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Mehr Infektionen, mehr Tote: Spanien droht der Corona-Kollaps


Mehr Infektionen, mehr Tote
Spanien droht der Corona-Kollaps

Von Patrick Diekmann

23.09.2020Lesedauer: 5 Min.
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Barcelona: Assistenzärzte mit Mundschutz nehmen an einem Protest teil am zweiten Tag eines Streiks für bessere Arbeitsbedingungen. Während die Zahl der Covid-19-Infizierten im Land wieder ansteigt, fordern junge Ärzte unter anderem ein höheres Einkommen.Vergrößern des Bildes
Barcelona: Assistenzärzte mit Mundschutz nehmen an einem Protest teil am zweiten Tag eines Streiks für bessere Arbeitsbedingungen. Während die Zahl der Covid-19-Infizierten im Land wieder ansteigt, fordern junge Ärzte unter anderem ein höheres Einkommen. (Quelle: dpa-bilder)

Die Zahl der Corona-Infektionen in Spanien explodiert. Es gibt mehr Todesopfer, die Kliniken schlagen Alarm. Und durch die Einschränkungen zerfällt auch noch die Wirtschaft des Landes.

Es sind Zustände, wie sie in Deutschland kaum vorstellbar sind. Menschen dürfen ihre Wohnbezirke nicht verlassen, es herrscht strikte Maskenpflicht, Krankenhäusern gehen die Betten aus und die Wirtschaft bricht um knapp 18 Prozent ein.

Die Lage in Spanien hat sich im letzten Monat deutlich zugespitzt. In keinem anderen Land in Europa gab es mehr Corona-Infektionen – die Johns Hopkins University zählt aktuell über 680.000 Erkrankungen bei knapp 31.000 Menschen, die mit einer Covid-19-Erkrankung gestorben sind (Stand: 23. September 13 Uhr). Seit Anfang August sind demnach in Spanien knapp 2.500 mit dem Coronavirus infizierte Menschen gestorben.

Doch damit nicht genug: Seit August ist in Spanien die Zahl der Neuinfektionen explodiert, akut sind momentan über 500.000 Menschen infiziert – auch das ist trauriger Rekord in Europa. Für ganz Spanien registrierte das Gesundheitsministerium am Dienstag 10.799 Neuinfektionen im Laufe der vergangenen 24 Stunden. Zur Einordnung: In Deutschland waren es 1.769.

Wut, Hilflosigkeit und Angst

Angesichts der dramatischen Lage herrscht in der Bevölkerung eine Mischung aus Wut, Hilflosigkeit und Angst. Im Frühjahr gab es in dem Land die strengsten Ausgangssperren in Europa, die Menschen halten sich größtenteils an die Abstandsregeln und immer noch gibt es landesweit eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Trotzdem kam die Pandemie zurück, viel früher als erwartet.

Schuld daran hat auch die Politik, denn zum Sommerstart wurden die Auflagen schnell aufgehoben, um der Tourismusindustrie als wichtiges wirtschaftliches Standbein nicht noch mehr zu schaden. Das Beispiel Spanien zeigt: Zu schnelle Lockerungen – mit Rücksicht auf die Wirtschaft – führen dazu, dass umso strengere Corona-Maßnahmen eingeführt werden müssen. Und darunter leidet die Wirtschaft umso mehr.

Beängstigende Lage in Madrid

Besonders beängstigend ist die Lage in Madrid. Hier ist die Situation nicht allein auf politisches Versagen zurückzuführen. Eine Vielzahl von unterschiedlichen Faktoren kommt in der spanischen Hauptstadt zusammen.

Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso warnte am Dienstag angesichts der hohen Anzahl von Neuinfektionen vor einem Lockdown der gesamten Hauptstadtregion. Bereits seit Montag sind Wohngebiete mit insgesamt 850.000 Einwohnern teilweise abgesperrt. Die Bewohner dürfen sie nur verlassen, um etwa zur Arbeit, zur Schule oder zum Arzt zu gehen. "Es macht keinen Sinn, Beschränkungen in einigen Vierteln anzuordnen und in anderen nicht", sagte Ayuso spanischen Medien zufolge. Sie schloss nicht aus, dass womöglich auch die ganze Hauptstadtregion mit insgesamt 6,6 Millionen Einwohnern betroffen werden könnte.

Das wäre eine weitere Verschärfung der Lage. Tatsächlich liegt die Zahl der Neuinfektionen nach Informationen vom Dienstag bereits in 16 weiteren Stadtgebieten ebenso wie in den bereits teilweise abgeriegelten Gegenden bei über 1.000 je 100.000 Einwohnern binnen 14 Tagen. Zur Einordnung: In Deutschland liegt dieser Wert derzeit bei 13,5 auf sieben Tage gerechnet. Die Vergleichszahl zu Madrid wäre also rein rechnerisch 27 zu über 1.000.

Nur wenige "Corona-Detektive"

Besonders betroffen ist der Stadtbezirk Uzera. Dort lebt ein vergleichsweise armer Teil der Madrider Bevölkerung – ein Problem für die Eindämmung der Pandemie. Denn die Menschen halten sich oft mit illegalen Gelegenheitsjobs über Wasser. Sie müssen arbeiten gehen, um ein Einkommen zu haben. Quarantäneregeln werden nicht immer beachtet.

