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Rechtspopulist Eric Zemmour will Präsidentenjob: Frankreichs Trump-Moment


Provokateur will Präsidentenjob
Frankreichs Trump-Moment

Von Titus Blome

17.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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Eric Zemmour kommt mit Bodyguards und Polizisten zu einem Auftritt: Der Rechtspopulist ist ein geübter Provokateur.Vergrößern des Bildes
Eric Zemmour kommt mit Bodyguards und Polizisten zu einem Auftritt: Der Rechtspopulist ist ein geübter Provokateur. (Quelle: Eric Gaillard/Reuters-bilder)

In sechs Monaten wird in Frankreich der Präsident gewählt. Ein möglicher Bewerber bringt sich nun in unzähligen Interviews in Stellung, verbreitet seine extremen Thesen – und gewinnt Zustimmung.

"Ihr Kontrahent sagt, Sie würden alle Muslime aus dem Land jagen wollen. Was antworten Sie?", fragt die Moderatorin Eric Zemmour. Der schmächtige Mann mit dem schütteren Haar und den blassen, durchdringenden Augen weicht der Frage aus – aber nur ein bisschen. "Der Islam ist mit Frankreich nicht kompatibel", sagt er mit Nachdruck und fügt kurz darauf hinzu: "Wenn ich zwischen Islam und Islamismus keinen Unterschied mache, dann, weil sie für mich dasselbe sind."

An diesem Abend debattiert er zur besten Sendezeit mit dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der Linkspopulisten in Frankreich, Jean-Luc Mélenchon. Ein Spektakel, das BFMTV die zweitbeste Quote beschert, die der Sender je hatte.

Von Eric Zemmour wird erwartet, dass er bald seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr verkündet. Er hat derzeit weder Partei noch Programm, aber breite Unterstützung bei den Franzosen. In einer Umfrage zur Wahl belegte er zuletzt kurzzeitig den zweiten Platz hinter dem amtierenden Präsidenten. Ein kometenhafter Aufstieg. Dabei liegen seine Thesen sogar noch rechts des "Rassemblement National" – der rechtspopulistischen Partei Frankreichs. Wieso findet so jemand Rückhalt in der französischen Bevölkerung?

Für Zemmour sind Frankreichs Feinde überall

Zemmour ist ein Populist. Die Fernsehauftritte nutzt er, um sein Profil zu schärfen. In der Debatte unterstellt er Mélenchon Nähe zum Stalinismus und wettert "Frankreich ist im Bürgerkrieg!". Einen Live-Faktencheck, der eine seiner Statistiken widerlegt, verwirft er als ideologisch motiviert.

Für alle Themen der Diskussion, von innerer Sicherheit hin zu Klimaschutz, hat er die gleiche Lösung: ein geeintes, wehrhaftes Frankreich. Wehrhaft gegen wen? Hierfür präsentiert er seit Jahren die gleichen Antworten: den Islam, die Linke, den Feminismus, die Eliten. Sie alle wollen Frankreich vernichten, beschwört Zemmour. Und er sei derjenige, der ihnen den Kampf ansagt.

In den vergangenen Jahren ist der 63-jährige Journalist und Autor mit seinen rassistischen und sexistischen Polemiken zu einer festen Größe in der französischen Medienlandschaft geworden. Lange schrieb er Meinungsstücke im konservativen Tagesblatt "Le Figaro", Bücher und politische Essays und trat mit rechtsextremen Thesen im Fernsehen auf.

Mehrfach wurde er für "Aufstachelung zum Rassenhass" zu Geldstrafen verurteilt und wegen sexueller Belästigung angeklagt. Seine Lautstärke übertrumpft seine Faktentreue, bringt aber Quote. Derzeit kann in Frankreich niemand seinem Gesicht entkommen.

Verschwörungstheorien und Krieg zur besten Sendezeit

Wo er schreibt oder spricht, bietet er eine Vision des Verfalls. Der Feminismus sei die "Entmännlichung" und Diskriminierung des Mannes. Pluralismus und Globalisierung hätten das Frankreich von Charles de Gaulles und Napoleon Bonaparte zugrunde gerichtet und den Migranten ausgeliefert.

Er vertritt die Verschwörungstheorie des "großen Austauschs", nach welcher eine mysteriöse Elite die weiße Mehrheitsgesellschaft Europas durch eine aus Arabern und Afrikanern ersetzen möchte. Das Opfer all dieser Trends steht für Zemmour fest: der weiße, heterosexuelle Mann.

Diese Ideen formuliert er am liebsten in kriegerischen Worten. In seinen diversen Fernsehauftritten und in seinem neusten Buch spricht er vom "Krieg der Zivilisationen", vom "Kampf der Industrien" und vom "Rassenkrieg". Eindringlich berichtet er, Frankreich sei in "tödlicher Gefahr".

Bei vielen kommt er damit an. Sein Buch "Der französische Selbstmord" verkaufte sich nach der Veröffentlichung 2014 bis zu 500.000 Mal. Seine Sendung, die er im Herbst 2019 auf dem Sender CNews begann, erreichte zuletzt 800.000 Zuschauer am Tag.

