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Das sind die Tschetschenen, die für die Ukraine in den Krieg ziehen


Tschetschenen-Miliz gegen Putin
"Wir hören erst auf, wenn der Kaukasus gesäubert ist"

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

22.05.2022Lesedauer: 7 Min.
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Kommandeur Tscheberlojewskij: "Der Krieg wird Jahre dauern."Vergrößern des Bildes
Kommandeur Tscheberlojewskij: "Der Krieg wird Jahre dauern." (Quelle: Oleg Gerasimenko/T-Online-bilder)

Das tschetschenische Scheich-Mansur-Bataillon kämpft an der Seite der Ukraine gegen Putins Truppen. t-online traf den Kommandeur der Miliz, auf den ein Kopfgeld von 500.000 Dollar ausgesetzt ist.

Das Restaurant hat offiziell schon geschlossen. Muslim Tscheberlojewskij empfängt in einem Hinterzimmer des Kiewer Lokals, dessen Name hier nicht erwähnt werden soll. Teppiche hängen an den Wänden, auf dem Tisch dampft eine Kanne Tee.

Der Milizenführer streicht mit der Hand durch den langen Bart und sagt ruhig, aber bestimmt: "Wir haben nicht viel Zeit." Tscheberlojewskij hat allen Grund zur Sorge: Als Kommandeur des tschetschenischen Scheich-Mansour-Bataillons kämpft er an der Seite Kiews gegen die russische Armee. Der Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow, ein enger Verbündeter Wladimir Putins, will ihn deshalb tot sehen. In einer Audiobotschaft vom 26. April versprach Kadyrow "eine Million Dollar" für Informationen, die zur Ergreifung sowohl Tscheberlojewskijs als auch des Anführers des zweiten pro-ukrainischen Tschetschenen-Bataillons, Adam Osmayew, führen.

Doch das Kopfgeld – das wohlgemerkt nicht in Rubel ausgezahlt werden soll – scheint Tscheberlojewskij nicht zu stören. "Ich habe Wichtigeres zu tun und verfolge nicht, was Kadyrow alles ins Internet schreibt", winkt er ab.

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"Russische Schweine kaputtmachen"

Wie viele Tschetschenen tatsächlich für die Ukraine kämpfen, ist unklar. Tscheberlojewskij beziffert seine Einheit auf mehrere hundert Kämpfer. Bei der Schlacht um Kiew hatten sie den Vorort Browary mitverteidigt, sagt er, nach der Befreiung des ukrainischen Nordens verlagerten sie ihr Einsatzgebiet in den Donbass.

Auf seinem Telegram-Kanal postet das Scheich-Mansur-Bataillon immer wieder Videos und Fotos seiner Truppen in Gefechten, um den eigenen Kampfeinsatz nachzuweisen und die Follower bei der Stange zu halten. Ein Clip zeigt etwa eine Gruppe Bewaffneter, mutmaßlich Tschetschenen, die mit Sturmgewehren und einer Panzerabwehrwaffe schießen, Positionen wechseln, sich im Gras verstecken. Einer ruft "Allahu Akbar", ein anderer (auf Deutsch): "Russische Schweine kaputtmachen!" Im Hintergrund läuft ein Naschid, ein islamisches Kampflied. Berichten zufolge sollen einige der Männer in IS-Lagern in Syrien ausgebildet worden sein. In einem anderen Video erbeuten die Tschetschenen-Kämpfer offenbar einen Tos-1, einen russischen Raketenwerfer, der thermobarische Munition verschießt, ein besonders brutales Waffensystem.

Tscheberlojewskij sagt, es gehe auch darum zu zeigen, dass nicht alle Tschetschenen hinter Putin und seiner Marionette Kadyrow stünden. Denn auch die Kadyrowiten, so nennen sich Kadyrows Truppen, sind in den sozialen Medien stark präsent – so sehr, dass manche sagen, sie posten mehr als sie tatsächlich kämpfen. "Tiktoker" nennt Tscheberlojewskij sie.

Putin verheizt die Jungen und Armen

Der gläubige Muslim verbrachte fast sein halbes Leben auf dem Schlachtfeld. In den 80ern noch als Sowjetsoldat im Einsatz, richtete er in den 90ern die Waffen gegen Moskau: zunächst im Ersten (1994 bis 1996) und Zweiten Tschetschenienkrieg (1999 bis 2009), dann ab 2014 in der Ukraine. "Seit fast 30 Jahren kämpfe ich gegen Russland."

Die Methoden der russischen Armee hätten sich in den letzten drei Jahrzehnten nicht groß verändert, sagt der Veteran. "Es ist dasselbe Drehbuch wie damals." Russland wende "idiotische Taktiken" an, wie damals in der Schlacht um Grosny.

