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Historische Protestwelle im Iran: Brutalität und Zensur – die aktuelle Lage


Proteste im Iran eskalieren
Wenn "Sicherheitskräfte" alles andere als Sicherheit geben


26.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Szenen von Kämpfen im Iran: Die UNO appelliert an das Mullah-Regime. (Quelle: Glomex)

Der Tod einer 22-jährigen Kurdin hat im Iran eine beispiellose Protestwelle ausgelöst. Gewalt, Festnahmen und Tod gehören zum Alltag. Ein Überblick.

"Er war gerade 10 Jahre alt, als er von den Streitkräften der Islamischen Republik erschossen wurde. (…) Er liebte Fußball und hatte das Talent und den Traum, ein großer Wissenschaftler und Erfinder zu werden." So beschreibt die Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) den Jungen Kian, der im Zusammenhang mit den anhaltenden Protesten im Iran ums Leben gekommen sein soll.

Getötet von "Sicherheitskräften" – die für alles andere als Sicherheit sorgen. Sie verbreiten Angst und Schrecken und setzen zunehmend härtere Methoden gegen die Bürgerinnen und Bürger ein, die sich dem iranischen Regime entgegensetzen.

IHR veröffentlicht auf Twitter regelmäßig die Namen und Fotos von Menschen, die im Zuge der regierungskritischen Proteste ihr Leben verloren haben – bei Demonstrationen, im Gefängnis oder schlichtweg im Alltag. Seit dem 16. September sollen nach Angaben der Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) mindestens 445 Menschen gestorben sein, darunter 63 Kinder (Stand: 25. November).

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Protestwelle nach Tod einer 22-Jährigen

Die mehrheitlich von Frauen geführten Demonstrationen begannen vor rund zwei Monaten aufgrund eines angeblichen Verstoßes gegen die Kleiderordnung. Am 16. September starb die junge Kurdin Mahsa Amini – auch unter ihrem kurdischen Namen Jina bekannt – nachdem sie von der Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen haben soll.

Aktivisten werfen den Beamten vor, die 22-Jährige massiv misshandelt zu haben. Amini fiel ins Koma und starb drei Tage nach ihrer Festnahme auf der Intensivstation des Kasra-Krankenhauses in Teheran. Seitdem gehen die Menschen gegen das Regime auf die Straße. Weltweit solidarisieren sich Frauen mit den Demonstrierenden: Das Abschneiden von Haaren wurde zum Zeichen der Unterstützung.

Proteste werden immer wieder angefacht

Die Proteste gegen die Sittenpolizei schlugen allerdings schnell in Demonstrationen für mehr Frauenrechte und Freiheiten im Iran sowie Demokratie generell um. Bis heute reißt die Bewegung nicht ab, immer wieder wird sie von staatlicher Gewalt und dem Tod weiterer junger Menschen angefacht.

Über das Internet, das phasenweise abgestellt und eingeschränkt wird, werden Tausende Videos verbreitet, die Gewalt durch das iranische Regime zeigen sollen. Dadurch wächst die Wut, die Opfer werden zu Ikonen der Proteste. Viele junge Demonstrierende sprechen von einer Revolution. Im Gespräch mit t-online haben fünf Iranerinnen und Iraner von der bedrückenden Situation berichtet. Die bewegenden Aussagen lesen Sie hier.

Auch an Schulen kämpfen vor allem Mädchen für ihre Rechte. So wurden Bilder und Videos öffentlich, auf denen Schülerinnen ihre Kopftücher verbrennen, öffentlich den Sturz des Regimes fordern und Bilder vom obersten religiösen Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, von den Wänden reißen – auf letzterem steht die Todesstrafe.

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Brutale Szenen in Kurdengebieten

Das iranische Regime behauptet hingegen, die Demonstrierenden seien "Randalierer", die von ausländischen Mächten instrumentalisiert worden wären. Sie schlagen die Proteste mit aller Härte nieder. Hunderte Menschen wurden festgenommen, Dutzende starben infolge von Gewalteinwirkungen.

Augenzeugen berichteten auf Twitter in den vergangenen Tagen von brutalen Szenen in Kurdengebieten im Westen und Nordwesten des Irans. In den Städten Dschwanrud und Piranschahr gab es demnach am Montag heftige Auseinandersetzungen, wobei die iranische Revolutionsgarde, also Streitkräfte des Regimes, wahllos auf Demonstrierende geschossen haben sollen. Am Sonntag waren diese den Augenzeugen zufolge bereits sehr hart gegen Protestierende in der kurdischen Stadt Mahabad vorgegangen.

