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Wahlen in der Türkei: Warum die Wahl für Erdogan gefährlich werden könnte!


Vor den Wahlen in der Türkei
"Reden des Präsidenten dienen lediglich der Spaltung"

MeinungEin Gastbeitrag von Meşale Tolu

Aktualisiert am 29.03.2019Lesedauer: 4 Min.
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: Die bevorstehenden Wahlen in der Türkei sind die letzten bis zum Jahr 2023.Vergrößern des Bildes
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: Die bevorstehenden Wahlen in der Türkei sind die letzten bis zum Jahr 2023. (Quelle: Umit Bektas/Reuters-bilder)

Erneut stehen in der Türkei Wahlen vor der Tür – die vorerst letzten bis zum Jahr 2023. In den Kommunalwahlen geht es um die großen und die kleinen Städte und darum, wer dort das Sagen hat. Kann sich Erdoğans AKP auch dort durchsetzen? Die Journalistin Meşale Tolu sieht Chancen für die Opposition. In diesem Gastbeitrag für t-online.de erklärt sie, warum die Wahlen dem Präsidenten gefährlich werden könnten – trotz der Repressalien und des feindlichen politischen Klimas.

Meşale Tolucoremedia:///cap/blob/content/85471718#data, geboren 1984, ist Journalistin. In Folge des gescheiterten Putsches in der Türkei wurden sie und ihr kleiner Sohn 2017 als politische Gefangene für fast acht Monate inhaftiert. Auch ihr Mann wurde verhaftet. Weitere Monate durften sie das Land nicht verlassen. Noch immer kämpft sie für ihren Freispruch – und schreibt über die Politik in der Türkei. Am 23. April erscheint ihr neues Buch: "Mein Sohn bleibt bei mir!" – Als politische Geisel in türkischer Haft – und warum es noch nicht zu Ende ist.

Am Sonntag finden in der Türkei Wahlen statt. Nach den entscheidenden Parlaments- und Präsidialwahlen mögen sie für manche nicht allzu relevant erscheinen, da es sich schließlich nur um Kommunalwahlen handelt. Aber, wenn man bedenkt, welche Möglichkeiten damit zusammenhängen, lässt sich erahnen, warum der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan persönlich den Wahlkampf anführt.

Zum einen sind diese Kommunalwahlen auf der politischen Agenda der Türkei erst mal die letzten bis 2023. Erst dann sind wieder Parlaments- und Präsidialwahlen vorgesehen. Die Ergebnisse dieser Wahlen werden also die nächsten vier Jahre lang den Parteien als Barometer dienen.

Zum anderen konkurrieren die Parteien um die wichtigsten Großstädte wie Istanbul, Ankara und Izmir, deren Übernahme durch die Opposition die Regierungspartei AKP in Not versetzen würde. Die Zahlen der letzten Umfragen zeigen, dass es zwischen den Kandidaten der nationalistisch-kemalistischen Oppositionspartei CHP und der AKP zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen kann und die HDP-Wählerschaft in den Großstädten eine Schlüsselrolle spielen wird.

HDP will andere Kandidaten unterstützen

Anders als in den vorherigen Wahlen zog es die Oppositionspartei HDP diesmal vor, in sieben Großstädten keine eigenen Bürgermeisterkandidaten zu stellen, sondern zur Wahl der Oppositionskandidaten aufzurufen. Somit scheint das erste Mal, nach dem Referendum zum Präsidialsystem, eine geeinte Opposition dem Regierungslager gegenüber zu stehen.

Erinnern wir uns an die letzten Ergebnisse: Die "Volksallianz" (AKP und MHP) erhielt bei den letzten Wahlen 51 Prozent der Stimmen. Das "Bündnis der Nation", gebildet durch die Oppositionspartei CHP und die IYI-Parti, erhielt 35 Prozent. Die HDP erhielt 12,5 Prozent trotz enormer Repressionen und Festnahmen. Wenn man davon ausgeht, dass die CHP ihre Stimmen erhöht und die HDP-Wählerschaft in den westlichen Großstädten ihre Stimmen dem "Bündnis der Nation"-Kandidaten geben, kann es für die AKP durchaus knapp werden.

Bei einer möglichen Niederlage in den Großstädten ist nicht auszuschließen, dass die AKP Neuwahlen ansetzt. Das tat sie bereits im Juni 2015, als sie die absolute Mehrheit im Parlament verlor und sich weigerte eine Koalition einzugehen. Anschließend ging die Wählerschaft im November 2015 erneut in die Wahllokale und "besserte" das Ergebnis aus – sodass Erdoğan und die AKP erneut die Mehrheit im Parlament erlangten.

