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China überholt Europa: Gefahren für Handel und Umwelt durch Temu & Co.


Tagesanbruch
Temu zeigt, wie China Europa abhängt

MeinungVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 06.08.2025 - 10:01 UhrLesedauer: 7 Min.
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Chinas Staatschef Xi Jinping besucht den Hafen von Rizhao in der ostchinesischen Provinz Shandong (Archivbild). (Quelle: Xinhua/Ju Peng)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

waren Sie schon einmal auf der Einkaufsseite Temu, der chinesischen Version von Amazon und Ebay? Wenn nein, kann ich Ihnen sagen: Eine Shopping-Offenbarung ist es nicht.

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Was neben der Unaufgeräumtheit der Webseite und zahlreichen Rechtschreib- und Formatierungsfehlern sofort ins Auge sticht, sind die billigen Preise – und die angepriesenen kurzen Lieferzeiten. Binnen weniger Tage soll etwa ein Camping-Luftzelt (8 bis 10 Personen) für 212,47 Euro bis an die Haustür geliefert werden. Es reiht sich neben ein Damenhemd für 6,29 Euro. Daneben finden Sie ein Spülbeckensieb in Elefantenform für 3,92 Euro und einen Herrengürtel für 3,53 Euro. Angeblich mit Schnalle aus echtem Rindsleder.

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Bei Temu einkaufen ist bequem und schnell. Was aber kaum jemand hinterfragt: Wie ist das eigentlich möglich? Die einfache Antwort: Weil China es so will. Die komplizierte Antwort: Die Plattformen Temu, Shein und AliExpress agieren nicht einfach clever. Sie funktionieren als Teil eines größeren Systems, das die chinesische Führung gefördert hat: blitzschnelle Logistik, direkte Lieferketten, schlanke Apps, minimale Regulierung.

Temu ist keine harmlose Plattform. Die Webseite ist ein Beweis dafür, wie weit China Europa in vielen Bereichen abgehängt hat – und wie wenig geltende Regeln in einer globalisierten Wirtschaft noch durchsetzbar sind.

China liefert. Und Europa liefert sich aus.

Fast-Fashion-Artikel, billige Wegwerfprodukte und Elektronik mit kurzer Lebensdauer werden in Massen angeboten – günstig, verlockend und stets verfügbar. Während europäische Unternehmen Umweltstandards und Lieferkettengesetze einhalten müssen, können chinesische Plattformen unkontrolliert Märkte fluten. Der Preis dieser Bequemlichkeit wird nicht an der Kasse bezahlt – sondern vom Klima.

Denn die ökologische Bilanz dieser Plattformen ist katastrophal. Jeder Klick, jede Verpackung, jeder Transport trägt zum CO2-Ausstoß bei. Die Pakete werden im Regelfall per Flugzeug nach Europa verschickt. Kreislaufwirtschaft, Recycling, nachhaltige Lieferketten? Fehlanzeige.

Auch für Verbraucher bieten viele Produkte echte Risiken. Stefan Genth, Chef des Handelsverbands Deutschland, sagte meinem Kollegen Jakob Hartung und mir vor Kurzem im Interview: "Unsere Händler erfüllen hohe Standards und haften für alles, was sie verkaufen. Bei Direktimporten aus Drittstaaten gibt es keine effektive Haftung." Das bedeutet: Temu und Co. können die europäische Gesetzgebung leicht umgehen. Viele Produkte auf den chinesischen Webseiten seien "schlicht Schrott", dürfen hier gar nicht verkauft werden, so Genth weiter.

Doch der Zoll kommt bei der Kontrolle kaum hinterher. Immerhin erreichen 400.000 Pakete täglich Haustüren in Deutschland, sagte Verbandschef Genth weiter. Billige Massenware, fragwürdige Produktionsbedingungen, enorme Umweltkosten – das ist zwar kein rein chinesisches Phänomen.

Auch westliche Plattformen wie der US-Handelsriese Amazon oder Modeketten wie H&M, Zalando und Zara stehen seit Jahren in der Kritik. Der Unterschied aber: Während sich Unternehmen mit Standorten oder Dependancen in der EU zumindest formal an Regeln halten müssen, entziehen sich Anbieter wie Temu und Shein nahezu jeder Kontrolle, wie Verbraucherschützer warnen.

