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Proteste im Iran: Was könnte das für den Mittleren Osten bedeuten?


Proteste überraschen Experten
Was die Unruhen im Iran bedeuten

t-online, Lukas Latz

Aktualisiert am 02.01.2018Lesedauer: 5 Min.
Seit Tagen protestieren Iraner überall im Land, auch wie hier im Bild in der Hauptstadt TeheranVergrößern des BildesSeit Tagen protestieren Iraner überall im Land, auch wie hier im Bild in der Hauptstadt Teheran (Quelle: Reuters-bilder)
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Experten hielten den Iran zuletzt für so stabil wie nie. Nun demonstrieren Iraner schon seit Tagen gegen ihr Regime. Was könnte das für den Mittleren Osten bedeuten?

Was ist passiert?

Die Proteste begannen am vergangenen Donnerstag in Mashhad, einer Zwei-Millionen-Einwohnerstadt im Nordosten des Landes. Von dort breiteten sie sich im gesamten Land aus. Besonders intensiv sind sie in der ländlichen Provinz. Das ist unerwartete. Denn diese Gegenden gelten eigentlich als besonders islamisch und konservativ. Bei den Demonstrationen sind bislang 21 Menschen ums Leben gekommen, es gab Hunderte Festnahmen. Nach Angaben des iranischen Staatsfernsehens ging Gewalt oft auch von den Demonstrierenden aus. Klare Anführer konnten bislang noch nicht ausgemacht werden und scheint es auch nicht zu geben.

Proteste auch in Berlin

Am Neujahrsabend demonstrierten in Berlin etwa 150 bis 200 Menschen vor der iranischen Botschaft. Nach Angaben von Teilnehmern kam etwa die Hälfte der Menschen aus der Berliner Linken Szene. Die andere Hälfte waren Exil-Iraner oder Menschen, die eine persönliche oder familiäre Verbindung zum Iran haben. Die Demonstrierenden kritisieren auch die Bundesregierung dafür, dass sie deutsche Investitionen im Iran fördert. Noch in seiner Zeit als Wirtschaftsminister reiste Sigmar Gabriel mit einer Delegation von deutschen Unternehmern in den Iran.

Für Dienstagabend meldete der Berliner „Verein Iranischer Flüchtlinge“ eine Demonstration vor dem Brandenburger Tor an. Der Verein solidarisiert sich mit den Protestierenden im Iran.

Was ist der Anlass für die Proteste?

Unmittelbarer Anlass war die Verabschiedung des iranischen Staatshaushaltes. In den sozialen Medien sorgten die zahlreichen Budgetkürzungen für Empörung. Wütend machte die Menschen besonders, dass trotz all dieser Kürzungen das Budget der religiösen Institutionen unangetastet blieb.

Der iranische Staatspräsident ist im Sommer 2017 wiedergewählt worden, die jahrelange wirtschaftliche Flaute zu beenden. Seine Aussichten dies zu schaffen sind eigentlich nicht so schlecht. Denn 2015 erreichte er eine Lösung des Konfliktes mit den USA. Wegen eines Forschungsprogramms, das dem Iran Kernenergie (und vielleicht auch Atomwaffen) bescheren sollte, unterlag der Iran strengen Wirtschaftssanktionen.

Wirtschaftlicher Aufschwung bleibt aus

Staatspräsident Hassan Rohani und der damalige US-Präsident Barack Obama einigten sich 2015 darauf, diese Sanktionen zum Teil aufzuheben. Somit sind im Iran nun mehr Investitionen aus dem Ausland möglich. Vor allem auch die deutsche Wirtschaft könnte davon profitieren.

Allerdings profitiert die iranische Wirtschaft noch nicht von der Verbesserung der internationalen Beziehungen. Der Iran musste nicht nur Kürzungen im Haushalt vornehmen. Im Sommer wertete die Regierung ihre Währung ab. In der Folge steigen die Lebensmittelpreise. Die Arbeitslosigkeit von Menschen unter 25 Jahren liegt offiziellen Angaben zufolge bei 20 Prozent. Unabhängige Experten schätzen, dass sie sogar bei 40 Prozent liegen könnte. Und Menschen unter 25 Jahren gibt es viele im Iran. Anders als die meisten europäischen Gesellschaften ist der Iran keine alternde Gesellschaft. Über 50 Prozent der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre alt.

Wer regiert im Iran?

