Internationale Politik "Man bittet um den Tod"
Seit einem Jahr ist Juan Mendez Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter. Der argentinische Jurist ist einer der wenigen hohen UN-Beamten, die am eigenen Leib erfahren haben, was Folter bedeutet: Mitte der 70er Jahre wurde der Menschenrechtsanwalt von den Schergen der argentinischen Militärdiktatur entführt und wochenlang in einem Internierungslager gequält. Heute lehrt er Internationales Recht am Washington College of Law. Mit t-online.de sprach Mendez über seine Erlebnisse, Barack Obama und den Mord am Frankfurter Bankierssohn Jakob von Metzler.
t-online.de: Herr Mendez, an welchem Punkt stehen wir bei den Menschenrechten: Wird die Lage besser oder schlechter?
Mendez: Das hängt von dem einzelnen Aspekt ab, den Sie betrachten. In Bezug auf die Folter fallen wir leicht zurück. Besonders deshalb, weil die allgemeine Verurteilung der Folter, die in den Zivilgesellschaften bis vor zehn Jahren mehr oder weniger üblich war, seit den 9/11-Anschlägen und dem sogenannten Krieg gegen Terror abgenommen hat. Die öffentliche Meinung zur Folter ist in den westlichen Gesellschaften sehr viel toleranter geworden. Entweder, weil man sie für unvermeidlich hält, oder - schlimmer noch - weil man denkt, dass sie trotz ihrer Abscheulichkeit notwendig ist und unsere Sicherheit bewahrt.
Die Befürworter der Folter nennen gerne das Beispiel vom Terroristen, der als einziger weiß, in welchem Kindergarten die scharfe Bombe versteckt ist, und dem man die Information unter allen Umständen abpressen muss. Was antworten Sie denen?
Wissen Sie, das Ticking-Bomb-Szenario schwirrt schon lange als Ausrede und Rechtfertigung für Folter durch diese Diskussion. Es hat sich aber in allen Gesichtspunkten als falsch erwiesen. Erstens: Sie wissen nie, ob dieser Typ wirklich weiß, wo die Bombe ist. Sie müssten 100 Verdächtige foltern um herauszufinden, wer vielleicht etwas wissen könnte. Zweitens: In der Praxis ist es ganz anders. Da haben sie Menschen, die keineswegs wegen einer tickenden Bombe gefoltert werden. Sie werden gefoltert, um Geständnisse zu erpressen, um andere zu verraten, um Organisationen lahmzulegen - oder schlicht und einfach als Strafe. Das ist die Folter, wie sie in der realen Welt vorkommt, nicht in dem Fantasiegebilde des Ticking-Bomb-Szenarios.
Übrigens: Für den Fall, dass es wirklich ein solches Szenario gibt und ein Polizeibeamter ehrlich davon überzeugt ist, dass er zwar Falsches tut, das aber wenigstens für ein höheres Gut - für diesen Fall bieten fast alle Gesetzeswerke gewisse rechtliche Erleichterungen und Ausnahmemöglichkeiten. Aber, wie ein israelisches Gericht 1999 festgestellt hat: Auch ein Ticking-Bomb-Szenario kann nicht die Ausrede für die administrative Anwendung der Folter sein.
Sie kennen vermutlich den Fall des Frankfurter Bankierssohns Jakob von Metzler. Da wurde der geständige Täter mit Folter bedroht, um die Polizei zu dem vermeintlich noch lebenden Jungen zu führen.
Das ist genau das, was ich mit einem "besonderen Fall" meine: Wenn der Beamte das widerstrebend, aber für ein größeres Ziel tut, dann findet ein Gericht - wie auch in diesem Fall - eine Möglichkeit, ihm Härten zu ersparen.
Werden wir die Rückkehr der Folter im Westen erleben?
Nein, so pessimistisch bin ich nicht. Ich denke, die weltweite Ablehnung der Folter wird am Ende überwiegen. Folter ist eine solche Verirrung - die Menschen müssten nur erst verstehen, was sie wirklich anrichtet. Nicht nur beim Opfer, sondern auch bei den Behörden, die sie ausüben, denen wir ja eigentlich unsere Sicherheit anvertrauen. Wir werden wohl langfristig zu der umfassenden Ablehnung der Folter zurückkehren, wie sie vor 9/11 herrschte. Aber das kommt nicht von selbst. Daran müssen wir arbeiten.
Die meisten Menschen können wohl kaum ermessen, was es bedeutet, Folterern ausgeliefert zu sein.
Exakt.
Sie dagegen wurden selbst gefoltert. Können Sie uns eine Vorstellung davon vermitteln, was mit Ihnen geschah?