Anders als in den westlichen Großstädten der Türkei hofft die HDP in 93 Städten im Südosten des Landes wieder alle Bürgermeisterposten zurückzugewinnen, die per Präsidentendekret durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt wurden. Die Chancen hierfür sind hoch. Auch Erdoğan befürchtet einen solchen Ausgang – weshalb er bereits im vorhinein drohte: "Sollten die Bürgermeister, die mit dem Terror verbunden sind, gewählt werden, dann werden wir sofort handeln und wieder Zwangsverwalter einsetzen!"

Und nicht nur die HDP muss sich dieser feindlichen Rhetorik unterziehen. Auch die CHP und IYI-Parti werden als "Verräterallianz" und "Terrorismusunterstützer" bezeichnet. Nicht zuletzt deswegen, weil die Kandidaten der CHP in Ankara (Mansur Yavaş), in Istanbul (Ekrem Imamoğlu) und in Izmir (Tunç Soyer), zu ernsthaften Konkurrenten der AKP geworden sind.

Die letzte Chance der CHP

Vielleicht muss diese Kommunalwahl auch als die letzte Chance der CHP gesehen werden, wieder als politisch einflussreicher Akteur ernst genommen zu werden. Die Wählerschaft der CHP ist nach den vielzähligen Niederlagen enttäuscht und benötigt Erfolge, um die Loyalität an die Partei nicht zu verlieren. Daher ist diese geeinte Wahlstrategie auch eine Gelegenheit für die CHP und den Parteivorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu, wieder Vertrauen zu gewinnen und sich zu stärken.

Es ist bekannt, dass sich die Türkei in einer wirtschaftlichen Notlage befindet. Der Fall in die Rezession, die hohe Inflationsrate und Arbeitslosigkeit sorgen in der Bevölkerung für Unzufriedenheit, was die Sache für die Parteien noch einmal schwieriger macht.

Während die Oppositionsparteien die Krise benennen und in ihren Wahlprogrammen eine Verbesserung der Wirtschaft versprechen, versucht die Regierungspartei AKP mit allen staatlichen Mitteln ihre Wählerschaft von den Folgen dieser wirtschaftlichen Krise unberührt zu lassen. Denn eine weitere Unzufriedenheit innerhalb der eigenen Kreise wollen sie nicht riskieren. Die Schuld der wirtschaftlichen Krise auf "spekulative Angriffe von draußen" zu schieben, scheint für Erdoğans Schwiegersohn – Wirtschaftsminister Berat Albrayrak – als Erklärung zu genügen, um die AKP-Wähler zufrieden zu stellen.

Rhetorik wird immer aggressiver

Die Umfragen vor den Wahlen zeigen aber dennoch, dass vor allem wirtschaftliche Bedenken die Bevölkerung grübeln lässt: Viele geben an, dass diese Faktoren ihr Stimmverhalten vermutlich beeinflussen werden. Auch wenn das wünschenswert wäre – man sollte sich nicht allzu große Hoffnungen machen.

Es ist kein Geheimnis, dass inzwischen alle Oppositionsparteien in der Türkei mit den Einschränkungen und Repressionen des Staates zu kämpfen haben. Umso näher die Wahlen rücken, desto aggressiver wird die Rhetorik der AKP. Insbesondere die Reden des Präsidenten Erdoğan und des Innenministers Süleyman Soylu sind von einer friedlichen Streitkultur entbehrt und dienen lediglich der Spaltung und Verfeindung der Bevölkerung. Die Thematisierung der Christchurch-Anschläge und die Instrumentalisierung des Islams auf Wahlveranstaltungen sind nur zwei von vielen Beispielen, die den persönlich geführten Wahlkampf Erdoğans charakterisieren.


Während die Regierungspartei von allen staatlichen Mitteln Gebrauch macht, reichen die finanziellen und medialen Möglichkeiten aller Oppositionsparteien zusammen nicht aus, um sich ihr auch nur ansatzweise zu nähern. In den größtenteils übernommenen und auf regierungstreue Linie gebrachten Fernsehsendern findet fast ausschließlich Wahlpropaganda für die AKP statt. Laut Angabe der Türkischen Aufsichtsbehörde für Radio und Fernsehen sind die Sendezeiten über Parteien vor den Kommunalwahlen wie folgt: "Bündnis Volksallianz" (AKP, MHP) 53 Stunden, "Bündnis der Nation" (CHP, IYI-Parti) sechs Stunden, HDP sieben Minuten, Saadet Partisi zwei Minuten.

Wie die Parteien trotz dieser Umstände und des politisch-aggressiven Klimas abschneiden werden, ob die wirtschaftliche Krise für das Stimmverhalten ausschlaggebend sein wird, werden wir nächste Woche sehen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung der Autorin wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.

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