Russische Truppen versuchten damals, nach wochenlangen Bombardements aus der Luft die tschetschenische Hauptstadt in einer Art Blitzkrieg einzunehmen und setzten dabei auf ihre militärische Übermacht. Die Speerspitze bildeten dabei vor allem junge, kaum ausgebildete Wehrpflichtige, die auf heftigen Widerstand der Verteidiger von Grosny stießen. "In einer Nacht haben wir 2.000 Soldaten getötet und 300 Panzer vernichtet", erinnert sich Tscheberlojewskij. "Es war ein Massaker."

Auch im Ukraine-Krieg schickt die russische Armee Berichten zufolge oft junge Soldaten vor, die schlecht ausgebildet und nur mangelhaft ausgerüstet sind. "Sie werfen einfach alles ins Schlachtfeld. Der russischen Führung ist das egal", sagt Tscheberlojewskij. "Sie behandelt ihre eigenen Soldaten wie Feinde."

Gekochte Köpfe, gestohlene Organe

Drei Tage zuvor in einem anderen Restaurant in Kiew. "Als ich die Bilder aus Butscha und Mariupol sah, hatte ich dasselbe Gefühl wie damals." Ansor Maschadow kramt in Dokumenten und alten Fotos, als suche er nach einer Erklärung für den russischen Vernichtungswillen, die irgendwo in seinem Hefter steckt.

Der Sohn des ermordeten tschetschenischen Ex-Präsidenten Aslan Maschadow zeigt mehrere Fotos, die belegen sollen, was Russland damals seiner Heimat angetan hatte. Wie Putin Städte dem Erdboden gleichmachte und Zehntausende Zivilisten auslöschte. Wie er heute in der Ukraine umsetzt, was er damals lernte.

Maschadow hält ein Foto hoch, auf dem ein russischer Panzer offenbar Frauen und Kinder vor sich hertreibt. "Zivilisten benutzten sie schon damals als menschliche Schutzschilder. Oder stahlen ihr Essen", er deutet auf einen russischen Soldaten mit zwei Gänsen in den Händen. Andere Bilder zeigen Männer mit herausgeschossenen Gesichtern, Folterwunden oder einen abgeschnittenen menschlichen Kopf, der in einem Topf schwimmt, aufgebläht vom Wasser. "Gekocht", sagt Maschadow. Dann zeigt er Leichen, die den Verletzungen nach erst aufgeschnitten und wieder zugenäht wurden. "Sie haben Organe entnommen und auf dem Schwarzmarkt verkauft."

Es sind Hochglanzfotos des Grauens, ausgedruckt und sauber abgeheftet. Maschadow wirkt wie ein Staatsanwalt, der Beweise für russische Kriegsverbrechen aufführt. Nur dass er nicht in einem Gerichtssaal in Grosny sitzt, sondern in einem krimtatarischen Lokal in Kiew, wo das WLAN "Putin Huilo" heißt ("Putin ist ein Pimmel").

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"Es tut mir immer noch weh, diese Bilder zu sehen", beendet Maschadow die Bildershow. Russland habe damals unvorstellbares Leid über sein Volk gebracht, dasselbe passiere jetzt der Ukraine. Schätzungen zufolge starben im Ersten und Zweiten Tschetschenienkrieg bis zu 300.000 Zivilisten. Beiden Seiten wurden damals schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Die alte Garde ist zurück

Maschadow ist Tscheberlojewskijs Verbündeter. Die beiden Schlüsselfiguren des tschetschenischen Widerstands operieren als Tandem: Tscheberlojewskij ist die Faust, Maschadow das Hirn. Der eine kämpft, der andere macht Politik. Ihr gemeinsamer Traum ist die Wiederherstellung eines unabhängigen Tschetscheniens.

Als Abkömmling der alten Machtelite setzt Maschadow auf seine Gravitas, Exiltschetschenen in ganz Europa anzusprechen, sie zu überzeugen, dass die Verteidigung der Ukraine auch ihr Krieg ist. "In vielen europäischen Ländern, in Deutschland, Frankreich oder Norwegen, gibt es Tschetschenen, die in der Ukraine kämpfen wollen, aber nicht wissen, wie sie das anstellen sollen. Ich will ihnen dabei helfen", so der Sohn des Ex-Präsidenten. Die tschetschenische Community in Europa verfolge die Entwicklungen in der Ukraine sehr genau, sagt er.

Auch sein eigenes Timing ist interessant: Maschadow lebt seit vielen Jahren in Norwegen. Erst Ende April kam er nach Kiew. Als die Invasion begann, zögerte er noch. Doch jetzt, wo Putins Krieg so desaströs verläuft, zeigt er Flagge. Maschadow reiste erst, als Putin Schwäche zeigte. Sieht er eine Gelegenheit? Wackelt Kadyrow auf dem Tschetschenen-Thron?