Was mir geschah, war das, was jedem, dem "Subversion" vorgeworfen wurde, unter der argentinischen Militärdiktatur geschah: Da werden Sie zunächst in ein geheimes Internierungslager geschafft, wo Sie von niemandem gefunden werden können, und dort sehr schmerzhaften Foltermethoden unterzogen. In meinem Fall waren es Stromschläge. Sie banden einen nackt und ausgebreitet auf einen Tisch und kamen mit diesen Instrumenten, die an Batterien angeschlossen waren und deren Stromstärke man regulieren konnte. Die brachten sie abwechselnd am ganzen Körper an. Vor allem natürlich an den empfindlichen Körperstellen, wie den Genitalien, aber auch am Kopf, an den Ohren, im Mund. Man hat Blackouts. Es ist so schmerzhaft, dass man sie anschreit, sie sollen einen töten, weil man den Schmerz nicht mehr erträgt.
Wie überlebt man so eine Tortur?
Während einer solchen Zeit denkt man ja nicht nur an sich, sondern auch daran, wie man vermeiden kann, dass andere, deren Namen sie zu erpressen versuchen, ebenfalls gefoltert werden. Deshalb sagt, man dass man überhaupt niemanden kennt, und versucht, damit irgendwie durchzukommen. Dabei kommt man manchmal auch dahin, dass man um den Tod bittet. Ich kann nicht sagen, ob ich das damals ernst gemeint habe, oder ob es Selbstschutz war.
Heute reisen Sie in Länder und untersuchen Gefängnisse und Orte, an denen gefoltert wird. Sie sprechen mit Menschen, die womöglich selbst gefoltert haben. Wie ertragen Sie das?
Ich besuche ja keine Folterkammern. Die sind auch schwer zu finden. Wenn man sie überhaupt entdeckt, sind sie so getarnt, dass sie kaum auffallen. Es ist auch an sich nichts Besonderes an ihnen. Sie sind eher so etwas wie Büros, die bei Bedarf in Folterkammern umfunktioniert werden. Bevor ich in den 70er Jahren in Argentinien verhaftet wurde, war ich Menschenrechtsanwalt, und wir haben damals ein paar solcher Räume entdeckt. Bei meiner Arbeit spreche ich vor allem mit Opfern - entweder solchen, die noch in Haft sitzen oder solchen, die es überlebt haben und wieder frei sind. Wir versuchen dann anhand ihrer Aussagen herauszufinden, was passiert ist. Ich bin oft in finsteren und traurigen Inhaftierungszentren. Aber die eigentliche Folter findet meist woanders statt.
Wie beurteilen Sie Barack Obama - den 2008 als Heilsbringer begrüßten US-Präsidenten. Hat er etwas bewirkt?
Ich verhandele ja seit geraumer Zeit mit der US-Regierung darüber, Guantánamo besuchen zu dürfen. Mein Vorgänger war von George W. Bush eingeladen worden, allerdings unter Bedingungen, die man nicht akzeptieren konnte. Wenn sie sich ändern, werde ich hinfahren, obwohl es mir am liebsten wäre, ich könnte mir den Besuch sparen, weil die Einrichtung geschlossen wird. Aber ich muss nicht nur nach Guantánamo: Dort sitzen zwar 140 Gefangene. Viele wissen aber gar nicht, dass auch auf dem Festland der USA rund 350 Häftlinge unter dem Vorwurf des Terrorismus einsitzen - oft in Isolationshaft und in etlichen Fällen mit zusätzlichen "administrativen Maßnahmen", wie man das nennt, die zumindest im Grundsatz dem Verbot von Folter und herabwürdigender Behandlung widersprechen.
Und die Rolle von Obama bei all dem? Der hatte ja versprochen, Guantánamo zu schließen.
Ich bin natürlich genauso enttäuscht wie alle anderen über das, was aus den Versprechungen geworden ist. Das Enttäuschendste aber ist zu sehen, wie der Kongress ein schrecklich hartes Gesetz passieren lässt, dass willkürlichen Verhaftungen sowie unbegrenztem Militärgewahrsam ohne Gerichtsverhandlung Vorschub leistet - und der Präsident keine Anstalten macht, sein Veto dagegen einzulegen.
Gibt es auch Beschwerden über Deutschland?
Mir sind keine zu Ohren gekommen, was nicht heißt, dass es keine gibt. Außenpolitisch steht Deutschland da, als ein Land, dass sich bemüht, die Menschenrechte zu verbreiten.
Was ist die wichtigste Voraussetzung für die Entstehung von Menschenrechten?
Ganz klar: die Demokratie. Hier nimmt die Zivilgesellschaft teil und überwacht den Staat. Das ist die verlässlichste Garantie. Es funktioniert nicht immer, aber nach meiner Erfahrung kann man sich auf die Demokratien meistens verlassen.
Die Fragen stellte Christian Kreutzer