Seit einer Revolution im Jahre 1979 ist der Iran eine Theokratie, also ein Staat, in dem religiöse Eliten herrschen. Der Staat hat aber auch einige demokratisch legitimierte staatliche Institutionen. Zumindest sind sie eingeschränkt demokratisch. Denn der sogennante Wächterrat, der von geistlichen Autoritäten des schiitischen Islam dominiert wird, kontrolliert, wer zu Wahlen zugelassen wird und wer nicht. Staatsoberhaupt ist Ali Khamenei, der den Titel Revolutionsführer trägt. In Personalunion ist er auch Oberhaupt des schiitischen Islam im Iran.

Staatspräsident Rohani ist in gewissem Maße Khameinis Gegenspieler. Reformen, die Rohani vorantreiben möchte (wie etwa die wirtschaftliche Annäherung des Landes an die USA), sieht Khamenei oft kritisch und er versucht sie zu unterminieren.

Staatspräsident Rohani erklärte, dass er Verständnis für die Protestierenden hat. Er forderte sie nur auf, keine Gewalt anzuwenden. Khamenei erklärte, dass er die Proteste als Teil einer Verschwörung der Feinde des Iran sieht.

Die Protestierenden schlagen sich hingegen weder auf die Seite des konservativen Revolutionsführers noch auf die Seite des gemäßigten Staatsoberhauptes. In den Sprechchören wird deutlich, dass sie die politische Elite des Landes insgesamt ablehnen.

Gibt es andere Forderungen?

Die Protestierenden zeigen sich außerdem unzufrieden mit dem religiösen Charakter des Staates. Sie protestieren etwa gegen den Zwang, im öffentlichen Raum Kopftuch zu tragen.

Kommen die Proteste überraschend?

Ja. Beobachter gingen zuletzt davon aus, dass das iranische Regime zuletzt so stabil war wie lange nicht mehr. Das hat viel mit der geopolitischen Situation zu tun, in der sich der Iran befindet. Zum einen gelang es dem Iran unter Staatspräsident Rohani, sich als Regionalmacht zu etablieren. Der Iran ist eine wichtige Stütze von Syriens Regime unter Baschar al-Assad. Teheran konnte seinen Einfluss im Iran und in Afghanistan ausweiten.

Iran befindet sich außerdem in einem Konflikt mit Saudi-Arabien. Dieser Konflikt drohte zuletzt immer wieder, in einen Krieg auszubrechen. Zuletzt etwa im Januar 2016, als Saudi Arabien die Todesstrafe an einem schiitischen Prediger vollzog. Oder im Juni 2016, als Saudi Arabien Importe und Exporte aus dem Golfstaat Katar komplett zu blockieren versuchte. Katar ist ein wichtiger Partner des Irans. Gemeinsam beuten Katar und der Iran die Ölfelder im Persischen Golf aus.

Trump lässt den Iran fallen

Seit Donald Trump US-Präsident ist, ist der Iran zudem politisch wieder stärker isoliert. Trump kündigte an, die von seinem Vorgänger Obama betriebene Annäherung zwischen den beiden Ländern wieder rückgängig zu machen. Stattdessen strebt Trump eine deutlich engere Partnerschaft mit Saudi-Arabien an, also dem Erzrivalen des Iran. Mehrmals erklärte Trump, dass der Iran hauptverantwortlich für die vielen Dauerkrisen des Nahen und Mittleren Ostens sei.

Der Iran ist also von außen bedroht. Und die Bemühungen, den Konflikt mit den USA zu lösen, scheinen durch die Wahl Trumps zum US-Präsidenten umsonst gewesen zu sein. Aufgrund dieser beiden Entwicklungen schien es zuletzt eigentlich so, als ob die Loyalität der Iraner zum eigenen Regime größer wird. Ende November beschrieb die New York Times, wie die iranische Mittelklasse zunehmend nationalistischer wird. Das Urteil des Teheran-Korrespondenten: „Es scheint, dass Donald Trump und die Saudis der iranischen Regierung halfen, das zu erreichen, was jahrelange Repression niemals geschafft hat: weitreichende Unterstützung für die Perspektive der Hardliner, wonach den USA und Riad nicht vertraut werden kann und wonach Iran jetzt ein starker Staat ist, der seine Gegner niederringen kann.“

Diese Einschätzung scheint nun obsolet.

Noch mehr Chaos im Mittleren Osten?

Der Iran ist mittlerweile eine wichtige Regionalmacht. Er ist der wichtigste Partner für die Regierung im Irak und hat einen großen Einfluss in Afghanistan. Dem syrischen Diktator Baschar al-Assad stellt er zahlreiche Milizen zur Verfügung, die er Führung seines Bürgerkriegs nutzt. Wenn der Iran aufgrund innenpolitischer Probleme bald dazu gezwungen sein könnte, sein Engagement in den Anrainerstaaten zu mindern, könnte das den Mittleren Osten insgesamt chaotischer machen.

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