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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geflüchtete über Mullah-Herrschaft "Niemand im Iran will dieses Regime"

Nach Ausbruch des Kriegs mit Israel fliehen viele Menschen aus dem Iran. Täglich strömen Hunderte ins benachbarte Armenien. Ein Bericht aus der Grenzregion.
Kim und Tobias Schibilla berichten aus Meghri in Armenien.
Pegah zieht ihr Kopftuch ab und schlägt es sichtlich wütend auf einen Stein. Ihr echter Name lautet anders, doch sie möchte anonym bleiben. Die 61-jährige Iranerin ist gerade erst vor den israelischen Angriffen auf dem Landweg nach Armenien geflohen und mit ihrem 39-jährigen Sohn in der Grenzstadt Meghri angekommen. "Wir haben die letzten drei Nächte nicht geschlafen, weil wir solche Angst hatten", sagt sie t-online an der armenisch-iranischen Grenze.
Seit rund einer Woche fliegt Israel Angriffe auf iranisches Territorium. Offiziell gelten sie militärischen Zielen, doch auch zivile Viertel werden getroffen. In Teheran berichten Bewohnerinnen und Bewohner von nächtlichen Explosionen. Die meisten Menschen versuchen, innerhalb des Landes Zuflucht zu finden. Andere wagen die Ausreise – etwa über die Grenze nach Armenien.
Meghri liegt im äußersten Süden Armeniens. Steile Berge ragen am Rand der Stadt auf, es ist heiß. Das Thermometer zeigt am Donnerstag 32 Grad im Schatten, in der Sonne ist es noch wärmer. Und schattige Plätze sind rar. Pegah und ihr Sohn drücken sich an einen Baucontainer aus Wellblech, der etwas Schatten spendet, um zumindest kurz der Sonne zu entfliehen.
"Die Israelis geben ständig neue Evakuierungsbefehle heraus", sagt die 61-Jährige. Mit ihrem Sohn lebt sie in der iranischen Hauptstadt Teheran. "Als Israel begann, ein benachbartes Stadtviertel zu bombardieren, wurde unsere Angst zu groß." Daraufhin machten sich die beiden auf den Weg nach Armenien. Ihre Mutter musste Pegah in Teheran zurücklassen: "Sie hat keinen gültigen Pass, weshalb sie nicht mitkommen konnte. Ich mache mir große Sorgen um sie", erklärt die Iranerin.
Das Geschäft für die armenischen Taxifahrer brummt
Pegah und ihr Sohn sind nicht die einzigen Iraner, die das Land in Richtung Norden verlassen. Jeden Tag kommen Hunderte Menschen am Grenzübergang von Meghri an, berichten die armenischen Medien "Civilnet" und "301.am".
Die Geflüchteten wollen weiter in die Hauptstadt Eriwan. Dort liegt der größte internationale Flughafen des Landes. Ihr Ziel sind die Wohnorte ihrer Verwandten im Ausland. Doch fliehen kann nur, wer Geld hat: Normalerweise beträgt der Preis für eine Taxifahrt in die rund 375 Kilometer entfernte Hauptstadt Armeniens rund 20 Euro pro Person. Seit dem Beginn der israelischen Angriffe hat sich der Preis verfünfzehnfacht, schreibt "Civilnet". Fahrgäste bezahlen nun bis zu 300 Euro für die knapp siebenstündige Fahrt.
Das Geschäft brummt für die armenischen Taxifahrer – und das zeigt sich direkt hinter dem Grenzübergang. Unzählige Taxis reihen sich aneinander. Sobald jemand über die Grenze kommt, umschwärmen ihn sofort drei oder vier Taxifahrer.
Das Ergebnis ist ein heilloses Chaos am Grenzübergang. Polizeibeamte weisen die Taxifahrer an, an einer Mauer zu warten. Es hilft allerdings wenig: Kaum ist die Polizei weg, geht das Gedränge um Kundschaft von Neuem los.
Auch Nima hat den Iran verlassen. Der IT-Fachmann hat in Deutschland gelebt und spricht akzentfreies Deutsch. Er wollte mit seiner Familie Urlaub in Teheran machen. "Die erste Woche war noch ruhig, aber dann hat der Krieg angefangen", sagt er im Gespräch mit t-online. "In Teheran habe ich gesehen, wie die Bomben fielen."