"Davon sind wir weit entfernt. Aber so nah dran wie jetzt waren wir schon lange nicht mehr", sagt der Wahlnorweger. Wenn Russland den Krieg verliere, sei das System Putin am Ende, inklusive seiner Marionette in Tschetschenien. "Der Tag, an dem Putin fällt, ist auch Kadyrow dran", sagt Maschadow. Daher tue er jetzt alles dafür, um einen ukrainischen Sieg gegen den gemeinsamen Feind wahrscheinlicher zu machen: Ausrüstung organisieren, Vorträge halten, in den sozialen Medien um neue Rekruten werben, Drähte knüpfen. Tschetschenen aller Länder, vereinigt euch.

Wie der Vater, so der Sohn

Für Maschadow ist der Kampf gegen Russland auch eine persönliche Sache. Vater Aslan war eine Galionsfigur im tschetschenischen Unabhängigkeitskampf: Er organisierte im Ersten Tschetschenienkrieg die Verteidigung von Grosny und trug so wohl entscheidend zur Niederlage Russlands bei. 2005 wurde der Präsident der nicht anerkannten Tschetschenischen Republik Itschkerien vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB in einer "Spezialoperation" getötet. Kremlchef Putin ehrte später die Mörder mit Medaillen.

Nach dem Tod des Vaters rief Sohn Ansor dazu auf, den Aufstand gegen Moskau auszuweiten. "Es gibt kein Reich, das unseren Geist bezwingen könnte", sagte Maschadow Junior damals. Doch am Ende siegte Moskau. Putin installiert Ramsan Kadyrow 2007 als seinen Vertreter in Grosny, der in den Folgejahren eine kremltreue Diktatur aufbaute. Maschadow ging ins Exil.

"Wie kann man als Tschetschene für Russland kämpfen, nachdem, was Putin in unserer Heimat angerichtet hat?" Eine rhetorische Frage. Maschadow beantwortet sie selbst: "Kadyrow ist ein Verräter."

Ramsan, der Schusselige

Kadyrow und Maschadow kennen sich persönlich. "Von 1996 bis 1999 sah ich ihn regelmäßig. Sein Vater Achmat Kadyrow, der Mufti von Tschetschenien, arbeitete für meinen Vater, kurz nachdem er zum Präsidenten gewählt worden war." An den Ramsan von damals könne er sich noch gut erinnern, sagt Maschadow. Er sei bekannt gewesen für seine "Dummheiten": "Mit ihm gab es immer was zu lachen."

Maschadow erzählt von einer Hochzeit in Grosny im Jahr 1998, als der junge Ramsan Kadyrow auftauchte und Mädchen fragte, ob sie mit ihm tanzen wollten. "Er hat nur Gelächter geerntet, denn als Sohn eines Muftis war es ihm gar nicht erlaubt zu tanzen." Er hätte seinen Vater blamiert, sagt Maschadow. Aber das sei "typisch Ramsan", der Tschetschenen-Führer sei nie der Schlauste gewesen.

Eine leichte Schusseligkeit scheint sich Kadyrow bis heute bewahrt zu haben: Immer wieder posten seine Truppen aus der Ukraine Videos, auf denen sie auf unsichtbare Feinde oder leere Häuser zu schießen scheinen. Ein anderer Clip sollte belegen, dass sich Kadyrow tatsächlich in der Ukraine aufhalte und für seine Kämpfer Allahs Beistand erbete. Ungeschickterweise hatte sich der Machthaber vor einer Tankstelle auf die Knie geworfen, die zum russischen Ölriesen Rosneft gehört, der laut Berichten seit 2018 keine Tankstellen mehr in der Ukraine betreibt. Kadyrow war also zum Zeitpunkt des Videos höchstwahrscheinlich nicht in der Ukraine, er hatte sich selbst entlarvt.

Der Kampf geht weiter

Ob sich Maschadows und Tscheberlojewskijs Vision eines freien Tschetscheniens erfüllen wird, hängt von den Entwicklungen der nächsten Monate ab. Derzeit spricht wenig dafür: Experten rechnen mit einem Abflauen des aktiven Kampfgeschehens im Sommer. Russische Truppen werden sich eingraben und versuchen, ihre Gebietsgewinne zu festigen. Am Ende könnte ein brüchiger Waffenstillstand stehen, der immer wieder droht, in einen heißen Konflikt überzugehen. Die Rückkehr in ihre Heimat bleibt den beiden tschetschenischen Rebellenführern wohl erst mal versperrt.

Kommandeur Tscheberlojewskij lässt sich von solchen Mutmaßungen nicht beirren. Er glaube fest an eine Niederlage Russlands, sagt der Kriegsveteran, auch wenn der Krieg Jahre dauern werde. "Wir hören erst auf, wenn der Kaukasus von Russland gesäubert ist."

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