Mehr als 1.000 Verstöße gegen Waffenruhe? Ukraine und Russland beschuldigen sich gegenseitig

Kremlchef Putin behauptet, seinen Truppen in der Ukraine eine Waffenpause verordnet zu haben. Doch nach Angaben aus Kiew gehen die Angriffe weiter.
Die ukrainische Regierung hat mit großer Skepsis auf die am Samstag von Russland verkündete einseitige Waffenruhe im Krieg in der Ukraine reagiert. "Der entsprechende Vorschlag für eine uneingeschränkte und bedingungslose 30-tägige Waffenruhe ist von Russland seit 39 Tagen unbeantwortet geblieben", schrieb der ukrainische Präsident am Abend auf der Plattform X.
Am späten Abend schrieb Selenskyj, dass in den russischen Gebieten Belgorod und Kursk weiter gekämpft werde. "Die Ostererklärungen Putins haben sich nicht auf dieses Gebiet erstreckt. Die Feindseligkeiten gehen weiter, und die russischen Angriffe halten an. Russische Artillerie ist in bestimmten Richtungen der Front immer noch zu hören, ungeachtet des Versprechens des russischen Staatschefs, sich ruhig zu verhalten. Russische Drohnen sind im Einsatz. In einigen Gebieten ist die Lage ruhiger geworden", meldet der Präsident auf X.
Später legt er nach: In verschiedenen Richtungen der Frontlinie habe es bis 6 Uhr morgens bereits 59 Fälle von russischem Beschuss und fünf Angriffe durch russische Einheiten gegeben, teilte Selenskyj auf der Plattform X mit. Insgesamt versuche die russische Armee den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich an die Feuerpause halte. Trotzdem gebe es vereinzelte Versuche, in der Ukraine vorzurücken und Kiews Streitkräften Schaden zuzufügen, sagte er.
Zwischen 18 Uhr am Samstag und Mitternacht gab es laut Selenskyj 387 Fälle von Beschuss und 19 Angriffe der russischen Streitkräfte. "Drohnen wurden von den Russen 290 Mal eingesetzt", teilte er weiter mit. Auch in der Nacht gab es demnach Dutzende Drohnenangriffe.
"Entweder hat Putin nicht die volle Kontrolle über seine Armee oder die Situation zeigt, dass Russland nicht die Absicht hat, einen echten Schritt zur Beendigung des Krieges zu unternehmen und nur Interesse an positiver PR hat", betont er.
Russland: Ukraine hat Feuerpause mehr als tausendmal verletzt
Auch Russland beklagte sich über Angriffe der Ukraine. Die Ukraine habe Russland zufolge die Feuerpause mehr als tausendmal gebrochen. Dabei seien auch Zivilisten getötet worden, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Es seien mehr als 900 Drohnenangriffe gezählt worden sowie 444 Angriffe auf russische Stellungen.
Auch die russischen Grenzregionen Brjansk, Kursk und Belgorod seien beschossen worden. "Im Ergebnis gibt es Tote und Verletzte in der friedlichen Bevölkerung und Schäden an zivilen Gebäuden", hieß es in der Mitteilung des Ministeriums. Zahlen zu Opfern nannte die Behörde nicht.
Selenskyj reagiert auf Putins Vorschlag einer Waffenruhe
Selenskyj zeigte sich zu Beginn der Waffenruhe offen für Verhandlungen: "Die Vereinigten Staaten haben diesen Vorschlag gemacht, die Ukraine hat positiv darauf reagiert, aber Russland hat ihn ignoriert. Wenn Russland nun plötzlich bereit ist, sich wirklich auf ein Format des vollständigen und bedingungslosen Schweigens einzulassen, wird die Ukraine entsprechend handeln – und damit Russlands Handeln widerspiegeln."
"Sollte es wirklich zu einer vollständigen Waffenruhe kommen, schlägt die Ukraine vor, diese über den Ostertag am 20. April hinaus zu verlängern. Das wird die wahren Absichten Russlands offenbaren – denn 30 Stunden reichen zwar für Schlagzeilen, aber nicht für echte vertrauensbildende Maßnahmen", so Selenskyj. Dreißig Tage könnten dem Frieden eine Chance geben. Zugleich würden die russischen Angriffe gegen die Ukraine weitergehen.