Um den Import von Billigschrott einzudämmen, fordert der deutsche Einzelhandel längst Maßnahmen gegen diese Plattformen. Die Forderung Genths wirkt erst einmal radikal: "Wir brauchen Zölle gegen chinesische Billigimporte nach dem Vorbild der USA." Er geht sogar noch weiter. Nach europäischem Recht sei es zwar nicht einfach, so Genth. Aber: "Notfalls muss man Temu und Shein den Stecker ziehen, bis diese Plattformen nachweisen, dass sie sauber arbeiten."

Was hinter den Forderungen steckt, ist wohl auch die Kritik an der EU und ihrer gewissen Rat- und Tatenlosigkeit. Zwar läuft bereits ein Verfahren der EU-Kommission gegen Temu. Doch das reicht dem Verband nicht aus.

Zumal China Europa nicht nur beim Onlineshopping aktuell etwas vormacht. Der Trend setzt sich in den Industrien fort, auf die dieser Kontinent lange stolz war. Chinesische Hersteller wie BYD, Nio, Geely entwickeln Fahrzeuge in atemberaubender Geschwindigkeit. Ihre E-Autos sind günstiger, besser vernetzt, softwareseitig der europäischen Konkurrenz überlegen. Während sich große deutsche Autobauer in internen Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen verlieren, dominiert BYD längst den weltgrößten Automarkt China.

Auch bei Klimatechnologien ist der Vorsprung gewaltig. Rund 95 Prozent der weltweiten Solarmodule stammen mittlerweile aus chinesischer Produktion. Früher galt Deutschland als Technologieführer, heute ist die Industrie nahezu vollständig abgewandert, nicht zuletzt wegen strategischer Rohstoffpolitik und massiver staatlicher Unterstützung in China. Mit der Folge: Eine Energiewende, die ohne chinesische Lieferketten auskommt, ist kaum denkbar.

Die Social-Media-App TikTok gehört ebenfalls in diese Reihe. Die Unterhaltungsplattform wird weltweit von Hunderten Millionen Menschen genutzt – vor allem von jungen, meinungsprägenden Zielgruppen. Dass die App einem chinesischen Konzern unterliegt, der auf Anweisung der Kommunistischen Partei Daten offenlegen könnte, sollte in westlichen Demokratien zunehmend Besorgnis auslösen. Es geht längst nicht mehr nur um Tanzvideos. Sondern um Einfluss auf öffentliche Meinungsbildung, um Algorithmen, die Inhalte priorisieren. Und um die Frage, wem digitale Aufmerksamkeit eigentlich gehört.

Chinas wirtschaftlicher Erfolg folgt derweil keinem Zufallsprinzip. Er ist Teil einer geopolitischen Strategie, die auf Dominanz durch wirtschaftliche Abhängigkeit setzt. China weiß: Wer die Lieferketten kontrolliert, kontrolliert die Weltmärkte. Wer die Plattformen beherrscht, steuert die Konsumdaten.

Das zeigt sich in afrikanischen Staaten, deren Infrastruktur mit chinesischen Krediten finanziert wurde – daraus folgen dann langfristige politische Abhängigkeiten. In Ländern wie Kenia, Tansania, Südafrika oder Äthiopien.

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Das zeigt sich in der staatlichen Kontrolle über Seltene Erden, ohne die moderne Technologien in Europa stillstehen würden. China gilt als größter Produzent und Verarbeiter Seltener Erden. Und es zeigt sich in Demokratien, deren kritische Infrastrukturen längst von chinesischer Technik durchdrungen sind – sei es durch Überwachungstechnologie oder 5G-Netze.

China kontrolliert zentrale Infrastruktur – von Beteiligungen an europäischen Häfen wie Piräus und Rotterdam bis hin zur eigenen Logistikplattform Cainiao. Container, Daten, Routen: Alles fließt über chinesische Kanäle. Während Europa Datenschutzverordnungen formuliert, baut China an einer KI-gestützten Staatsmaschine. Gesichtserkennung, Scoring-Systeme, Echtzeitüberwachung – nicht nur repressiv im Innern, sondern auch kommerziell exportierbar.

Das Land ist bei Weitem kein normaler Wirtschaftspartner. Es ist ein autoritäres Regime, das systematisch Grundrechte verletzt, Andersdenkende verfolgt und Minderheiten unterdrückt. Ein Staat, der versucht, sein Modell global auszubreiten.

Wegen des Zollstreits zwischen den USA und China könnte die Volksrepublik den europäischen Markt noch stärker fluten, so die Befürchtung. Denn wenn die USA die Zölle hochfahren, könnte es als Abnehmer ausfallen – und stattdessen kommen noch mehr Billigprodukte nach Europa.

