eingesetzt.

… seine Schläger?

Das sind oftmals keine Menschen aus der Zivilbevölkerung, sondern bekannte nationale Aktivisten. Und es ist bekannt, dass Vučićs Regierung Parallelstrukturen in den serbisch geprägten Gebieten des Kosovos unterhält. Es würde da also sicher nicht zu solch massiven Ausschreitungen kommen, wenn Belgrad das nicht will.

Video | Ausschreitungen im Kosovo eskalieren
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Quelle: reuters

Frankreich sieht vor allem die kosovarische Regierung in der Verantwortung, und auch die Schutzmacht USA hat deutliche Worte gefunden und den Ministerpräsidenten Albin Kurti zur Ordnung gerufen.

Kurti ist nur konsequent – und aus seiner Sicht handelt er nur folgerichtig. Er hat die Wahlen abhalten lassen, die serbische Bevölkerung hat sich nicht beteiligt, dafür aber die winzige Minderheit der albanischen Bürger in diesen Gebieten. Das ist freilich ein legalistischer Standpunkt.

Auch wenn die Wahlen demokratisch abgehalten wurden: Kurti ließ die Bürgermeister mit Polizei in die Gebiete eskortieren. Deeskalierend ist das nicht gerade.

Kurti ist mit dem Versprechen gewählt worden, den Rechtsstaat durchzusetzen. Er unterscheidet sich in der Beziehung von seinen Vorgängern. Für ihn ist das eine Prinzipienfrage.

(Quelle: Jutta Benzenberg/Universität Wien)

Zur Person

Oliver Jens Schmitt ist wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs Balkanforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er lehrt zudem als Professort am Insitut für Osteuropäische Geschichte der Universtität Wien.

Mit der er aber nun Frankreich und die USA gegen sich aufgebracht hat.

Problematisch für Kurti ist sicher, dass er jetzt als erster kosovarischer Premierminister einen Konflikt mit den USA riskiert, der Schutzmacht des Landes. Das kann ihn durchaus innenpolitisch schwächen, auch wenn die Opposition derzeit wenig sichtbar ist. Frankreich ist in der Frage weniger relevant: Seine Regierungen haben sich nicht sehr engagiert im Westbalkan, sind den Kosovo-Albanern immer zurückhaltend gegenüber aufgetreten. Ich finde es bemerkenswert, dass die USA und Frankreich nun die Schuld relativ einseitig dem Kosovo zuschieben und Serbien kaum kritisieren.

Was meinen Sie, weshalb das so ist?

Das ist eine konsequente Fortsetzung der Politik der vergangenen Jahrzehnte. Die Amerikaner, aber auch die deutsche Regierung unter Angela Merkel, setzen seit Jahren auf Vučić und seine "Stabilokratie". Man denkt offenbar: Lieber ein autoritärer Herrscher, der paktfähig ist, als ein demokratischer Politiker, mit dem man vielleicht nicht so gut auskommt. Vor allem mit Blick auf die Kosovo-Frage ist das entscheidend. Bei so heiklen Fragen findet man besser eine Lösung mit autoritär regierenden Politikern als mit gemäßigten Kräften, die danach innenpolitisch massiv unter Druck geraten. Diese Doktrin gilt für Vučić schon seit vielen Jahren. Dabei hat er nie geliefert, nur immer mit der Hoffnung der EU gespielt.

Eine solche Hoffnung gab es auch im Frühjahr, als sich Serbien und der Kosovo unter Federführung der EU auf ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen geeinigt haben. Was ist seitdem schiefgelaufen?

Die Frage ist ja: Wie aufrichtig sind beide Seiten an einer Lösung interessiert? Kurti sieht etwa das Vorhaben skeptisch, dass die serbischen Gebiete autonomer werden sollen, auch wenn das kosovarische Parlament dies eigentlich schon verabschiedet hat. Er will verhindern, dass ein Staat im Staat entsteht. Und für Serbien ist der Kosovo ein politisches Druckmittel gegenüber dem Westen. Gibt Vučić das aus der Hand, verliert er an Bedeutung. Die EU wäre besser beraten, tatsächlich Druck auf Serbien auszuüben, denn auch sie hat Druckmittel in der Hand.

Zum Beispiel?

Es würde schon reichen, damit zu drohen, die Visa-Liberalisierung für Serbien zurückzunehmen. Das hätte katastrophale Folgen für Vučić. Viele seiner Landsleute leben im Ausland und sind darauf angewiesen, immer hin und her zu fahren – und sehen das als selbstverständlich an. Ein weiterer Hebel wäre die Wirtschaft, Serbien ist weitgehend von der EU abhängig. Denn man muss sich vor Augen führen: Die serbische Regierung unter Vučić hetzt massiv gegen den Westen. Die Medien sind voller Desinformation und russischer Propaganda.

Serbien pflegt enge Beziehungen zu Russland, auch ideologisch stehen sich beide Staaten nah. Spielt der Kreml eine Rolle in der derzeitigen Situation?

Für Russland ist diese Eskalation ein Geschenk. Der Kreml ist daran interessiert, möglichst viele Fronten gegen die EU zu öffnen. Und Serbien spielt mit. Vučić hält die Konflikte auf dem Balkan am Schwelen, nicht nur im Kosovo, sondern auch in Bosnien und Herzegowina. Der Westen wäre also gut beraten, dieses System unvoreingenommen zu bewerten und zu überlegen, wen man da an der Macht hält, in der vagen Hoffnung, den Kosovo-Konflikt zu lösen – was aber in all den Jahren nicht geschehen ist. Denn es ist doch so: Der Westen unterstützt einen autoritären Herrscher mit guten Beziehungen zu Russland und China, der immer wieder den Westen provoziert. Das nimmt man offenbar als Kollateralschaden in Kauf, in der Hoffnung, dass dieser Mann fähiger ist als andere politische Kräfte in Serbien. Diese Politik aber blockiert jede Form der Demokratisierung und schwächt all jene Menschen, die in Serbien einen demokratischen Wandel wollen. Diese Serbien-Politik des Westens ist verfehlt.

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Laut Beobachtern ist die Lage derzeit im Kosovo so brenzlig wie seit Jahren nicht mehr. Wird es weiter eskalieren?

Vučić weiß genau, wo die Grenzen liegen. Gesteuerte Demonstranten, die KFOR-Polizisten verletzen, ist offenbar noch eine Ebene, auf der die EU nicht willens ist, stärker zu reagieren. Alles, was darüber hinausgeht, also etwa serbische Soldaten, die kosovarischen Boden betreten, würde eine Eskalation einleiten. Die USA hat Truppen im Kosovo, die würden das nicht dulden. Und eine solche Auseinandersetzung kann Serbien nur verlieren.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Oliver Jens Schmitt am 1. Juni
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