Videos von der mutmaßlichen dortigen Gewalt gibt es auf Twitter nur wenige – sie seien zu brutal, um sie zu teilen, erklärt die Journalistin Gilda Sahebi: "Man hört in ihrem Grauen nicht zu beschreibende Schreie von Kindern, die zusehen, wie die Eltern geschlagen werden, man sieht Menschen, die aus nächster Nähe erschossen werden. Ein Mann schreit noch am Boden: mein Leben für Iran."

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Iranische Justiz verhängt Todesstrafen gegen Demonstrierende

Inzwischen hat die iranische Justiz gegen sechs Menschen die Todesstrafe verhängt. Das Revolutionsgericht in Teheran befand einen der Angeklagten für schuldig, "während der jüngsten Unruhen ein Messer gezogen" zu haben, "mit der Absicht zu töten, Terror zu verbreiten und die Gesellschaft zu verunsichern", wie die iranische Justizbehörde auf ihrer Internetseite Misan Online mitteilte.

Die Prozesse sollen teilweise weniger als zehn Minuten gedauert und ohne Anwalt für die Verurteilten stattgefunden haben, berichten ausländische Journalisten. Die meisten gefangenen Demonstrierenden werden allerdings nicht offiziell zum Tode verurteilt, sie werden in Gefängnissen misshandelt und sterben teilweise hinter Gittern.

Brand im berüchtigten Evin-Gefängnis

Wie viele Regimegegner hinter den Mauern der iranischen Gefängnisse wirklich zu Tode gequält werden, ist nicht bekannt. Frauen, Kinder und auch Männer werden dort unter anderem systematisch sexualisierter Gewalt ausgesetzt, berichtete der US-Sender CNN.

Kurz nach dem Beginn der Proteste im September geriet vor allem das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran in den Fokus. Dort brach ein Feuer aus, die Gefängnismitarbeiter gingen mit Gewalt gegen die Häftlinge vor, wie unter anderem Amnesty International mitteilte. Die Menschenrechtler fordern die iranischen Behörden dazu auf, unabhängigen internationalen Beobachtern Zugang zu iranischen Gefängnissen zu gewähren, damit das brutale Vorgehen untersucht werden könne. Am Donnerstag beschloss der UN-Menschenrechtsrat wegen der anhaltenden Gewalt gegen friedlich Demonstrierende im Iran eine unabhängige Untersuchung. Lesen Sie hier mehr dazu.

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Strenge Zensur im Iran

Das iranische Regime versucht jedoch mit allen Mitteln, kritische Berichterstattung zu verhindern. Die Mullahs setzen auf strenge Zensur statt Meinungsfreiheit – um einerseits international nicht an Ansehen zu verlieren und andererseits das rebellierende Volk in Schach zu halten.

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Journalistinnen und Journalisten aus dem Ausland dürfen nicht in den Iran einreisen, sodass es kaum gesicherte Informationen von der Situation im Land gibt. Aber auch im Iran selbst gibt es keine unabhängige Berichterstattung. Das zeigte etwa das jüngste Beispiel von der Fußballweltmeisterschaft in Katar: Der iranische Staatssender unterbrach seine Liveübertragung des Auftaktspiels gegen England, weil die Spieler der iranischen Nationalmannschaft als Zeichen der Solidarität ihre Nationalhymne nicht mitsangen. Menschen im Stadion zeigten sich in Shirts mit der Aufschrift "Women-Life-Freedom" – doch im Iran selbst sollte niemand von den Vorkommnissen erfahren.

Die Zensur stellt Iranerinnen und Iraner auch bei der Organisation der Proteste, der Informationsbeschaffung über aktuelle Entwicklungen und dem Austausch mit anderen Menschen, vor allem außerhalb des Landes, vor große Hürden. Mit alternativen Kommunikationskanälen schafft sich das Volk Abhilfe.

"Ausgewachsene Menschenrechtskrise"

International wächst der Druck auf das iranische Regime. In der von Deutschland und Island beantragten Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrates sagte Menschenrechtshochkommissar Volker Türk am Donnerstag: "Die unnötige und unverhältnismäßige Gewaltanwendung muss beendet werden." Es handle sich dabei um "eine ausgewachsene Menschenrechtskrise".

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Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Dutzende andere Diplomaten kritisierten kürzlich den Iran im UN-Menschenrechtsrat wegen der wachsenden Gewalt gegen friedlich Demonstrierende scharf. Der Rat hatte sich am Donnerstag auf eine unabhängige Untersuchung der Vorkommnisse geeinigt.

Das Bild eines kleinen iranischen Mädchens, das schreiend am Sarg ihrer Mutter im Staub kniete und in den Himmel schrie, gehe ihr unter die Haut, sagte Baerbock.

Verwendete Quellen
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