Aber eine Quarantäne ist für viele Menschen dort auch nur schwer einzuhalten. Viele Wohnungen sind sehr klein, Familien wohnen auf engem Raum. Eine Isolation ist kaum möglich. Wenn jemand an Corona erkrankt, versagen zudem oft die Behörden.

Auch in Spanien sollten sogenannte "Corona-Detektive" Infektionsketten rekonstruieren, um das Virus einzudämmen. Doch das funktioniert in Madrid nicht gut. "Die Region hat von Anfang an nicht genügend Leute dafür eingestellt, am Anfang waren es nur ein Dutzend, jetzt haben wir vielleicht 200", erklärte Julián Ordónez von der Gewerkschaft UGT dem Fernsehsender arte. "Dafür wären eigentlich 1.600 bis 2.000 Personen notwendig. Aber wir sind mittlerweile an einem Punkt, an dem es zu spät ist." Die Ansteckungsrate und die Dunkelziffer seien zu hoch.

Krankenhäuser von zweiter Welle getroffen

Die Krankenhäuser der spanischen Hauptstadt ächzen, die zweite Welle ist auch hier längst angekommen. Laut der Zeitung "El Confidencial" ist das Universitätsklinikum das Krankenhaus, in dem aktuell die meisten Covid-19-Patienten in Spanien behandelt werden – 287 Patienten seien es aktuell. Die allgemeinen Intensivstationen und die Intensivstation für Patienten mit Herzerkrankung seien vollständig mit Covid-19-Patienten belegt.

Patienten mit anderen Erkrankungen müssen in Reanimationsräume ausweichen, die Kapazitätsgrenzen sind erreicht, mehr als die Hälfte der Intensivbetten in der gesamten Region Madrid sind bereits belegt. Spanische Journalisten wie Manuel Ángel Méndez schreiben auf Twitter über die Lage des Gesundheitssystems, es sei eine "Definition des Zusammenbruchs".

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"Seit Anfang August verzeichnen wir einen starken Zuwachs an Patienten, die mit einer Corona-Infektion eingeliefert werden", sagte Soledad Alonson, Pneumologin in dem Madrider Krankenhaus Torrejon, dem Sender arte. "Wir hatten eine zweite Welle im Herbst erwartet, nicht im August."

Das medizinische Personal in Spanien vermisst vor allem Klarheit und Vorbereitung durch die Behörden, auch Ärzte und Pfleger demonstrierten vor wenigen Tagen in Madrid gegen die Corona-Politik der Regierung. Grund: Zu wenig Personal, zu geringe Löhne und allgemein ein zu geringes Gesamtbudget.

Protest gegen die Corona-Politik der Regierung

Die Corona-Maßnahmen der Regierung stehen allerdings momentan gleich von mehreren Seiten unter Beschuss. Tausende Menschen demonstrierten am Sonntag in Madrid gegen die Abriegelung mehrerer einkommensschwacher Gebiete. Die Maßnahmen seien ungerecht und diskriminierend, hieß es auf Großkundgebungen.

Die Menschen trugen Plakate mit Aufschriften wie "Unsere Stadtteile sind keine Ghettos", "Mehr Ärzte, mehr Kontaktnachverfolger – keine Ausgrenzung" oder "Ihr habt uns im Stich gelassen und nun sperrt ihr uns ein". Sie forderten außerdem den Rücktritt der Regionalpräsidentin Ayuso: "Ayuso, Du bist das Virus".

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Die Maßnahmen, so die Position vieler Kritiker, seien zwar richtig gewesen – aber zu spät gekommen. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen um ihre wirtschaftliche Existenz bangen. Durch die Kontaktbeschränkungen ist es vor allem für kleine Geschäfte und das Gastgewerbe nicht rentabel zu öffnen. "Die wirtschaftlichen Folgen machen mir mehr Angst als das Virus selbst", sagte Rodrigo Avelle im ZDF. "Besonders für kleine Läden und kleine Geschäfte wird es immer schlimmer."

Mahnendes Beispiel für Deutschland

Die wirtschaftlichen Konsequenzen für das gesamte Land sind schon seit Beginn der Pandemie im Frühjahr deutlich sichtbar. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel von April bis Juni um 17,8 Prozent zum Vorquartal, wie das Statistikamt am Mittwoch mitteilte – das ist ein Rekordeinbruch. Zur Einordnung: Die deutsche Wirtschaft schrumpfte nur um 9,7 Prozent.

Letztlich zeigt das Beispiel Spanien, dass es nicht lediglich auf die Strenge oder die Anzahl der Corona-Maßnahmen ankommt. Die Politik trug zu den jetzigen Zuständen bei, weil sie zunächst zu spät reagierte, dann zu schnell die Maßnahmen wieder lockerte. Hinzu kommt ein unterfinanziertes Gesundheitssystem, eine Folge der Finanzkrise im Jahr 2008. Das Land war danach zu Einsparungen gezwungen, auch auf Drängen der Europäischen Union und Deutschlands.

Doch Spanien bleibt mit den hausgemachten Problemen ein mahnendes Beispiel für Deutschland. Von Zögern und Unvernunft kann das Coronavirus profitieren. Und vor allem: Eine zweite Welle kann früher kommen als erwartet.

Verwendete Quellen
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