Die Stimmung in der iranischen Hauptstadt sei gedrückt, so Nima. "Ein großes Thema ist die Ungewissheit: Man weiß nie, was als Nächstes passiert." Seine Familie will im Land bleiben, trotz der israelischen Angriffe. "Es ist eben ihr Zuhause, das wollen sie nicht verlassen", erklärt er.
Die Meinung über das Regime von Ajatollah Chamenei sei "nicht positiv", sagt Nima. "Die Menschen fühlen sich von der Regierung verraten." Trotzdem sei die Stimmung noch halbwegs entspannt, erklärt der ITler. "Sie versuchen, die Fassung zu bewahren und keine Panik zu verbreiten." Das rechne er den Iranern hoch an. Nima hofft, dass der Krieg bald vorbei ist: "Israel soll das Ganze einfach schnell und mit möglichst wenig zivilen Opfern beenden", sagt er.
"Die ganze Situation ist für beide Seiten traurig"
Rentnerin Mahshid zeigt sich frustriert vom Krieg. Sie lebt eigentlich in der US-Metropole Los Angeles, hat aber die vergangenen vier Monate in Teheran verbracht. "Während meines Ruhestands möchte ich die Welt entdecken", erklärt sie. Im Hintergrund ertönen Polizeisirenen. Die vergangenen Tage hat sie in einer Ferienwohnung in Teheran verbracht. "Eigentlich war das ganz entspannt, wir hatten keine Probleme", sagt die Rentnerin. Zwar habe sie Explosionen gehört, doch Angst habe sie nicht. "Ich bin einfach eine Reisende, das ist alles Teil meines Weges", sagt Mahshid gelassen.
Es wirkt so, als sei der israelische Angriff für sie nicht mehr als eine unwillkommene Störung ihrer Reise. "Ich hatte Spaß in meinem besten Alter", sagt die in den USA lebende Rentnerin. Eigentlich wäre sie gerne in Teheran geblieben. "Aber meine Kinder wollten, dass ich zurückkomme." Mit Politik will Mahshid nichts zu tun haben. "Die ganze Situation ist für beide Seiten traurig", sagt sie. "Es ist einfach nicht fair", jammert sie, kurz bevor sie in ein Taxi nach Eriwan steigt.
Pegah, die Frau, die ihr Kopftuch direkt hinter der Grenze von sich schleuderte, befindet sich in einer dramatischeren Situation als Mahshid. Sie musste ihre im Rollstuhl sitzende Mutter in Teheran zurücklassen, ein anderes Familienmitglied pflegt sie dort. Sie ist wütend. "Wir wollen das Regime nicht", sagt sie. "Wir haben nicht mal Bunker, um uns vor den Bomben zu schützen."
Sie hat bereits den ersten Golfkrieg von 1980 bis 1988 miterlebt. "Leider sind wir an Krieg gewöhnt", erklärt sie im Gespräch mit t-online. Sie sei keine Politikerin. "Alles, was ich sagen kann, ist: Niemand im Iran will diesen Krieg". Sie sieht das israelische Volk als Freund der Iraner an. "Alles, was wir wollten, war die Möglichkeit, das Regime zu wechseln. Niemand im Iran will dieses Regime."
Damit spielt sie auf die islamische Regierung der Ajatollahs an, die den Iran seit der Machtergreifung im Jahr 1979 mit eiserner Hand regieren. "Durch den Krieg gibt es die Möglichkeit, dieses Regime zu entmachten", sagt Pegah. "So könnten wir unsere Freiheit zurückbekommen."
Ob sie und ihr Sohn in den Iran zurückkehren, ist fraglich. Statt für eines der teuren Taxis entscheiden sie sich für eine Weiterreise per Anhalter nach Goris, eine Stadt in Zentralarmenien. Von dort aus wollen sie mit dem Bus in die Hauptstadt Eriwan fahren.
Die Route führt über eine Passstraße auf 2.500 Meter Höhe, mit Ausblicken auf die nordiranischen Berge. Für Pegah und ihren Sohn ist es eine Reise mit ungewissem Ziel – und womöglich ein endgültiger Abschied von ihrer Heimat.
- Eigene Recherchen und Gespräche vor Ort
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