Ein Kandidat rechts der Rechten

Anfang September wurde sie dann eingestellt, als die Spekulationen um eine Kandidatur lauter wurden. In Frankreich prüft man die Medienzeit, die Kandidaten erhalten. Man wollte den Eindruck der Einflussnahme verhindern. Trotz der Einschränkung zählte die medienkritische Organisation Acrimed im September über elf Stunden Primetime-Berichterstattung über ihn. Der bisherige Star der Rechtsaußen in Frankreich, Marine Le Pen, schaffte es auf nur knapp über eine Stunde.

Besonders für sie ist Zemmour ein Grund zur Sorge. Nach ihrer Niederlage gegen Emmanuel Macron in der Stichwahl um die Präsidentschaft 2017 hatte sie versucht, sich gemäßigter zu präsentieren.

"Sie wollte sich breiter aufstellen. Dadurch hat sie am rechten Rand eine Lücke geboten, die Zemmour jetzt füllt", analysiert der Politologe Dominik Grillmayer vom Deutsch-Französischen Institut. "Zemmour glaubt, dass er im Gegensatz zu Le Pen sowohl die Anhänger des Rassemblement National als auch das rechte Lager der Republikaner hinter sich vereinigen kann." Anfang Oktober überholte Zemmour sie kurzzeitig in einer Umfrage – mit Positionen, die extremer sind als jene, die Le Pen zu vermeiden suchte.

Zemmour ist wie Trump, nur weniger vulgär

Cécile Alduy, eine auf französische Politik spezialisierte Professorin an der Universität Stanford, findet an Zemmour wenig Neues. Sie sieht die Schuld bei den Medien. In "The Guardian" zieht sie Parallelen zwischen Zemmour und Marine Le Pens Vater, Jean-Marie – ein Rechtsextremist und Antisemit, der ebenfalls in der Politik war.

Doch um Jean-Marie Le Pen habe es eine "hermetische Barriere" gegeben. Viele Journalisten luden ihn nicht zu Talkshows ein. Während der Wahl 2002 verweigerte Jacques Chirac ihm eine Debatte. Er wurde für seinen Extremismus geächtet. Bei Zemmour ist das anders. Journalisten würden das Phänomen Zemmour selbst kreieren, schreibt Alduy auf Twitter – das sei "künstlich und gefährlich".

Aufgrund seines medienwirksamen Populismus wird er oft mit Donald Trump verglichen, den er verehrt. Ähnlich wie Trump konstruiert er den Mythos einer goldenen Vergangenheit für sein Land, zu der es zurückkehren muss. Dafür brauche es starke Männer und starke Grenzen.

Doch er ist geschliffener als der ehemalige US-Präsident. Routiniert zitiert er Historiker, Autoren und Philosophen. Er gibt sich den Anstrich eines Intellektuellen. Trotz gleicher Thesen ist er ohne die Vulgarität Trumps schmackhafter für gemäßigte Konservative und vor allem Journalisten.

Der "Faktenfetisch" von Journalisten sei störend

Durch die Fernsehkanäle und Zeitungsseiten trägt Zemmour Populismus, Hass und Hetze in die Mitte der Gesellschaft. Erst kürzlich schockte er mit Thesen zum Vichy-Regime, das während des Zweiten Weltkrieges mit Hitler kollaborierte. Man habe nur ausländische Juden ausgeliefert, um französische Juden zu schützen, meinte Zemmour, der selbst Sohn algerischer Juden ist. Der Vorwurf der Geschichtsklitterung konnte von vielen Empörten nur nachgereicht werden.

Alles, was Zemmour braucht, ist die Bühne. Kürzlich verlangte er, dass alle Kinder von Migranten Vornamen katholischer Heiliger erhalten sollten, um Assimilation zu erleichtern. Eine Forderung, die ein neuerliches Medienspektakel provozierte.

Als er während der eingangs erwähnten Debatte mit Melénchon erstmals einen Live-Faktencheck erlebte, wurde er wütend. "Die Misere des 'fact-checking'" betitelte er ein Meinungsstück, in welchem er wenige Tage später den Sendungsmachern "intellektuelle Faulheit" und Arroganz vorwarf. Er finde diesen "Faktenfetisch" nur störend.

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Es zählt nur ob Freund oder Feind

Bisher wurde angenommen, dass erneut Emmanuel Macron und Marine Le Pen in die Stichwahl 2022 vordringen würden. Zemmour könnte Le Pen nun genug Stimmen klauen, um sie daran zu hindern. Er könnte sogar selbst einziehen. Seine Wirkung auf die Wahl ist bislang kaum einzuschätzen, aber unmöglich zu leugnen.

Noch ist nichts sicher außer, dass hinter dem amtierenden Präsidenten zwei Rechtspopulisten Platz zwei und drei in den Umfragen belegen. In den Medien hetzen sie und verschieben so die Möglichkeiten des Sagbaren. Alles ordnet sich der Provokation unter. Die Methode Zemmour könnte Frankreichs Politik nachhaltig verändern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Ausschnitt aus Debatte bei BFMTV
  • Medienanalyse von Acrimed
  • Gespräch mit Politologe Grillmayer
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