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EU-Staaten einigen sich auf Lieferkettengesetz: Deutschland enthält sich


Deutschland enthält sich
EU-Staaten einigen sich auf Lieferkettengesetz

Von dpa, fho

Aktualisiert am 15.03.2024Lesedauer: 4 Min.
imago images 0420088214Vergrößern des Bildes
Schiffe im Hamburger Hafen: Die EU will mit dem Lieferkettengesetz die Menschenrechte besser schützen. (Quelle: IMAGO/Jochen Tack/imago)

Das Lieferkettengesetz in der EU kommt: Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten konnte sich darauf verständigen. Deutschland hingegen enthielt sich.

Nach langem Ringen unterstützt eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ein europäisches Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschenrechte. Das teilte die belgische Ratspräsidentschaft am Freitag mit. Demnach nahm eine qualifizierte Mehrheit der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten eine entsprechende Richtlinie an. Damit wurde Deutschland überstimmt, das sich enthielt.

In der Bundesregierung hatte die FDP darauf gedrängt, dass Deutschland nicht zustimmt. Die Liberalen befürchten etwa, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen. Politiker von SPD und Grünen befürworten das Vorhaben hingegen. Die Unstimmigkeiten hatten zu einem offenen Schlagabtausch in der Ampel-Koalition geführt.

FDP-Chef Christian Lindner: "Der Widerstand war nicht umsonst"

FDP-Chef Christian Lindner bedauerte die Entscheidung und bekräftige seine Kritik. "Wir hätten uns eine bürokratieärmere und praxistaugliche Lieferkettenrichtlinie gewünscht", sagte der Finanzminister in Berlin. Er kritisierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Hier haben wir uns nicht durchsetzen können, aber der Widerstand war nicht umsonst. Frau von der Leyen musste wesentlich abrüsten bei ihren Plänen. Dennoch wäre es besser gewesen, auf diese Richtlinie in dieser Form ganz zu verzichten", sagte Lindner.

Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten hatten sich bereits im Dezember auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Damit sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind. Das EU-Parlament muss dem Vorhaben noch zustimmen. Hier gilt eine Mehrheit als wahrscheinlich.

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Weil die Einigung aus dem Dezember zunächst keine ausreichende Mehrheit unter den EU-Staaten gefunden hatte, wurde das Vorhaben noch mal deutlich abgeschwächt. Statt wie ursprünglich geplant, soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten.

Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1.000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. An diesen Geltungsbereich soll sich stufenweise herangetastet werden. Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4.000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz. Die EU-Kommission soll eine Liste der betroffenen Nicht-EU-Unternehmen veröffentlichen. Für sie könnten die Vorgaben gelten, wenn sie mit ihrem Geschäft einen bestimmten Umsatz in der EU erzielen.

EU-Gesetz geht weiter als deutsche Regelung

Zudem wurden demnach sogenannte Risikosektoren gestrichen, also Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher bewertet wird, wie etwa in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie. Dort hätten auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden betroffen sein können. Vorgesehen ist aber weiterhin, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren.

Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz. Die EU-Version geht aber trotz der Abschwächungen über dessen Vorgaben hinaus. So ist im deutschen Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind.

Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, Anna Cavazzini, kritisierte: "Deals zwischen Regierungen und immer weitere Abschwächungen eines ausgehandelten Texts haben das etablierte Gesetzgebungsverfahren missachtet und das Europaparlament düpiert." Die FDP habe ihre Blockadehaltung bis zum Schluss beibehalten, obwohl der vorgeschlagene Kompromiss ihren Forderungen entgegengekommen sei. Ein Bundeskanzler, der einen solch großen Schaden zu verantworten habe, sollte seinen europapolitischen Kompass prüfen, so die Grünen-Politikerin.

Heil: "Das ist gut für die Menschenrechte"

Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Unterm Strich bleibt das Lieferkettengesetz praxisfern, weil grundlegende Probleme, wie unklare Haftungsregeln außerhalb des eigenen Einflussbereichs bestehen bleiben." Es sei aber der FDP zu verdanken, dass das Gesetz an vielen Stellen verbessert worden sei.

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Auf nationaler Ebene meldete sich zunächst Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu Wort. "Das ist gut für die Menschenrechte und die deutsche Wirtschaft, denn dadurch schaffen wir faire Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in Europa", sagte er.

Deutsche Wirtschaft kritisiert Entscheidung

Aus der deutschen Wirtschaft gab es hingegen vor allem Kritik an der Entscheidung. "Auch leicht abgespeckt bleibt die EU-Lieferkettenrichtlinie wenig praxistauglich und wird viel Bürokratie mit sich bringen", sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian. "Große Rechtsunsicherheit und Haftungsrisiken für Unternehmen, nicht zuletzt wegen der zivilrechtlichen Haftung, bestehen weiter."

Ähnlich sieht es der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). Zwar sei die Einigung deutlich besser als der ursprüngliche Entwurf, doch entscheidende Probleme bei den Berichtspflichten blieben ungelöst. "Die Belastungen des Mittelstands werden damit weiter steigen. Das Ergebnis ist kein Sieg für die Menschenrechte, sondern ein Sieg für die Bürokratie", so Verbandspräsident Dirk Jandura.

Besonders deutlich wird der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm: "Die Zustimmung zum EU-Lieferkettengesetz ist ein weiterer Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit und schafft neue Hindernisse für Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Pressemitteilung DIHK
  • Pressemitteilung BGA
  • Pressemitteilung BDI
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