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Armenien | Soldaten: "Wenn wir aufhören zu kämpfen, sterben wir"


Sie riskieren ihr Leben für die Freiheit
"Wenn wir aufhören zu kämpfen, sterben wir"

Von Tobias Eßer

Aktualisiert am 18.03.2023Lesedauer: 3 Min.
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Der armenische Ex-Soldat Mesrop: Für sein Land würde er jederzeit wieder in den Krieg ziehen.Vergrößern des Bildes
Der ehemalige armenische Soldat Mesrop: Für sein Land würde er jederzeit wieder in den Krieg ziehen. (Quelle: Tobias Eßer)

Im Krieg um die Kaukasus-Region Bergkarabach sind viele Soldaten bereit, ihr Leben zu geben. Auch nach schweren Verletzungen zieht es zahlreiche Männer zurück in den Freiheitskampf.

Tobias Eßer berichtet aus Jerewan, Armenien

"Ich wurde von einer Maschinengewehr-Salve getroffen", sagt Mesrup. "Viermal musste ich operiert werden – und danach wieder laufen lernen." Der 39-jährige Armenier ist Soldat. Im Jahr 2020 kämpfte er im Krieg um Bergkarabach gegen Aserbaidschan, das die Region im Kaukasus für sich beansprucht.

Mesrop hat sich im Reha-Zentrum "Zinvari Tun" ("Zuhause des Soldaten") in der armenischen Hauptstadt Jerewan von seinen schweren Verletzungen erholt. Dort hat er auch eine Ausbildung zum Fotografen gemacht. Mittlerweile arbeitet er freiberuflich und fotografiert Soldaten, aber auch die Landschaften Armeniens. Kommen ausländische Journalistengruppen zu Besuch in das Reha-Zentrum, fotografiert er auch sie. "Sobald ich auf den Auslöser der Kamera drücke, vergesse ich meine Schmerzen", sagt Mesrop. "Auch wenn ich schwer verletzt wurde – sobald Armenien erneut angegriffen wird, werde ich wieder eine Waffe in die Hand nehmen."

Der Frieden im Kaukasus ist brüchig

Dass Mesrop bald wieder zum Gewehr greifen muss, ist nicht unwahrscheinlich. Denn der Frieden im Kaukasus ist brüchig. Im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan geht es vor allem um die Provinz Bergkarabach. Dort leben überwiegend ethnische Armenier. Bergkarabach strebt die Unabhängigkeit an.

Aserbaidschan lehnt die Bestrebungen allerdings ab und betrachtet Bergkarabach als Teil seines Staatsgebiets. Der Konflikt gipfelte 2020 in einem sechswöchigen Krieg, in dessen Folge Aserbaidschan nicht nur große Teile Bergkarabachs eroberte und die dort lebenden Armenier vertrieb, sondern auch Teile des armenischen Staatsgebiets besetzte.

Seit einigen Wochen keimt in Armenien die Sorge vor einem neuen Krieg auf – denn die Rhetorik der aserbaidschanischen Staatsführung ist schärfer geworden. Am Dienstag bezeichnete der autokratisch regierende Präsident Aserbaidschans, İlham Älijew, das gesamte armenische Staatsgebiet als "West-Aserbaidschan". Außerdem beschoss die aserbaidschanische Armee mehrere armenische Dörfer im Grenzgebiet mit Maschinengewehren und Artillerie. Dabei gab es zwar nur wenige Verletzte, doch der Beschuss hat die Angst vor einem groß angelegten aserbaidschanischen Angriff verstärkt.

"Der Krieg ist immer in meinem Kopf"

Auch Mesrop glaubt, dass der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan bald wieder eskalieren könnte. "Frieden wird es niemals geben", sagt er. "Die Azeris wollen uns auslöschen". Der Konflikt ziehe sich durch viele Generationen. Mesrops Großeltern mussten einst vor dem Völkermord an den Armeniern durch die Türkei fliehen. Sein Vater war ebenfalls Soldat und starb 1992 im ersten Krieg um Bergkarabach. "Der Krieg ist allgegenwärtig, er ist fast immer in meinem Kopf."

Wenn Mesrop den Krieg vergessen will, geht er zum Soldatenfriedhof in Jerewan. Hier gibt es das Denkmal für die unbekannten Soldaten, die in den Kriegen von 1992 und 2020 gefallen sind. "Das ist der einzige Ort, an dem ich in Ruhe sitzen kann und nicht von den Gedanken an meine Zeit im Krieg überwältigt werde", sagt Mesrop.

Wenn er auf dem Soldatenfriedhof sei, werde er immer sehr demütig. "Ich bin stolz, dass Armenien solche Männer hat. Ihr Heldenmut bewegt uns und treibt uns an. Wenn wir ihr Denkmal besuchen, wissen wir immer, wofür sie ihr Leben gaben."

Der 39-Jährige würde ebenfalls alles geben, um Armenien und Bergkarabach zu verteidigen – auch sein Leben. Obwohl er sich im Reha-Zentrum beruflich umorientieren konnte und in der Fotografie seine Leidenschaft gefunden hat: "Das würde ich aufgeben, wenn es Krieg gäbe. Denn wenn wir aufhören zu kämpfen, sterben wir Armenier."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort
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