Kremlchef Wladimir Putin hat im Krieg gegen die Ukraine eine einseitige Waffenruhe über die Osterfeiertage verkündet. Die russische Armee werde die Feindseligkeiten von Samstag, 17 Uhr MESZ, bis Montag, 23 Uhr MESZ, einstellen, sagte Putin am Samstag bei einem Treffen mit seinem Militärchef Waleri Gerassimow im Kreml.
Kiews Reaktionen auf Putins einseitige Waffenruhe an Ostern
"Nach den Berichten des Oberbefehlshabers gehen die russischen Angriffe auf mehrere Sektoren der Frontlinie weiter, und der russische Artilleriebeschuss hat nicht nachgelassen", schrieb Selenskyj. "Daher kann man den Worten aus Moskau nicht trauen. Wir wissen nur zu gut, wie Moskau manipuliert, und wir sind auf alles vorbereitet. Die ukrainischen Verteidigungsstreitkräfte werden rational handeln und entsprechend reagieren."
- Putin verkündet Waffenruhe: Osterwunder – oder blankes Kalkül?
Auf jeden russischen Angriff werde mit einer angemessenen Antwort reagieren. "Ich erwarte um 21.30 und 22 Uhr detaillierte Informationen von Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyi nach seinen Gesprächen mit Brigadekommandeuren und anderen Einheiten an der Front über die Lage in bestimmten Richtungen."
Auch der ukrainische Außenminister Andrii Sybiha äußerte Zweifel an der von Kremlchef Putin angekündigten einseitigen Waffenruhe zu Ostern. In einem Beitrag auf X betonte Sybiha, dass es eine lange Geschichte gebe, in der Putins Aussagen nicht mit seinen Handlungen übereinstimmen. "Wir wissen, dass man seinen Worten nicht trauen kann, und wir werden auf Taten achten, nicht auf Worte", schrieb Sybiha.
"Die Russen versuchen so zu tun, als seien sie 'Friedensstifter'"
Er forderte Russland dazu auf, das Feuer in alle Richtungen einzustellen. "Nur Taten, nicht Worte, offenbaren die Wahrheit: Dieser Krieg begann und dauert nur wegen Russland an", so Sybiha weiter. "Russland kann dem Vorschlag für einen vollständigen und bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand, der seit März auf dem Tisch liegt, jederzeit zustimmen."
Kremlchef Putin hatte die einseitige Feuerpause am Samstag bei einem Treffen mit seinem Militärchef Waleri Gerassimow im Kreml verkündet. Nach seinem Willen sollten die Kampfhandlungen am Samstag ab 18 Uhr Moskauer Zeit (17 Uhr MESZ) bis Montag um Mitternacht eingestellt werden. Nach Angaben der Regierung in Kiew wurden jedoch ukrainische Stellungen auch nach Beginn der Feuerpause beschossen.
Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt hat sich skeptisch gezeigt. "Das Leben der Menschen in der Ukraine hängt von Putins Willkür ab. Nach über 3 Jahren ununterbrochenem Krieg sind solche Ankündigungen wenig vertrauenswürdig", schrieb sie auf der Plattform X.
Großbritannien reagiert auf Putins Waffenruhe im Ukraine-Krieg
"Die Russen versuchen so zu tun, als seien sie 'Friedensstifter'", schrieb der Leiter des Zentrums zur Bekämpfung von Desinformation, Andrij Kowalenko, auf Telegram. "Sie sprechen von einer 'Waffenruhe', schießen aber ohne Unterbrechung weiter." Ziel sei es, der Ukraine die Schuld für das Scheitern der Friedensbemühungen zu geben.
Derweil forderte Großbritannien Russland auf, sich zu einem vollständigen Waffenstillstand in der Ukraine zu bekennen. Es gehe um "nicht nur eine eintägige Pause", teilt das britische Außenministerium mit.
Die Vereinten Nationen nahmen die Feuerpause kommentarlos "zur Kenntnis", wie Stéphane Dujarric, Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres sagte. "Wir haben immer wieder einen dauerhaften Waffenstillstand in der Ukraine gefordert und bekräftigen unsere Unterstützung für sinnvolle Bemühungen um einen gerechten, dauerhaften und umfassenden Frieden, der die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen, dem Völkerrecht und den einschlägigen UN-Resolutionen uneingeschränkt wahrt."
- Nachrichtenagenturen Reuters und dpa