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Russland: Menschen protestieren gegen den Krieg –trotz drakonischer Strafen


"Nein zum Karpfen"


19.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Die Polizei verhaftet Menschen, die in Moskau gegen den Krieg demonstrieren (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Die Polizei verhaftet Menschen, die in Moskau gegen den Krieg demonstrieren (Archivbild). (Quelle: IMAGO/Mikhail Tereshchenko)

Demonstrationen gegen den Krieg sind in Russland verboten, Verstöße werden drakonisch bestraft. Und doch gibt es Widerstand, mit teils subtilen Mitteln. Ein Überblick.

Immer wieder gehen weltweit Tausende Menschen gegen den russischen Angriffskrieg auf die Straße. In Russland sucht man solche Szenen vergebens. Demonstrationen, Störaktionen, laute Diskussionen in den Regionalparlamenten – Fehlanzeige. Offener Protest in Russland gegen den Krieg in der Ukraine findet so gut wie nicht statt.

Ein großer Teil der Bevölkerung nimmt die Geschehnisse in der Ukraine hin, Umfragen zufolge informiert sich nur etwas mehr als die Hälfte aktiv über die Entwicklungen im von Russland angegriffenen Nachbarland. Die Kriegsignoranz ist groß.

Und doch begehren einige Russinnen und Russen auf – wenn auch mit subtilen Mitteln. Sie hinterlassen Botschaften an öffentlichen Orten und platzieren anonymisierte Statements in sozialen Medien. Sie bedienen sich einer kodierten Sprache, kreieren Wortspiele oder deuten landestypische Witze oder Symbole russischen Kulturguts um. Ein Überblick.

"Nein zum Karpfen"

"Njet woinje!" ("Nein zum Krieg") ist seit dem 24. Februar 2022 zu einer Antikriegslosung geworden. Diese wird nun vielfach umgedeutet, weil das Wort "Krieg" in Bezug auf den Angriff auf die Ukraine in Russland verboten ist. Es darf lediglich von "Spezialoperation" gesprochen werden. So wurde "Njet woinje" kurzerhand zu "Njet woblje". Wobla ist eine Art Karpfen und wird in Russland als getrockneter Snack zum Bier gegessen. Mit zwei getauschten russischen Buchstaben heißt der Slogan nun: "Nein zum Karpfen".

Der Fisch – mal durchgestrichen, mal als Wort ausgeschrieben – wurde schon vielerorts in Russland gesehen: zum Beispiel plakatiert an Laternen im November 2022 in St. Petersburg, an Hauswänden oder gepostet in sozialen Medien. Er ist längst zum Ausdruck der Kriegsablehnung, aber auch des Spottes gegenüber Autoritäten geworden.

Ballerinen gegen den Krieg

Um den Antikriegsslogan "Nein zum Krieg" außerdem auszudrücken, nutzen Menschen in Russland das Ballett. "Schwanensee" etwa gehört zu Russland wie Goethe zu Deutschland. Kultstatus genießt seit Jahrzehnten eine Szene aus dem Tanzstück. Bereits in der Sowjetunion, etwa als Leonid Breschnew 1982 starb, oder 1991 als die UdSSR zerfiel und in Moskau Panzer einrollten, wurde im Fernsehen das laufende Programm unterbrochen und das Ballett in Dauerschleife eingeblendet. Eine Verzögerungstaktik, die der sowjetischen Führung Zeit verschaffte, über einen Nachfolgeplan zu entscheiden.

Die Szene – Ballerinen, die Schwäne verkörpern, aufgereiht und sich an den Händen haltend eine Formation tanzen – nutzen nun viele Russen, um ihre Kriegsablehnung auszudrücken. In St. Petersburg tauchte eine entsprechende Zeichnung auf: drei Ballerinen oben, fünf darunter. Die oberen drei stehen für die russisch Buchstaben "Нет" ("Nein"), die fünf darunter für "войне" ("woinje", "zum Krieg").

Supermarkt-Schilder prangern Verbrechen an

Die subtile Form der Kriegskritik hat seinen Grund: Die Strafen für Protest und Kritik an der "Spezialoperation" fallen oft drakonisch aus, wie eine Musikerin und Künstlerin am eigenen Leib erfuhr.

Im April 2022 wurde Alexandra Skotschilenko festgenommen, weil sie in einem Supermarkt in Sankt Petersburg Preisschilder mit Antikriegsinformationen versehen hatte. Oberhalb der Preisangabe von beispielsweise 400 Rubel hatte sie Kurztexte gedruckt, wie: "Russland hat eine Schule für Kunst in Mariupol attackiert, in der 400 Kinder Schutz gesucht haben". An anderer Stelle textete sie über die drastische Zunahme der Inflation oder desaströse Versorgungsengpässe in der Ukraine.

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Ihr wurde der Prozess gemacht, inzwischen sitzt Skotschilenko im Gefängnis. Über ihren Anwalt meldete sie sich zu Wort und machte Menschenrechtsverletzungen bekannt. Skotschilenko, deutlich abmagert, werde bestimmtes Essen verwehrt, auf das sie aufgrund ihrer Zöliakie angewiesen sei. Amnesty International kämpft für ihre Freilassung und fordert Hafterleichterungen. Sie könnte noch jahrelang weggesperrt bleiben.

Geldstrafe wegen Orwells Buch "1984"

Auch der Weltliteratur bedienen sich Russinnen und Russen nun in ihrem Protest. Ein Bürger in Iwanowo nahe Moskau wurde laut den Osteuropaexpertinnen Vera Dubina und Alexandra Arkhipova zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er nach Kriegsbeginn das Buch "1984" von George Orwell an Passantinnen und Passanten verteilte. Das Buch thematisiert eine dystopische, umfassend überwachte Gesellschaft.

Ein anderer Mann aus dem Gebiet St. Petersburg postete Fotos von sich im Netz, eines zeigt ihn auf Knien, mit einem Plakat in den Händen, darauf die Worte: "Verzeih, Ukraine". Die Strafverfolgungsbehörden machten ihn ausfindig, es folgten mehrere Hausdurchsuchungen. Laut dem russischen Dienst der BBC kam er Ende 2022 in Untersuchungshaft. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial kämpft für seine Freilassung.

Wortspiel mit dem Buchstaben "Z"

Auch das Symbol "Z", das zu Beginn der russischen Invasion in die Gesamtukraine zum Erkennungszeichen der russischen Armee und ihrer Unterstützer wurde, interpretieren Kriegsgegner um. Sie kreierten mit dem Symbol, über das viel gerätselt wurde, weil es kein Buchstabe im kyrillischen Alphabet ist, ein Wortspiel auf einem T-Shirt.

Der T-Shirt-Aufdruck liest sich auf den ersten Blick als "Z", also wie ein kriegsbefürwortendes Statement. Auf den zweiten Blick steht es, gekippt, für den Anfangsbuchstaben des russischen inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Ein Foto davon ging ebenfalls durchs Netz. Auch damit begehren Russinnen und Russen auf. Ein Instagram-Nutzer postete dazu: "Was die Bullen wohl dazu sagen würden?"

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