Aus Deutschland gibt es darauf bislang kaum politische Antworten. Annalena Baerbock hatte als Außenministerin im Jahr 2023 gewarnt: Werte müssen nicht nur exportiert, sondern auch geschützt werden. In ihrer Zeit als Außenministerin formulierte sie eine neue Chinastrategie: wertebasiert, risikobewusst, strategisch autonom. Kein plumpes "China-Bashing", aber auch keine Naivität mehr.

Lange her ist das noch nicht. Heute aber steht mit dem Internetriesen JD.com ein chinesischer Investor bei den ikonischen Elektronikmärkten Mediamarkt und Saturn mit am Tisch. Millionen Temu-Pakete durchqueren die Zollstellen. Und in Brüssel wird geprüft, was bereits Realität ist.

Temu steht für Tempo, Preis und Verfügbarkeit – und für ein System, das sich an keinerlei europäische Standards hält. EU-Parlamentarier Bernd Lange will nun etwas ändern, wie er meinem Kollegen Jakob Hartung verriet.

Es braucht Zölle, es braucht Plattformregeln. Aber vor allem braucht es endlich die Bereitschaft, wirtschaftliche Stärke als politische Macht zu verstehen – und zu behaupten. Das gilt auch für Verbraucher.

Die Auseinandersetzung mit China findet längst im Alltag statt. Jeder Einkauf bei Temu, jedes Scrollen durch TikTok, jeder Klick stärkt ein System, das unsere Regeln untergräbt. Zumindest im Hinterkopf sollte man das beim Shoppen haben.


Was steht heute an?

Neuer Staatspräsident in Polen: Karol Nawrocki wird an diesem Mittwoch vereidigt. Der 42 Jahre alte parteilose Historiker, frühere Amateurboxer und Türsteher, der von der rechtskonservativen Oppositionspartei PiS unterstützt wurde, war aus der Stichwahl Anfang Juni als Gewinner hervorgegangen. Der Sieg des politischen Newcomers Nawrocki über den liberalen Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski war eine schwere politische Niederlage für die proeuropäische Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk.


Gestiegene Erträge, aber weniger Gewinn: Die Zwischenbilanz der Commerzbank dürfte durchwachsen ausfallen. An diesem Mittwochmorgen veröffentlicht die Commerzbank ihre jüngsten Zwischenergebnisse. Spannend sind die Zahlen vor allem vor der Offerte durch die italienische Großbank UniCredit.


Symbol für Krieg – und Frieden: Vor 80 Jahren entfesselte die Besatzung des US-Bombers "Enola Gay" das nukleare Inferno in Hiroshima. Zehntausende Bewohner kamen beim Abwurf der amerikanischen Atombombe sofort ums Leben, insgesamt starben bis Ende 1945 schätzungsweise 140.000 Menschen. Drei Tage nach Hiroshima warfen die USA eine zweite Atombombe über Nagasaki ab, kurz danach kapitulierte das japanische Kaiserreich. Historiker Takuma Melber erklärt im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke, warum die USA zur Atomwaffe griffen.


Historisches Bild

Im August 1945 griffen die USA Japan mit einer Atombombe an. Mehr lesen Sie hier.


Was lesen?

Auch in der Sommerpause gibt es für die schwarz-rote Koalition keine Ruhe beim Thema Strompreise. Nach Informationen, die meiner Kollegin Amy Walker vorliegen, verhandelt das Bundeswirtschaftsministerium nun sogar über die Einführung einer neuen Stromumlage.


Donald Trump denkt offenbar viel besser über Deutschland, als man lange meinen konnte. Das liegt auch an Bundeskanzler Friedrich Merz. Doch ausgerechnet das ist nicht unbedingt ein Vorteil für Deutschland, kommentiert unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns.


Die USA wollen Russlands Öleinnahmen treffen – und machen Druck auf Moskaus Handelspartner. Jetzt hat sich Trump besonders auf Indien eingeschossen. Mein Kollege Martin Küper erklärt, was das für den Kreml bedeuten kann.


In Dresden stehen zwei Angeklagte wegen Spionage für China vor Gericht. Es geht unter anderem um Militär- und Parlamentsgeheimnisse. Der Mammutprozess könnte auch einen prominenten AfD-Politiker beschädigen, berichtet Annika Leister aus Dresden.


Zum Schluss

Bei der Bahn wundert einen nichts mehr ...

Morgen lesen Sie den Tagesanbruch von meiner Kollegin Annika Leister. Ich wünsche Ihnen einen reflektierten Tag.

Ihr Mauritius Kloft
Ressortleiter Politik & Wirtschaft
X: @Inselkloft

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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